Suizid einer Frau zeigt, wie leicht man über Onlineshops an gefährliche Wirkstoffe kommt

Sabine Mattes

Pentobarbital wurde 1915 als Schlafmittel patentiert. Überdosiert führt es zum Herz- und Atemstillstand. Pentobarbital wurde 1915 als Schlafmittel patentiert. Überdosiert führt es zum Herz- und Atemstillstand. © Science Photo Library/DIGICOMPHOTO

Eine Selbsttötung mit Pentobarbital scheint hierzulande kaum möglich: Das Medikament wird nur noch im veterinärmedizinischen Kontext eingesetzt, Ausnahmen für Sterbewillige gibt es nicht. Verzweifelte Menschen finden dennoch Wege, sich das Mittel zu beschaffen – im Internet.

Pentobarbital ist in Deutschland als zugelassenes Fertigarzneimittel zur humanen Anwendung nicht mehr erhältlich. Das Schlaf- und Beruhigungsmittel gilt aufgrund seines schlechten Nebenwirkungsprofils und des hohen Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzials als obsolet. Wie andere Barbiturate wirkt Pento­barbital dosis­abhängig sedativ bis narkotisch. Überdosiert führt es schnell zu einer Atemdepression bis hin zu Atem- und Herzstillstand. Aufgrund dieser Wirkung wird es u.a. zur Sterbehilfe in der Schweiz oder zur Vollstreckung der Todesstrafe in den USA eingesetzt.

In Deutschland findet die Sub­s­tanz nur noch im veterinärmedizinischen Bereich Anwendung, v.a. beim Einschläfern von Tieren. Doch auch wenn das Verordnen letaler Dosen zur Selbsteinnahme hierzulande nicht erlaubt ist, scheint es möglich, ausreichende Mengen für einen Suizid zu erhalten. Das beschreiben ­­Nadja ­Walle­ vom Institut für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes in Homburg und Kollegen in einer Kasuistik.

Eine 53-jährige Frau, die seit Jahren unter schweren psychiatrischen Erkrankungen litt, war von ihrem Mann leblos im Bett aufgefunden worden. Sie hatte zuvor den Wunsch zu sterben geäußert und versucht, Kontakt zu einer Sterbehilfeorganisation in der Schweiz herzustellen. Die äußere Leichenschau lieferte jedoch keine Anhaltspunkte für einen Suizid.

Im Rahmen der Obduktion wurden kristalline Ablagerungen an der Magenschleimhaut der Verstorbenen festgestellt. Der Drogenvortest verlief positiv auf Barbiturate im Urin. Nachfolgende Untersuchungen konnten Pentobarbital und das Antiemetikum Meto­clopramid (MCP) in allen Körperflüssigkeiten und den entnommenen Gewebeproben nachweisen. Im Venenblut befanden sich etwa 32 mg/l Pentobarbital und 0,58 mg/l MCP. Zum Vergleich: Die Orientierungswerte für Pentobarbital in der Literatur belaufen sich im therapeutischen Bereich auf 1–5 mg/l, im toxischen Bereich auf 10–19 mg/l und im komatös-letalen Bereich auf 15–25 mg/l.

Gewebeproben sprachen für Aufnahme einer hohen Dosis

Die vorgefundenen Blut- und Organkonzentrationen deckten sich mit denen bereits beschriebener pentobarbitalbedingter Todesfälle, so die Autoren. Die hohe Konzentration der Substanz im Mageninhalt und die Ablagerungen an der Magenschleimhaut sprächen für die orale Aufnahme einer hohen Dosis. In Verbindung mit der Vorgeschichte der Verstorbenen deute alles auf einen Suizid durch Pentobarbital in Kombination mit MCP hin – analog zum Protokoll von Sterbehilfeorganisationen.

Zugang zu Pentobarbital hat in Deutschland v.a. veterinärmedizinisches Personal. Auch wenn über den Beruf der Verstorbenen nichts bekannt war, schlossen die Wissenschaftler in Anbetracht der Vorerkrankungen und ihres Gesamtzustandes eine solche Tätigkeit aus. Doch wie war sie dann an die Medikamente gelangt? Die Autoren vermuten eine einfache Erklärung: über das Internet. Einschlägige Onlineshops bieten Sterbewilligen Pento­barbital in verschiedenen Dosen und in Kombination mit anderen Wirkstoffen als „letzten Weg“ an. Unkompliziert und natürlich rezeptfrei, Preis zwischen 300 und 1.300 Euro. Antiquiert erscheinende Substanzen könnten so in neuem Kontext ein Comeback erleben, heißt es im Bericht. Dies gelte es bei einer postmortalen toxikologischen Analyse nicht zu vergessen, zumal die Lobby für Suizidbeihilfe stetig wachse.

Quelle: Walle N et al. Rechtsmedizin 2023; 33: 301-306; DOI: 10.1007/s00194-023-00622-3

 


 

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Pentobarbital wurde 1915 als Schlafmittel patentiert. Überdosiert führt es zum Herz- und Atemstillstand. Pentobarbital wurde 1915 als Schlafmittel patentiert. Überdosiert führt es zum Herz- und Atemstillstand. © Science Photo Library/DIGICOMPHOTO