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Sucht auf Rezept: Benzodiazepinmissbrauch ist ein iatrogenes Problem

Die Zahl der Menschen in Deutschland, die von Benzodiazepinen abhängig sind, wird laut Professor Dr. Anil Batra, Leiter der Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung an der Universität Tübingen, auf 1,2 bis 1,5 Millionen geschätzt. Zwar nimmt die Verordnungshäufigkeit von Benzodiazepinen ab. Allerdings werden gleichzeitig vermehrt Z-Substanzen – also die Nicht-Benzodiazepin-Agonisten wie Zolpidem, Zopiclon und Zaleplon – verschrieben. Und die haben ebenfalls ein hohes Abhängigkeitspotenzial. Auffällig ist, dass der Anteil der Privatrezepte für diese Wirkstoffe steigt. Das könnte ein Indiz für die zunehmende Zahl von Menschen sein, die von Z-Substanzen abhängig sind.
Kritisch sieht Prof. Batra, dass immer noch ein Fünftel bis ein Viertel der Verschreibungen von Benzodiazepinen Langzeitverordnungen sind. Das gilt insbesondere bei den Patienten über 50 Jahre und für Frauen. Dabei erhöht schon ein gelegentlicher Benzodiazepinkonsum das Mortalitätsrisiko über 2,5 Jahre um das Dreifache. Der Benzodiazepinmissbrauch ist ein iatrogenes Problem, betonte Prof. Batra und empfahl, bei der Verordnung mehr auf Risikogruppen für eine Abhängigkeit zu achten. Dazu gehören Personen mit psychiatrischen Komorbiditäten wie Angststörungen, Depressionen, Psychosen sowie Alkohol- und Tabakabhängigkeit.
Langsamer Entzug verhilft zwei Dritteln zur Abstinenz
Auch Patienten mit niedrigem Einkommen und Bildungsniveau sollte man kritisch in den Blick nehmen und solche, die von einem auf ein anderes Benzodiazepin oder Z-Hypnotikum wechseln. Benzodiazepine und Z-Substanzen sollte man immer in Übereinstimmung mit bestehenden Leitlinien verordnen, so der dringende Rat des Referenten.
Bei bestehender Abhängigkeitserkrankung ist das schrittweise Absetzen bis zur Abstinenz das Ziel. Das kann aber nicht immer erreicht werden, sagte Prof. Batra. Etwa zwei Drittel der Betroffenen schaffen den Ausstieg nach einem langsamen Entzug über acht bis zwölf Wochen oder länger. Wichtig ist, dass dann die totale Abstinenz aufrechterhalten wird. Für die übrigen Patienten ist eine Dosisreduktion das maximal Erreichbare. Allerdings ist erst bei vollständigem Absetzen eine relevante Besserung der Symptome zu erwarten.
Für Pharmakotherapien, die den Entzug unterstützen, existiert wenig Evidenz. Das gilt auch für nicht-medikamentöse Maßnahmen. Einen gewissen belegbaren Nutzen hat die motivierende Gesprächsführung bei Patienten, die noch keine klare Bereitschaft zur Therapie zeigen. Harte Evidenz gibt es für die Standardberatung durch den Hausarzt. Ein signifikanter Effekt dieser Kurzintervention auf die Abstinenz ließ sich über zwölf Monate hinweg zeigen. Prof. Batra erklärte, dass bei Abhängigkeit von nur einer einzigen Substanz in niedriger Dosierung der Entzug auch in der Hausarztpraxis versucht werden kann. Ein Entzug bei Komorbidität und Hochdosis-Benzodiazepin-Einnahme sollte dagegen stationär erfolgen.
Quelle: DGPPN* Kongress
* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
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