Wie das Immunsystem von Krebspatienten auf COVID-19 und die Impfung reagiert

ESMO 2021 Dr. Daniela Erhard

Antikörper sind nicht alles im Kampf gegen Corona. Antikörper sind nicht alles im Kampf gegen Corona. © iStock/peterschreiber.media

Menschen mit Blutkrebs bilden schlechter Antikörper gegen SARS-CoV-2 oder dagegen gerichtete Vakzine, doch eine zelluläre Reaktion findet trotzdem oft statt. Die Art der Krebstherapie scheint indes den Impferfolg kaum zu beeinflussen – mit einer Ausnahme.

Krebskranke produzieren nach einer Impfung gegen SARS-CoV-2 oft nur verzögert und manchmal auch gar keine entsprechenden Antikörper. Ob sie deshalb auch schlechter vor COVID-19 geschützt sind, steht damit aber nicht fest – schließlich ist die humorale Antwort nur ein Teil der Immunreaktion. Neben den Antikörpern stellten britische Forscher in der CAPTURE-Studie daher auch die zelluläre Immunantwort bei Krebspatienten, die COVID-19 durchgemacht hatten oder dagegen geimpft wurden, in den Mittelpunkt. Die Daten stellte Dr. Scott Shepherd­ vom The Royal Marsden NHS Trust London vor.1

Von 118 Teilnehmern mit überstandener SARS-CoV-2-Infektion hatten 82 % Antikörper gegen die S1-Untereinheit des viralen Spike-Proteins gebildet, fast 90 % davon zusätzlich neutralisierende Antikörper. Die Antikörpertiter waren über den Beobachtungszeitraum von bis zu elf Monaten stabil. Patienten mit soliden Tumoren, die 82 % der Teilnehmer ausmachten, bildeten allerdings 3,4-mal häufiger neutralisierende Antikörper. Menschen mit hämatologischen Krebserkrankungen hatten deutliche Defizite.

Lymphompatienten unter CD20-Blockade bildeten keine S1-Antikörper

Zusätzlich stellten Dr. ­Shepherd und Kollegen bei den meisten Patienten eine Stimulation der CD4- und CD8-T-Zellen fest. Auch dieser Effekt war unter Erkrankten mit Blutkrebs insgesamt schwächer ausgeprägt, betraf aber nicht dieselben Personen, die schon die humorale Antwort vermissen ließen. So waren es die Lymphompatienten, die mehrheitlich eine Anti-CD20-Therapie erhielten, bei denen die Produktion von S1-Antikörpern komplett ausblieb. Dies wurde aber über eine hohe T-Zell-Aktivierung ausgeglichen, wie Dr. Shepherd erklärte. Die zelluläre Antwort fiel bei den Leukämiepatienten niedriger aus. Teilnehmer mit Myelom reagierten sowohl mit Antikörpern als auch über T-Zellen.

Hälfte der Geimpften hatte Antikörper gegen die Beta- und Deltavariante

Ähnliches beobachteten die Forscher, wenn sie Krebspatienten impften. Dabei verwendeten sie bei drei Viertel der Teilnehmer die Vektorvakzine AZD1222. Den übrigen verabreichten sie den mRNA-Impfstoff BNT162b2. Wie schnell und wie viele Antikörper die Betroffenen bildeten, hing davon ab, ob sie zuvor eine Infektion durchgemacht hatten.

Ohne vorherigen Viruskontakt führte die erste Dosis innerhalb von zwei Wochen nur bei 39 % der Geimpften zu S1-Antikörpern. Nach der zweiten Dosis zwölf Wochen später stieg die Quote auf 78 %. Neutralisierende Antikörper hatten 83 % – aber nur gegen den Wildtyp. Gegen die Beta- und Deltavariante fanden sich nur bei etwas mehr als der Hälfte der Geimpften Antikörper. Und auch die Titer lagen bis zu 2,8-mal niedriger als gegen den Wildtyp. Ähnliches war den Forschern schon bei Patienten mit überstandener Infektion aufgefallen. Dr. Shepherd warnte daher davor, die Antikörper nur gegen den Wildtyp des Virus zu testen. Das könne den Schutz vor Varianten überschätzen und Patienten in falscher Sicherheit wiegen.

Auch nach den Impfungen zeigten sich bei den Menschen mit hämatologischen Malignitäten besonders niedrige Neutralisierungstiter: Fast 70 % von ihnen hatten nach zwei Impfdosen keine messbaren neutralisierenden Antikörper gegen die Deltavariante. Einen Unterschied zwischen Leukämie, Myelom oder Lymphom gab es hierbei nicht. „Da sind alle gleich schlecht“, konstatierte Dr. ­Shepherd. Eine CD20-Therapie reduzierte bei den Geimpften die Konzentration neutralisierender Antikörper aber auch gegenüber den Wildtyp.

Bessere Impfreaktion nach überstandener Infektion

Deutlich stärker fiel der Effekt der Impfung aus, wenn Krebspatienten schon eine SARS-CoV-2-Infektion hinter sich hatten – und das waren 31 % der 585 Personen in der Impf-Kohorte. Bei ihnen wirkte die Infektion wie ein Booster, und sie hatten bereits nach der ersten Immunisierung deutlich mehr Antikörper als nicht-infizierte Teilnehmer. Das galt auch für Menschen mit Blutkrebs. Zudem waren nach vollständiger Vakzinierung bei vorangegangener Infektion häufiger Antikörper gegen Varianten nachweisbar, wie Dr. Shepherd­ erklärte. Was insgesamt für eine dritte Vakzinierung bei SARS-CoV-2-naiven Patienten spreche.

