Tödlicher Riss

Dr. Sonja Kempinski

Bei einem akuten Herzinfarkt denkt man womöglich erst mal nicht daran, dass eine spontane Koronardissektion vorliegen könnte. Für die Patienten kann das fatale Folgen haben. Bei einem akuten Herzinfarkt denkt man womöglich erst mal nicht daran, dass eine spontane Koronardissektion vorliegen könnte. Für die Patienten kann das fatale Folgen haben. © Science Photo Library/Herzog, Eric/Custom Medical Stock Photo

Ein gutes Drittel aller Herzinfarkte bei Patientinnen unter 50 Jahren beruht auf einer spontanen Koronardissektion. Trotzdem wird dieses Krankheitsbild oft zu spät erkannt – mit negativen Folgen für das Outcome.

Die spontane Koronardissektion gehört zu den eher seltenen kardialen Ereignissen: Nur etwa 1–4 % aller akuten Koronarsyndrome gehen auf ihr Konto. Patienten beiderlei Geschlechts sind mit durchschnittlich 45 bis 53 Jahren jünger als die traditionellen atherosklerotischen Herzpatienten. In über 90 % der Fälle trifft es Frauen, die typischerweise wenige oder gar keine klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren aufweisen, schreiben Dr. Thomas Gilhofer und Prof. Dr. Franz Eberli von der Klinik für Kardiologie im Stadtspital Zürich Triemli.

Weil zu selten überhaupt an dieses Krankheitsbild gedacht wird, besteht die Gefahr, dass die Koronardissektion verspätet oder gar nicht diagnostiziert wird. Ein verspäteter Therapiebeginn und die bei diesem Krankheitsbild komplizierte Revaskularisierung könnten der Grund dafür sein, dass die Sterblichkeitsrate bei Frauen mit Herzinfarkt doppelt so hoch ist wie bei gleichaltrigen Männern.

Bis zu 86 % der Patienten mit fibromuskulärer Dysplasie

Per definitionem handelt es sich bei einer spontanen Koronardissektion um die Abtrennung einzelner Schichten der Koronararterienwand. Spontan bedeutet, dass die Dissektion weder iatrogen noch atherosklerotisch oder traumatisch bedingt ist. Durch den Riss kann es zu einem intramuralen Hämatom kommen, das den koronaren Blutfluss behindert und zu Ischämie und Infarkt führt. Betroffen sind meist normale Gefäße oder Gefäße mit einer geschwächten Wandstruktur.

Die Ursachen für die Koronardissektion sind vielfältig. In bis zu 86 % findet sich gleichzeitig eine fibromuskuläre Dysplasie. Das entsprechende Risikoallel PHACTR1 gilt deshalb als genetischer Risikofaktor für die Erkrankung. Weitere Risikofaktoren sind erblich bedingte Bindegewebserkrankungen, polyzystische Nierenerkrankungen und hormonelle Veränderungen. Beschrieben wurde auch eine Assoziation mit chronisch-systemischen Entzündungen. Als Auslöser gelten zudem psychische und physische Belastungen. Dazu gehören z.B. isometrische Kraftübungen und intensive Valsalva-Aktivitäten (Husten, Stuhlgang, Geburt). Aber auch psychischer Stress und Sympathomimetika scheinen eine Triggerfunktion zu haben.

Klinisch präsentiert sich die Koronardissektion wie ein Herzinfarkt mit variablen Thoraxschmerzen. In manchen Fällen kommt es bereits präklinisch zu Schock oder plötzlichem Herztod. Diagnostisch sind ein erhöhtes Troponin und Isch­ämiezeichen im EKG wegweisend. In etwa 30 % sind im initialen EKG ST-Hebungen zu sehen, die anderen Fälle gelten als NSTEMI.

