Über Antikörpertiter, Impfreaktionen und Erkrankungsverläufe

Ulrike Viegener

Was gibt es Neues zu SARS-CoV-2 bei Krebspatienten? Was gibt es Neues zu SARS-CoV-2 bei Krebspatienten? © iStock/Enes Evren

In den Zulassungsstudien für SARS-CoV-2-Vakzine waren onkologische und immunsupprimierte Patienten ausgeschlossen. Da sie ein erhöhtes Risiko für fulminante COVID-19-Verläufe haben, ist der Erkenntnisbedarf groß.

B-Zell-Depletion schmälert die Serokonversionsrate

In einem Research Letter berichten Dr. Thomas Ollila, Lifespan Cancer Institute at Rhode Island Hospital, und Kollegen über ihre retrospektive Studie, in der sie die Antikörper von Erwachsenen mit malignen hämatologischen Erkrankungen analysierten. Die 160 Patienten hatten eine der drei von der FDA zugelassenen COVID-19-Vakzine erhalten. Sie waren zwischen 65 und 79 Jahre alt. 105 hatten sich im Vorfeld einer Therapie mit einem B-Zell-depletierenden monoklonalen Antikörper – meist Rituximab – unterzogen.

Eine Serokonversion verzeichneten die Forscher bei 39 % der Patienten insgesamt, doch in der Kohorte mit B-Zell-Depletion nur bei 29 %. Zudem wirkte sich eine aktive maligne Erkrankung negativ auf die Rate aus, sie betrug 27 % im Vergleich zu 49 % bei Patienten in Remission und zu 67 % in der Watchful-Waiting-Gruppe. Menschen, die innerhalb des letzten Jahres eine Chemotherapie erhalten hatten, wiesen ebenfalls eine schlechtere Serokonversionsrate auf verglichen mit Personen, bei denen die Behandlung länger zurück lag (24 % vs. 69 %).

Patienten mit negativem qualitativem Test hatten einen medianen Antikörpertiter von nur 8 AU/ml, die mit positivem erreichten dagegen 4.289 AU/ml. Drei Menschen infizierten sich trotz Impfung mit COVID-19, einer von ihnen starb.

Die Autoren schlussfolgern, dass die verfügbaren Vakzinen Patienten mit malignen hämatologischen Erkrankungen vermutlich nicht zuverlässig schützen. Man solle sich deshalb bei ihnen nicht auf den Impfstatus verlassen, sondern konsequent weitere Schutzmaßnahmen anwenden.

Quelle: Ollila T et al. JAMA Oncol 2021; DOI: 10.1001/jamaoncol.2021.4381


mRNA-Vakzine trotz laufender Tumortherapie wirksam

In einer prospektiven Kohortenstudie wurde bei Patienten unter intravenöser Krebstherapie die Immunantwort auf die mRNA-Vakzine BNT162b2 untersucht. Forscher um Dr. Amir Massarweh, Davidoff Center, Petah Tikva, verglichen die Wirksamkeit bei 102 Patienten mit soliden Tumoren und 78 Probanden.1 Die Krebskranken litten an unterschiedlichen soliden Tumoren. Sie erhielten i.v. Zytostatika, Immuntherapeutika und/oder biologische Arzneimittel als Mono- oder Kombinationstherapie. Mindestens eine Dosis des jeweiligen Regimes war vor der ersten Vakzinierung verabreicht worden. Die gegen das Spikeprotein gerichteten IgG-Antikörper analysierten die Wissenschaftler frühestens 12 Tage nach dem zweiten Impftermin. 90 % der onkologischen Patienten und 100 % der Probanden waren seropositiv, d.h. sie hatten Antikörpertiter von mindestens 50 AU/ml. Die medianen Antikörpertiter lagen mit 1.931 AU/ml vs. 7.160 AU/ml bei den Krebskranken signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe. Per Multivarianzanalyse ließ sich nur eine Variable identifizieren, die signifikant mit niedrigeren Antikörpertitern assoziiert war, nämlich die Kombination von Chemotherapie und Immuntherapie. Die Autoren halten fest: Obwohl die klinische Relevanz niedriger Antikörpertiter unklar ist, spreche die Studie dafür, dass onkologische Patienten auch unter einer laufenden Krebstherapie geimpft werden sollten. In einem Research Letter ergänzen die Autoren die Daten der längeren Beobachtungszeit.2 Rund vier Monate nach dem zweiten Impftermin testeten die Wissenschaftler erneut die Titer beider Kohorten. Aufgrund von fünf Todesfällen und zwei Abbrüchen kamen diesmal 95 der ursprünglich 102 Krebspatienten und abbruchbedingt 66 der 78 Kontrollpersonen zur Auswertung. Von ihnen waren 87 % bzw. 100 % seropositiv. Die medianen Antikörpertiter fielen mit 417 AU/ml vs. 1.220 AU/ml bei den onkologischen Patienten erneut signifikant niedriger aus. In beiden Gruppen ließ sich eine lineare Abnahme der Titer über die Zeit feststellen. Immuntherapien kombiniert mit Chemotherapien oder Biologika waren signifikant mit niedrigen Antikörpertitern assoziiert. Von den zwölf beim Follow-up seronegativen Patienten waren acht bereits während der ersten Testung nach wenigen Wochen negativ gewesen. Eine Patientin mit Mammakarzinom, deren i.v.-Krebstherapie inzwischen beendet war, wurde im weiteren Verlauf seropositiv.

