
Soziale Phobie erfolgreich vertreiben
Die soziale Angststörung tritt in drei Schweregraden auf:
- Die umschriebene soziale Phobie bezieht sich auf ein bestimmtes Szenario, z.B. Sprechen vor Gruppen.
- Die generalisierte soziale Phobie betrifft zahlreiche verschiedene Situationen.
- Patienten mit ängstlicher vermeidender Persönlichkeitsstörung (ÄVP) haben zudem ein sehr negatives Selbstbild, erläutern Privatdozentin Dr. Babette Renneberg von der Freien Universität und Privatdozent Dr. Andreas Ströhle von der Charité in Berlin in „Der Nervenarzt“.
Zwar wissen die Patienten, dass ihre Ängste übertrieben sind. Dennoch setzt sie die Vorstellung, eventuell im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, so unter Spannung, dass sie die „bedrohlichen Situationen“ vermeiden. Rutschen sie dennoch hinein, foltern u.a. Herzrasen, Schweißausbrüche, Zittern, Atemnot, Beklemmungen und Übelkeit die Sozialphobiker. Sogar Derealisationserlebnisse, Schwindel, Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden oder zu sterben, kommen vor.
Medikamentöse Therapie mindestens ein Jahr
Um ein normales Leben führen zu können, brauchen diese Patienten dringend Hilfe. Diverse psychotherapeutische Verfahren wurden ausprobiert, die beste Evidenz liegt für die Verhaltenstherapie (siehe Kasten unten) vor. Laut mehreren Metaanalysen erzielt die kognitive Verhaltenstherapie bei Sozialphobie gute Erfolge (72 %) – selbst bei Patienten mit sehr starken Ängsten (ÄVP). Auch psychopharmakologisch kann man etwas gegen die Sozial-Angst tun. In Deutschland sind für diese Indikation derzeit die SSRI* Paroxetin und Escitalopram, der SNRI** Venlafaxin sowie der reversible MAO-Inhibitor Moclobemid zugelassen, schreiben die Experten. Von den SSRI bisher am besten untersucht ist Paroxetin (20 – 50 mg/d), aber auch Fluvoxamin (150 mg/d) und Sertralin (bis 200 mg/d) und Fluoxetin erwiesen sich als effektiv. Neuere Studien bescheinigen Escitalopram (10 – 20 mg/d) gute Wirksamkeit und Verträglichkeit. Gleiches gilt für Venlafaxin (75 – 225 mg/d). Die Therapiedauer sollte nicht weniger als ein Jahr betragen.
MAO-Hemmer als Reserve
Von den in Deutschland verfügbaren MAO-Hemmern eignet sich nach Angaben der Kollegen der irreversible Inhibitor Tranylcypromin besonders gut. Das Medikament wird anfangs in einer Dosierung von 10 mg/d eingenommen und wöchentlich um 10 mg gesteigert bis maximal 60 mg. Wegen seiner Nebenwirkungen und der Notwendigkeit einer Diät gilt es jedoch als Reservemedikament, so Dr. Ströhle.
Betablocker wirken nur akut
Betablocker wirken gut bei umschriebener sozialer Phobie in der Akutsituation – Angst vor öffentlichen Darbietungen (Prüfung, Auftritt, Konzert) –, haben aber keinen relevanten Effekt auf längere Sicht. Benzodiazepine lösen zwar bekanntlich gut die Angst, dürfen aber wegen der Abhängigkeitsgefahr allenfalls kurzfristig eingesetzt werden.
Signifikante Erfolge beim Vertreiben der Sozialphobie erzielt zudem das Antikonvulsivum Gabapentin (900 – 3600 mg/d). Pregabalin zeigte sich in Studien ebenfalls überlegen gegenüber Plazebo. Die Frage nach dem bevorzugten Therapieansatz muss individuell beantwortet werden. Die Rückfallquoten liegen bei kognitiver Verhaltenstherapie niedriger (17 %) als bei Pharmakotherapie (30 bis 60 %). Alles in allem raten die Autoren am ehesten zur frühen verhaltenstherapeutischen Behandlung. Die Psychopharmakotherapie (meist SSRI oder SNRI) stelle kurz- bis mittelfristig aber eine mindestens gleich wirksame Alternative dar. Möglicherweise, so die Experten, ließe sich der Erfolg durch Kombination beider Maßnahmen steigern, was aber in Studien noch nicht untersucht ist. Bei gleichzeitiger depressiver Symptomatik solle man die Indikation für eine sechs- bis zwölfmonatige antidepressive Therapie eher großzügig stellen.
* Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
** Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
Menschen immer ängstlicher?
In den letzten 50 Jahren sind die Werte in Selbsteinschätzungsinventaren zur Angst dramatisch gestiegen. Werte, die heute bei Jugendlichen als durchschnittlich gelten, hätten vor einem halben Jahrhundert genügt, um den Betreffenden als psychiatrischen Patienten einzuordnen. Die Lebenszeitprävalenz für soziale Angststörungen beträgt heute bis zu 13 %, häufig bestehen gleichzeitig weitere psychische Störungen wie Depression, Alkoholabhängigkeit oder andere Angst-Probleme. Familiäre Häufungen findet man beim generalisierten Subtyp der Sozialphobie eher als beim spezifischen. Kritische Lebensereignisse oder soziale Traumata können als Auslöser fungieren.
Rollenspiel mindert die Angst
Wichtige Interventionen bei der Verhaltenstherapie beinhalten: Expositionsübungen in vivo, Rollenspiele und Rollenspiele mit Video-Feedback. Dabei werden kurze Szenen so häufig wiederholt, bis die Patienten mit einer veränderten Verhaltensweise einverstanden sind und diese auch „beherrschen“. Entspannungsverfahren (progressive Muskelrelaxation) werden unterstützend eingesetzt, um den Stress zu mindern.
Aha-Erlebnisse bescheren Verhaltens-Experimente: Ein Rollenspiel (z.B. Kaffee trinken mit fremder Person) wird zweimal wiederholt. Beim ersten Durchgang muss der Patient seine Sicherheits-Verhaltensweisen einsetzen (Tasse umklammern, nicht sehr hochheben, damit man das Zittern nicht sieht) und sich selbst beobachten. Nach „Klappe zwei“ soll er das Sicherheitsverhalten unterlassen und genau auf das Gespräch und die andere Person achten. Der Vergleich zeigt, dass in der zweiten Situation (Aufmerksamkeit auf andere Person fokussiert) die Angstlevel niedriger liegen.
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).