Wenn Kortisol den Körper flutet

Dr. Vera Seifert

Ausgeprägte Striae und stammbetonte Adipositas sprechen bei hohen Kortisolspiegeln im Blut für ein Cushingsyndrom. Ausgeprägte Striae und stammbetonte Adipositas sprechen bei hohen Kortisolspiegeln im Blut für ein Cushingsyndrom. © Science Photo Library; alkov – stock.adobe.com

Problem erkannt – Problem gebannt: So einfach ist es beim Morbus Cushing leider nicht. Der Glukokortikoidexzess ist mit vielen Komorbiditäten verbunden, die auch nach einer erfolgreichen OP oft nicht verschwinden. Trotzdem lohnen sich diagnostische Anstrengungen. Unbehandelt ist die Prognose des Cushing deutlich schlechter.

Wann sollte man überhaupt nach einem Cushingsyndrom fahnden? Ein einzelnes Symptom, das pathognomonisch ist für einen Hyperkortisolismus, gibt es nicht, schreiben Prof. Dr.  Mônica ­Gadelha von der Universität Rio de Janeiro und Kollegen. Hellhörig sollte man aber werden bei prämenopausalen Frauen oder Männern unter 65, die an Osteoporose leiden, und bei Personen unter 40 mit Hypertonie. Typische Cushingsymptome sind außerdem stammbetonte Adipositas, breite vio­lette Dehnungsstreifen am Bauch, Vollmondgesicht, Akne, Hirsutismus und verstärk­te Neigung zu Hämatomen und Kraftlosigkeit in den proximalen Muskeln. Treten diese Zeichen nicht in Kombination, sondern nur einzeln auf, könnte auch ein metabolisches Syndrom oder ein Polyzystisches Ovarialsyndrom dahinterstecken.

Sind mindestens zwei der drei folgenden Tests auffällig, gilt der Hyperkortisolismus als bestätigt:

  • Messung von Kortisol im Speichel (spätabends)
  • Bestimmung von freiem Kortisol im 24-Stunden-Urin
  • Dexamethason-Hemmtest

Bei der Ursachenforschung hilft die ACTH-Konzentration weiter. Spiegel < 10 pg/ml sprechen für ein Nebennieren-Adenom, das sich mit Computer- oder Magnetresonanz­tomografie nachweisen lässt.

Werte > 20 pg/ml machen ein ACTH-abhängiges Cushingsyndrom sehr wahrscheinlich. Dessen häufigste Ursache ist der Morbus Cushing, der durch einen ACTH-produzierenden Tumor der Hypophyse entsteht. Auch in diesem Fall kommt zum Nachweis die Bildgebung (MRT) ins Spiel. Liegen die  ACTH-Spiegel zwischen 10 und 20 pg/ml, sind verschiedene Ursachen möglich und im Zweifel muss reevaluiert werden. Weist der ­Patient jedoch klassische Symptome auf, kann man den Autoren zufolge von einem ACTH-abhängigen Cushing­syndrom ausgehen.

Cushingsyndrom durch Gendefekte

Die Genforschung im Hinblick auf das Cushingsyndrom hat inzwischen große Fortschritte gemacht. Man kennt mittlerweile mindestens 15 verschiedene Genorte, die mit unterschiedlichen Erkrankungen (Morbus Cushing, Nebennierenadenom, adrenales Karzinom oder bilaterale micronodulare adrenale Hyperplasie) in Verbindung stehen. Ob diese Erkenntnisse in einen Routine-Gentest für Cushingpatienten münden sollten, ist bislang aber unklar.

Lässt sich mittels MRT ein Makro­adenom im Bereich der Hypophyse nachweisen, ist die Diagnose Morbus Cushing bestätigt. Findet man nichts oder nur ein winziges Adenom (< 6 mm), das auch in der Allgemeinbevölkerung häufig vorkommt, ist weitere Diagnostik erforderlich. Mittels eines sogenannten selektiven Sinus-petrosus-Katheters kann Blut aus der Nähe der Hypophyse entnommen werden, um doch noch eine hypophysäre Überproduktion nachzuweisen. Nach einer ektopen ACTH-Produktion, z.B. in Tumoren von Lunge, Pankreas oder Schilddrüse, kann man mit einer Ganzkörper-Bildgebung suchen.

Goldstandard bei der Behandlung eines adenombedingten Cushingsyndroms bleibt die Operation. Beim Morbus Cushing lässt sich durch Entfernung des Hypophysentumors eine Remissionsrate von 80 % erreichen. Danach erhalten die Patienten bis zur Erholung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse eine Glukokortikoidsubstitution. Rezidive sind mit bis zu 18 % relativ häufig und können auch noch Jahrzehnte nach der OP auftreten. Ein Nebennierenadenom wird ebenfalls primär chirurgisch behandelt. Bei beidseitigen makronodulären Adenomen erreicht die unilaterale Adrenal­ektomie ­Remissionsraten von 93 %.

Bei Persistenz oder Rezidiv nach einer OP oder für Patienten mit schwerem Hyperkortisolismus, die eine rasche Hormonkontrolle benötigen, kommt eine medikamentöse Therapie infrage. Verfügbar sind eine Reihe von ­Steroidgeneseinhibitoren wie ­Ketoconazol, Levoketoconazol, Metyrapon und Osilodrostat. Wegen unterschiedlicher Ansprechraten und Nebenwirkungen ist bei der Auswahl individuell vorzugehen.

Schweren Fällen vorbehalten sind Mitotan und Etomidat. Substanzen, die bei Hypophysentumoren eingesetzt werden können, sind der Dopaminagonist Cabergolin und der Somatostatin-Rezeptor-Ligand Pasireotid. Mifepriston steht als einziger Glukokortikoid-Rezeptorantagonist für Patienten mit schwerem Cushingsyndrom zur Verfügung.

Möglichst verschiedene Präparate kombinieren

Patienten mit Cushingsyndrom, bei denen eine medikamentöse Therapie infrage kommt, sollten möglichst mit mehreren Substanzen behandelt werden, raten die Forscher. So können sich verschiedene Wirkmechanismen effektiv ergänzen und niedrigere Dosen der Einzelwirkstoffe die Nebenwirkungen reduzieren.

Trotz erfolgreicher Therapie lässt die Lebensqualität von Cushingpatienten oft noch zu wünschen übrig. So können bis zu zwei Jahre vergehen, bis sich die Knochendichte verbessert. Bei der Myo­pathie dauert es noch länger. In einer Studie, die Cushingpatienten nach der Remis­sion untersuchte, war ein Diabetes nur bei 56 %, eine Depression bei 52 % und eine Hypertonie bei 32 % der Patienten nicht mehr nachweisbar. Die Dyslipidämie persistierte sogar bei 75 %. Auch wenn alle Patienten nach der Therapie abnehmen, sind drei Viertel fünf Jahre nach ­Remission noch übergewichtig.
Eine frühzeitige Behandlung ist trotz dieser teils unbefriedigenden Reponseraten wichtig, betonen die Autoren. Denn ein besserer Prädiktor als der Kortisolspiegel für eine langfristig schlechtere Lebensqualität scheint eine späte Diagnose zu sein.

Quelle: Gadelha M et al. The Lancet 2023; DOI: 10.1016/S0140-6736(23)01961-X

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