Risikofaktor Schwangerschaft

Auch Hormone spielen bei der Entstehung einer Koronardissektion eine Rolle. Sie können im Rahmen von Schwangerschaft, Kinderwunschbehandlung oder Hormonersatztherapie in den Wechseljahren zur Schwächung der Media führen. Zusätzliche hämodynamische Veränderungen wie ein gesteigertes Herzzeitvolumen in der Schwangerschaft erhöhen die intraarteriellen Scherkräfte und verursachen winzige Schäden in der Arterienwand, die eine Dissektion begünstigen. Aus diesen Gründen ist die spontane Koronardissektion mit 43 % aller Fälle auch die häufigste Ursache für Herzinfarkte in der Schwangerschaft.

Bei bis zu 10 % breitet sich das intramurale Hämatom aus

Die Notfallversorgung ist die gleiche wie beim Infarkt: Plättchenhemmer, Heparin und schnelle Verlegung ins Katheterlabor. Wird dort in der (vorsichtigen!) Angiographie eine Koronardissektion diagnostiziert, schließt sich ein spezielles Prozedere an. Bei der spontanen Koronardissektion sind die spontanen Heilungstendenzen groß. Deshalb werden hämodynamisch stabile Patienten, die zum Zeitpunkt der Untersuchung beschwerdefrei sind, konservativ behandelt. Da sich jedoch bei bis zu 10 % das intramurale Hämatom ausbreitet, müssen die Patienten zur Kontrolle für drei bis fünf Tage stationär bleiben. Hochrisikopatienten mit Hauptstammbeteiligung, bleibenden Schmerzen, Rhythmusstörungen oder hämodynamischer Instabilität werden einer aortokoronaren Bypass-Operation oder einer PTCA zugeführt. Diese Verfahren haben bei der Koronardissektion einige Besonderheiten:
  • Bei der Bypass-OP verzichtet man meist auf arterielle Grafts, um diese für spätere Eingriffe (z.B. aufgrund atherosklerotischer Stenosen) aufzusparen. Hintergrund dafür ist, dass das Nativgefäß nach Resorption des intramuralen Hämatoms meist wieder durchgängig wird und der Bypass sich verschließt. Deshalb können hier weniger haltbare venöse Grafts verwendet werden, erklären die Kardiologen.
  • Bei der PTCA werden je nach Befund längere Stents eingesetzt oder nur eine Ballondilatation durchgeführt. Manchmal verwenden die Kardiologen auch spezielle Cutting-Ballone. Diese haben feine Klingen an der Oberfläche, mit denen das Hämatom angeritzt und entlastet wird. Insgesamt ist die PTCA bei der Spontandissektion diffizil, weil oft das wahre Lumen nicht sondiert werden kann. Deshalb ist dieses Verfahren mit einer relativ niedrigen Erfolgsrate von etwa 50–70 % belastet.
Unklarheit herrscht noch darüber, wie bei der spontanen Koronardissektion die ideale medikamentöse Nachbehandlung aussieht. Manche Experten plädieren für die langfris­tige Gabe von ASS, vor allem bei bestehenden Risikofaktoren wie einer fibromuskulären Dysplasie. Die duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel wird nur in ausgewählten Fällen empfohlen. Antikoagulation, Thrombolyse und Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitoren sind aufgrund des Einblutungsrisikos in das Hämatom zu vermeiden.

Jeder dritte Patient leidet unter Angst oder Depressionen

Einer kanadischen Studie zufolge senken Betablocker nach Koronardissektion das Risiko für Rezidive. ACE-Hemmer sollen günstig sein für das Remodeling der Infarkt­narbe. Liegt eine Hypertonie vor, ist es essenziell, diese optimal einzustellen. Nach einer Koronardissektion ist eine Reha sinnvoll. Neben der üblichen Bewegungstherapie und einem angepassten Krafttraining (mit reduziertem Widerstand) sollte dabei auch die psychosoziale Beratung berücksichtigt werden. Denn ein Drittel der Patienten leidet unter Angststörungen und Depressionen.

Quelle: Gilhofer TS, Eberli F. Swiss Med Forum 2022; 22: 102-108; DOI: 10.4414/smf.2022.08879

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