Personen mit soliden Tumoren entwickelten ähnlich häufig eine T-Zell-Antwort wie die mit hämatologischen. Sie hatten zudem eine deutlich bessere Neutralisierungsaktivität, die ähnlich hoch war wie die altersentsprechender gesunder Kontrollpersonen. Die Studienautoren vermuten daher, dass unterschiedliche Immunantworten zwischen Patienten mit soliden Tumoren eher auf das Alter zurückzuführen seien als auf den Krebs oder die Therapie.

Unter Chemotherapie bilden 16 % zu wenig Antikörper für eine Virusabwehr

Ob das tatsächlich so ist, daran forschen derzeit einige andere Arbeitsgruppen. Mehr Licht ins Dunkel soll unter anderem die niederländische VOICE-Studie bringen. In ihr untersuchen die Initiatoren prospektiv die Effekte der Impfung bei SARS-CoV-2-naiven Tumorpatienten unter Immun-, Chemo- oder Immunchemotherapie und vergleichen sie mit denen bei Probanden. Ihre Vermutung, so Dr. Dr. Sjoukje Oosting von der Universität Groningen: Die Behandlung könnte die Wirkung der Vakzinierung sehr wohl herabsetzen und die Gefahr von Nebeneffekten erhöhen.2

Insgesamt impften die Ärzte 503 Menschen mit Krebs und 240 Kontrollpersonen vollständig mit zwei Dosen der Vakzine mRNA-1273 im Abstand von vier Wochen. Noch einmal vier Wochen später hatten alle Gesunden sowie die Patienten unter Immunchemotherapie Antikörper gebildet. Bei Immuntherapie waren es 99,2 %, bei Chemotherapie 97,4 %. Alles in allem war die Antikörperantwort von Krebskranken nicht niedriger als in der Kontrollgruppe.

Allerdings reichte ihre Konzentration nicht immer, um Viren auch ausreichend zu neutralisieren. Obwohl die Ansprechraten sehr hoch lägen und sehr ermutigend seien, gebe es immer noch eine Minderheit, die keine adäquate Menge an Antikörpern bilde, fasste Dr. ­Oosting zusammen. Am häufigsten traf dies mit 16,2 % unter Chemotherapie zu. Immerhin konnten die Mediziner aber bei fast jedem zweiten der gar nicht oder nur schwach ansprechenden Teilnehmer eine Spike-spezifische T-Zell-Antwort messen. Bei denjenigen, deren Antikörper genügten, erreichte die Quote 70 %.

Impfnebenwirkungen unter der Therapie nicht erhöht

Die Nebenwirkungen unterschieden sich zwischen Gesunden und Tumorpatienten nicht grundlegend. Unter den 503 Erkrankten traten jedoch 16 schwere unerwünschte Effekte auf – meist Infektionen und Fieber, wie man es in solchen Patientenkohorten erwarten würde, sagte Dr. ­Oosting. Zwei Thrombembolien und ein Fall von Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) bewerteten die Forscher als potenziell durch die Impfung verursacht. „Ein SJS ist aber ebenso als Nebenwirkung von Checkpoint-Inhibitoren bekannt. Und das war bei diesem Patienten auch die wahrscheinlichste Ursache“, erklärte die Onkologin.

Zu immunvermittelten Ereignissen kam es 14 Mal. Sie verliefen offenbar meist mild und hätten den typischen Nebeneffekten einer Immuntherapie entsprochen. Insofern scheine die Vakzine mRNA-1273 auch bei Menschen unter Krebstherapie sicher zu sein. Eine längere Nachbeobachtung soll zeigen, ob die Immunantwort bei Patienten und Kontrollen unterschiedlich lange anhält.

Expertin empfiehlt dritte Dosis – und Kombination von Vektor- und mRNA-Vakzinen

Nach Ansicht von Professor Dr. Marie­ von Lilienfeld-Toal handelt es sich bei beiden Studien um sehr gut designte Arbeiten.3 Nun stelle sich unter anderem die Frage, nach welchem Schema man Krebspatienten am besten impfen sollte. Dabei gehe es um die Anzahl der Dosen, aber auch die Abstände dazwischen und die mögliche Kombination unterschiedlicher Vakzinen.

Die Jenaer Hämato-Onkologin sprach sich dabei ähnlich wie Dr. Shepherd für eine dritte Impfung aus. So zeigten erste Ergebnisse bei Organempfängern unter Immunsuppression, dass diese mit drei Dosen gute Chancen hätten, seropositiv zu werden. Und möglicherweise komme es nicht nur auf das Mehr an. Nach Erhalt eines Vektorimpfstoffs könne die serologische Antwort schon kurz nach der zweiten Dosis stärker ausfallen, wenn man dafür eine mRNA-Vakzine wählt. Es sei denkbar, dass der verstärkende Effekt einer vorangegangenen COVID-19-Infektion dem gleichen Prinzip folgt.

Quellen:
1. Shepherd S et al. ESMO Congress 2021; Abstract1557O
2. Oosting S et al. ESMO Congress 2021; Abstract LBA8
3. von Lilienfeld-Toal M. ESMO Congress 2021; Presidential symposium 3
ESMO Congress 2021

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Antikörper sind nicht alles im Kampf gegen Corona. Antikörper sind nicht alles im Kampf gegen Corona. © iStock/peterschreiber.media