Tablette statt Skalpell

Dr. Andrea Wülker

Bei bis zu 70 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes liegt ein adipositasassoziierter Diabetes vor, dessen primäres pathophysiologisches Merkmal eine Insulinresistenz ist. Bei bis zu 70 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes liegt ein adipositasassoziierter Diabetes vor, dessen primäres pathophysiologisches Merkmal eine Insulinresistenz ist. © iStock/Maryna Laroshenko

Ein Typ-2-Diabetes entwickelt sich oft auf dem Boden einer Adipositas. Schaffen es die Patienten, ihr Gewicht deutlich zu reduzieren, erleichtert das die Glukosekontrolle und beeinflusst Gesundheit und Lebensqualität positiv. Experten fordern daher, auch das medikamentöse Gewichtsmanagement in den Fokus der Therapie zu rücken.

Lange Zeit konzentrierte man sich in der Diabetesbehandlung fast ausschließlich auf die Blutzuckersenkung. Das änderte sich, als verschiedene Studien zeigten, dass einige moderne Antidiabetika einen kardiovaskulären Zusatznutzen bieten und das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulären Tod weitgehend unabhängig von ihrer glukosesenkenden Wirkung zusätzlich reduzieren konnten. Nun ging es bei Patienten mit Typ-2-Dia­betes und hohem kardiovaskulärem Risiko darum, sie von diesem zusätzlichen Benefit profitieren zu lassen. Doch nach wie vor konzen­triert sich die Therapie darauf, metabolische Spätfolgen der Erkrankung zu verhindern oder zu behandeln.

Diabetes ist bei 70 % adipositasassoziiert

Dabei könnte und sollte man viel früher ansetzen und den wichtigsten pathophysiologischen „Treiber“ des Typ 2 und seiner metabolischen Komplikationen adressieren – die Adipositas. Dies fordert das Team um Prof. Dr. Ildiko Lingvay von der Universität Texas in Dallas. „Eine nachhaltige Reduktion des Körpergewichts um mindestens 15 % induziert bei zahlreichen Patienten eine Diabetesremission und verbessert bei vielen weiteren Betroffenen die meta­bolische Situation ganz erheblich“, schreiben die Kollegen.

Bei bis zu 70 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes liegt ein adipositasassoziierter Diabetes vor, dessen primäres pathophysiologisches Merkmal eine Insulinresistenz ist. Klinisch fallen diese Patienten durch stammbetonte Adipositas, erhöhten Taillenumfang, Acanthosis nigricans, Bluthochdruck, Hypertriglyzerid­ämie oder nicht-alkoholische Fettleber auf. Bei dieser Gruppe sollte das Behandlungsziel eine Gewichtsreduktion von 15 % und mehr sein.

Eine Gewichtsabnahme in dieser Größenordnung ist ein ehrgeiziges Ziel, das sich bisher fast nur mithilfe der Adipositaschirurgie dauerhaft erreichen ließ. Bariatrische Operationen sind jedoch komplexe und aufwendige Eingriffe, die nicht flächendeckend zur Verfügung stehen. Intensive Lebensstilinterventionen wie Sport und Ernährungsumstellung führen bei einem Teil der Diabetespatienten vorübergehend zu einem gewissen Erfolg, doch häufig steigt das Gewicht innerhalb von ein bis drei Jahren wieder an.

Vor diesem Hintergrund gilt das Interesse neuen medikamentösen Behandlungsansätzen. Weltweit sind fünf Substanzen für das langfristige Gewichtsmanagement zugelassen: Orlistat, Phentermin-Topiramat, Naltrexon-Bupropion, Liraglutid und Semaglutid. Einer aktuellen systematischen Übersichtsarbeit zufolge senkte Semaglutid das Körpergewicht am effektivsten (durchschnittliche Gewichtsreduktion um 11,41 %, unterschiedliche Dosierungen), gefolgt von Phentermin-Topiramat (durchschnittlich 7,97 %, unterschiedliche Dosierungen).

Aktuell werden neue Substanzen geprüft wie etwa Tirzepatid, ein duales GLP1/GIP-Analogon. Tirzepatid führte in Phase-3-Studien zu einer effektiveren Senkung von Körpergewicht und HbA1c-Wert als Semaglutid. Eine weitere neue Substanz ist Cagrilintid, ein Amylinanalogon, das subkutan verabreicht werden muss. Cagrilintid wird derzeit in Studien auch in Kombination mit Semaglutid getestet. Man erwartet, dass die beiden Substanzen als Fixkombination aufgrund ihrer unterschiedlichen Wirkmechanismen zu einem Gewichtsverlust von 20–25 % führen könnten.

Weniger Kilos, weniger Komorbiditäten

Adipositas geht mit einer Reihe von Folgeerkrankungen und erhöhter Mortalität einher. Wenn es gelingt, das Körpergewicht angemessen zu senken, wirkt sich das nicht nur hinsichtlich der Prävention und Therapie von Typ-2-Diabetes positiv aus, sondern auch auf andere mit Adipositas assoziierte Komplikationen, z.B.:
  • obstruktive Schlafapnoe
  • nicht-alkoholische Fettleber
  • Arthrose
  • Hyperlipidämie
  • Bluthochdruck
  • koronare Herzkrankheit

Bei vielen Patienten sollte man die substanzielle Gewichtsabnahme als wichtiges Ziel in den Fokus der Diabetesthera­pie rücken und dies auch in die Leitlinien aufnehmen, fordern die Autoren. Maßnahmen zur Gewichtsreduktion kosten zwar Geld, doch langfristig dürfte sich die Investition lohnen, da Komplikationen der Adipositas verhindert werden können. Medizinisches Personal, das Typ-2-Diabetiker betreut, sollte zu allen Aspekten des Adipositasmanagements einschließlich neuer Therapiestrategien geschult werden, um Patienten bei der Gewichtsabnahme kompetent begleiten zu können. 

Quelle: Lingvay I et al. Lancet 2022; 399: 394-405; DOI: 10.1016/S0140-6736(21)01919-X

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Kaum zu sehen, aber therapeutisch sehr effektiv: Schon die Gewichtsreduktion um 5–10 % bessert die kardio-metabolische Situation.
Kaum zu sehen, aber therapeutisch sehr effektiv: Schon die Gewichtsreduktion um 5–10 % bessert die kardio-metabolische Situation. © Science Photo Library/ Science Source/TheVisualMD
Bei bis zu 70 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes liegt ein adipositasassoziierter Diabetes vor, dessen primäres pathophysiologisches Merkmal eine Insulinresistenz ist. Bei bis zu 70 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes liegt ein adipositasassoziierter Diabetes vor, dessen primäres pathophysiologisches Merkmal eine Insulinresistenz ist. © iStock/Maryna Laroshenko