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Schwindeltherapie auf wackligen Beinen

Beim akuten einseitigen Vestibularisausfall bzw. der Neuritis vestibularis ist der Einsatz von vestibulär dämpfenden Antiemetika nur mit positiven Erfahrungen zu begründen. Steroide bringen es nach der aktuellen Leitlinie auf eine schwache Evidenz, die Deutsche Gesellschaft für Neurologie empfiehlt 250 mg oral oder i.v. über mindestens drei Tage. Prof. Dr. Thomas Lempert, Chefarzt der Abteilung für Neurologie der Schlosspark-Klinik in Berlin ist davon jedoch nicht überzeugt und verzichtet in den meisten Fällen auf diese Option. Einen richtigen „Game Changer“ sieht er dagegen in einem physiotherapeutischen Übungsprogramm: Ein aktuelles Cochrane-Review beurteilte die Evidenz für Sicherheit und Wirksamkeit des Vestibularis-Trainings auf Basis von 39 randomisierte Studien bei akut und chronisch betroffenen Patienten als moderat bis stark.
Beim Morbus Menière ist die Evidenzbasis der Therapie dagegen ernüchternd. Der Effekt von Betahistin ist ebenso ungewiss wie der von intratympanal appliziertem Dexamethason oder Gentamycin und chirurgischen Verfahren (Labyrinthektomie, vestibuläre Neurektomie). „Die in diesem Jahr publizierten Cochrane-Metaanalysen haben alles vom Tisch gewischt“, sagte Prof. Lempert. Für ein destruierendes Verfahren spricht, dass von dem so behandelten Labyrinth keine Attacke mehr ausgehen kann. Da aber bei nicht wenigen Patienten beide Seiten betroffen sind, habe diese Methode nur in „sehr verzweifelten Fällen“ ihre Berechtigung.
Intratympanale Steroide und Gentamicin scheinen gleich wirksam zu sein, daher ist nach Aussage des Kollegen vor der destruierenden Gentamicingabe ein Versuch mit Steroiden gerechtfertigt. Prof. Lempert verwies allerdings auf eine hohe Rate spontaner Besserungen und Remissionen des Menière im Verlauf. In Phasen mit hoher Attackenfrequenz solle man die Betroffenen daher immer zunächst über die relativ gute Prognose im Spontanverlauf aufklären.
Trainingsexperten per Web
Verzeichnisse von qualifizierten Physiotherapeuten im Bereich Gleichgewichtstraining finden sich unter:
Therapie und Prophylaxe der vestibulären Migräne lehnen sich an die der klassischen Migräne an. Die Evidenz dafür ist allerdings schwach, weil vestibuläre Migränesymptome als Endpunkt in den Zulassungsstudien meist nicht erfasst wurden. Zwei randomisiert-kontrollierte Studien (RCT) mit Triptanen zeigen laut einem Cochrane-Review einen maximal geringen Effekt und RCT zu Flunarizin, Betablockern oder nicht-medikamentösen Maßnahmen lassen keine sichere Aussage zur Wirksamkeit zu.
Erfreulicher ist die Evidenzbasis beim Lagerungsschwindel. Sowohl für das in angloamerikanischen Ländern favorisierte Epley- als auch für das hierzulande gebräuchlichere Semont-Manöver gibt es Belege, dass sie im Vergleich zu Placebo gut wirksam sind. Beide Verfahren scheinen gleichwertig zu sein – sofern sie korrekt ausgeführt werden. Fallstricke sind beim Epley-Manöver eine ungenügende Reklination des Kopfes in Hängelage, das Auslassen der zweiten Drehung im Liegen und die einmalige statt der mehrmaligen Durchführung pro Sitzung. Bei Semont kann ebenfalls die unzureichende Kopfreklination sowie eine zu langsame Durchführung die Effektivität beeinträchtigen. „Man muss die abgesprengten Otholithen wirklich um die Ecke bringen“, betonte Prof. Lempert. Auch für die Effektivität der Selbstbehandlung gibt es gute Evidenz. Entscheidend ist die richtige Anleitung. „Es reicht nicht, den Betroffenen nur einen Zettel in die Hand zu geben“, betonte der Neurologe.
Die Kriterien des subjektiven Schwankschwindels
Ein anhaltender subjektiver Schwankschwindel ist gekennzeichnet durch
- Schwindel und Gangunsicherheit an den meisten Tagen seit mindestens drei Monaten
- unprovozierter Schwindel mit Zunahme bei aufrechter Haltung, Eigenbewegung und visueller Reizung
- Auslösung durch vestibuläre und andere Erkrankungen sowie durch akute psychische Belastung
- erhebliche psychische und funktionelle Beeinträchtigung
- nicht besser erklärbar durch andere Erkrankungen
Beim anhaltenden subjektiven Schwankschwindel (s. Kasten) ist es wichtig, dem Patienten Verständnis und Zuversicht zu signalisieren: „Das sehen wir öfter, das bessert sich bei vielen wieder.“ Prof. Lempert riet dringend davon ab, primär eine Psychotherapie zu initiieren, stattdessen solle man am Symptom arbeiten. So habe ein Gleichgewichtstraining sowohl somatische als auch psychotherapeutische Wirkungen. Evidenz gibt es dafür zwar ebenfalls nicht, aber der Kollege hat gute Erfahrungen mit dem Verfahren gemacht. Aber: „Sie brauchen für ihre Praxis einen guten kooperierenden Physiotherapeuten!“
Quelle: DGN*-Kongress 2023
* Deutsche Gesellschaft für Neurologie
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