Quellen:
1. Massarweh A et al. JAMA Oncol 2021; 7: 1133-1140; DOI: 10.1001/jamaoncol.2021.2155
2. Eliakim-Raz N et al. JAMA Oncol 2021; DOI: 10.1001/jamaoncol.2021.4390


Kinder und Jugendliche mit Krebs gefährdet

Bei dieser Publikation handelt es sich nicht um eine Impfstudie, aber die Kohortenstudie liefert impfrelevante Informationen. In ihr untersuchte eine Arbeitsgruppe um Dr. Sheena Mukkada, St. Jude Children’s Research Hospital, Memphis, den Verlauf von COVD-19-Infektionen bei Kindern und Jugendlichen mit onkologischen Erkrankungen. Die Analyse basiert auf Daten des „Global Registry of COVID-19 in Childhood Cancer“ und umfasst 1.500 Kinder und Jugendliche, die an 131 Zentren in 45 Ländern behandelt wurden. Für 1.319 von ihnen liegt ein komplettes Follow-up über 30 Tage vor. Alle Teilnehmer litten an einer Krebserkrankung oder hatten eine hämatopoetische Stammzelltransplantation erhalten, und sie hatten sich alle mit COVID-19 infiziert. 259 Kinder bzw. Jugendliche (19,9 %) entwickelten einen schweren bzw. kritischen Infektionsverlauf, 50 (3,8 %) von ihnen starben deshalb. Bei 609 Patienten (55,8 %) wurde eine Modifikation der Krebstherapie vorgenommen. Per Multivarianzanalyse identifizierten die Autoren verschiedene Faktoren, die mit schweren bzw. kritischen Infektionsverläufen assoziiert waren:
  • Alter zwischen 15 und 18 Jahre (OR = 1,6),
  • absolute Lymphozytenzahl max. 300/mm3 (OR = 2,5),
  • absolute Neutrophilenzahl max. 500/mm3 (OR = 1,8),
  • intensive Therapie (OR = 1,8) und
  • niedriger bis mittlerer Einkommensstatus des Landes (OR 5,8).
Die US-amerikanischen Autoren betonen, dass die mit einer Modifikation der Krebstherapie verknüpften Variablen nicht dieselben waren wie die Determinanten schwerer Verläufe.

Quelle: Mukkada S et al. Lancet 2021; DOI: 10.1016/S1470-2045(21)00454-X


Radiatio beeinflusst Impfverträglichkeit nicht

Eine italienische Arbeitsgruppe um Dr. Silvia Scoccianti, Santa Maria Annunziata Hospital, Florenz, schreibt in einem Kommentar über ihre Beobachtungsstudie zum Einfluss einer Strahlentherapie auf die Verträglichkeit der Vakzine mRNA-1273. Denn eine Radiatio kann das Immunsystem supprimieren, aber auch stimulieren. Krebspatienten, die im letzten halben Jahr eine Radiatio erhalten hatten, wurden in der Studie berücksichtigt, jene, die sich einer Therapie mit Zytostatika, Immuntherapeutika oder zielgerichteten Krebsmedikamenten unterzogen hatten, ausgeschlossen. Im Abstand von 28 Tagen erhielten 153 onkologische Patienten zwei Dosen der mRNA-Vakzine. Als Kontrollkohorte dienten 185 geimpfte Probanden. Die Forscher befragten alle Teilnehmer telefonisch über ihre Impfreaktionen, und zwar an Tag 7 nach der Impfung mit Blick auf frühe Reaktionen sowie an den Tagen 12–14 und 28 mit Blick auf späte. Die berichteten Nebenwirkungen klassifizierten sie gemäß dem „CDC vaccine adverse event reporting system“ hinsichtlich ihres Schweregrads. Es gab keine relevanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Unter dem Vorbehalt, dass es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, spricht die italienische Erhebung dafür, dass eine weniger als sechs Monate zurückliegende Radiatio die Verträglichkeit der Vakzine nicht beeinflusst.

Quelle: Scoccianti S et al. Lancet Oncol 2021; DOI: 10.1016/S1470-2045(21)00427-7

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