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Sympathikusaktivität und Kortisolmangel befeuern die Inflammation
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Chronischer Stress ist nicht gesund. Er führt zu einem dauerhaft gesteigerten Sympathikotonus mit erhöhtem Blutdruck, erhöhter Herzfrequenz, Wassereinlagerung und Insulinresistenz. Doch hat er auch einen Einfluss auf rheumatische Erkrankungen? Gut möglich, denn chronischer Stress feuert über die Sympathikusachse Entzündungen an, sagte Prof. Dr. Georg Pongratz vom Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg.
Einer der beteiligten Faktoren ist das proinflammatorische wirkende Interleukin(IL)-6. In einem Versuch wurden Personen einer akuten Stresssituation ausgesetzt und die IL-6-Spiegel im Blut gemessen. Diejenigen mit hohem chronischen Stresslevel wiesen durch die zusätzliche psychische Beanspruchung höhere IL-6-Spiegel auf als Teilnehmende mit einem niedrigeren Baseline-Stressniveau. Zusätzlich reagieren Menschen unterschiedlich stark „entzündlich“ auf Stress: Das liegt daran, dass es es verschiedene Genmutationen für den IL-6-Promotor gibt. Dieser ist bei der Regulation der IL-6-Expression und damit auch an der Entwicklung entzündlicher Prozesse beteiligt, wie der Referent erklärte.
Frisch Geimpfte sollten nicht meditieren
Auch in der Zelle lässt sich nachweisen, dass seelische Belastung die Inflammation fördert. So aktivieren durch Stress ausgeschüttete Katecholamine den NF-kB-Signalweg, der eine entscheidende Rolle bei Entzündungsprozessen spielt. Die Intensität der NF-kB-Signalübertragung steigt in peripheren B-Zellen unter Stress an, wie Versuche an Gesunden zeigen.
Akuter Stress kann durch Katecholamine aber auch die humorale Immunität fördern. Es steigt die Konzentration von Zytokinen wie IL-10 und IL-4, die die B-Zellen dazu bringen, Antikörper zu produzieren. Das lässt sich in der Zellkultur nachvollziehen: Werden B-Zellen mit Noradrenalin stimuliert, steigen die Konzentrationen von IgE und IgG. Aus diesem Grund sollte man Menschen nach einer Impfung nicht meditieren lassen, sagte Prof. Pongratz. Denn der innere Shift vom B-Zell-aktivierenden Sympathikus zum Vagus stört die Immunantwort.
In einer Untersuchung wurden 62 Probandinnen und Probanden mit einem neuen Proteinantigen geimpft. Diejenigen, die unmittelbar nach Beendigung eines 8-wöchigen Achtsamkeitskurses immunisiert wurden, hatten 32 Wochen später deutlich weniger spezifische IgG entwickelt als Teilnehmende, die vor der Impfung kein Meditationsseminar genossen hatten.
Stress wirkt jedoch nicht nur über die Sympathikusachse inflammatorisch. Er aktiviert den Hypothalamus, wodurch Kortisol erst hochgepeitscht und dann aufgebraucht wird. Langfristiger Stress führt damit letztendlich zu Störungen in der Kortisolachse, vermutlich zu einer Depletion, so der Referent.
Belastungsstörung als Modell für chronischen Stress
Der Kortisolmangel wurde bei Vietnam-Veteranen mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) nachgewiesen. Die PTBS gilt u. a. deswegen als Modell für chronische Stressbelastung, weil die Betroffenen eine erhöhte Aktivität des hormonellen Stresssystems und erniedrigte Kortisolspiegel aufweisen. So war es auch bei den ehemaligen Soldatinnen und Soldaten: Je ausgeprägter ihre PTBS-Beschwerden waren, desto geringere Kortisolkonzentrationen wurden im Plasma gemessen.
Kriegserfahrung und Autoimmunerkrankungen
Ob Veteraninnen und Veteranen mit Posttraumatischer Belastungsstörung häufiger an einer Autoimmunerkrankung leiden als die Gesamtbevölkerung, untersuchte eine US-amerikanische Arbeitsgruppe. Tatsächlich war die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten jeglicher Autoimmunerkrankungen mehr als dreimal so hoch (adjustierte Odds Ratio, aOR, 3,3). Das Risiko für eine rheumatoide Arthritis erhöhte sich auf das Fünffache, das für eine Hypothyreose auf mehr als das Achtfache (aOR 5,2 bzw. 8,5).
Der Hormonmangel hat jedoch Folgen. Normalerweise bremst Kortisol die akute, stressbedingte Inflammation. Fehlt es, kann die stressinduzierte Entzündung weiter schwelen und bei passender Genetik und anderen Faktoren (z. B. mikrobielle Infekte) eine Autoimmunerkrankung auslösen oder begünstigen.
Die Stress-Rheuma-Hypothese wird durch zahlreiche Untersuchungen untermauert. Schon 1968 wurde eine Studie publiziert, in der von sieben monozygoten Zwillingspaaren je ein Zwilling eine rheumatoide Arthitis bzw. juvenile idiopathische Arthritis (JIA) entwickelt hatte. Als dominanter Unterschied zum gesunden Geschwister stellte sich in den meisten Fällen psychischer Stress heraus. Andere Untersuchungen zeigten auf, dass adoptierte Kinder oder Kinder in Scheidungssituationen häufiger eine JIA entwickeln als Kinder, die solchen Situationen nicht ausgeliefert sind.
In einer kanadischen Studie mit 686 JIA-Betroffenen und 1042 Kontrollen erwies sich Stress als unabhängiger Risikofaktor: Ein schwerer Verlust oder chronisch kranke Angehörige vervierfachten bzw. verdoppelten das Risiko, zu erkranken.
In der Nurses Health Study stieg das Risiko für eine rheumatoide Arthritis mit ansteigender Anzahl von PTBS-Symptomen. Ähnliches galt in der gleichen Kohorte für den systemischen Lupus erythematodes (SLE), erklärte der Referent.
Reaktion zeigt sich erst Monate nach Stressereignis
Doch nicht nur die Entwicklung eines SLE, sondern auch die Krankheitsaktivität ist mit subjektiv wahrgenommenem Stress assoziiert. Interessant dabei: Die Reaktion, erkennbar an Signalen im SLEDAI*, kommt erst vier bis fünf Monate nach einem Stressereignis ans Licht. Schlussendlich untermauert auch eine große schwedische, populations- und geschwister-gematchte Kohortenstudie die Stress-Rheuma-Assoziation. Darin wurde nachgewiesen, dass Stress das Risiko für fast alle Autoimmunerkrankungen erhöht.
* Systemic Lupus Erythematosus Disease Activity Index
Quelle: Kongressbericht Deutscher Rheumatologiekongress 2024
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