Cartoon Gesundheitspolitik

„Und dann sind Sie ganz schnell sehr, sehr allein“

Anouschka Wasner

Nutzenoptimierung im Gesundheitswesen kann positive Auswirkungen auf die Effizienz haben. Nutzenoptimierung im Gesundheitswesen kann positive Auswirkungen auf die Effizienz haben. © Elisa - stock.adobe.com

Die Ökonomisierung verändert den medizinischen Alltag. Immer mehr Ärztinnen und Ärzte stehen unter dem Druck, betriebswirtschaftliche Vorgaben über medizinische Notwendigkeiten zu stellen. Der Ärzte Codex will ethische Leitplanken bieten. Zwei DGIM-Mitglieder sprechen über konkrete Wege aus der Ökonomisierungsfalle. 

Nutzenoptimierung im Gesundheitswesen kann positive Auswirkungen auf die Effizienz haben. Aber es wirft auch ethische Fragen auf, wenn wirtschaftliche Überlegungen Einfluss auf die Entscheidungen zur medizinischen Versorgung nehmen und der Gewinn über das Patientenwohl oder das der Beschäftigten gestellt wird.

Der Ärzte Codex ist eine der Initiativen, die Ärztinnen und Ärzte unterstützen will, wenn diese angesichts einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens ihren ethischen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden können. Frau Prof. Dr. Petra-Maria Schumm-Draeger, ehemalige DGIM-Vorsitzende und eine der maßgeblichen Initiatoren des Codex, sagt, alle seien betroffen, von den Assistenzärztinnen und -ärzten bis zu den leitenden Ebene. „Die Ärzteschaft gerät zunehmend unter Druck, ihr Handeln einer betriebswirtschaftlichen Nutzenoptimierung unterzuordnen.“ Das Fallpauschalensystem setze wirtschaftliche Anreize, die nicht immer mit einer patientenzentrierten Medizin vereinbar sind.

Besonders davon betroffen seien die Sprechende Medizin und die Versorgung chronischer Erkrankungen.

Der 2017 initiierte Ärzte Codex „Medizin vor Ökonomie“ habe das Bewusstsein geschärft, sich kritisch mit Fragen der Ökonomisierung in der Medizin auseinanderzusetzen, so Prof. Schumm-Draeger. Er habe Ärztinnen und Ärzten Sicherheit vermittelt, Entscheidungen unbeeinflusst von finanziellen Anreizsystemen oder ökonomischen Drohungen zu treffen und immer primär medizinisch und am Patienten, an der Patientin als Mensch zu arbeiten.

Natürlich müsse effizient gearbeitet werden

Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin, Uniklinik RWTH Aachen, und gleichermaßen DGIM-Mitglied, unterstreicht, dass es nicht darum gehe, Ökonomisierung zu verteufeln. Natürlich sei zu begrüßen, dass sinnvoll bedarfsorientiert und effizient gearbeitet werden soll. „Aber wenn das Geld schon federführend im Prozess der Planung und des Handelns ist – und auch wenn das jetzt jeder von sich weist–, dann sollten wir das ansprechen.“

Denn ob Assistentin oder Assistent, ob Oberärztin oder Oberarzt, ob Chefärztin oder Chefarzt: „Irgendwann kommen Sie in eine medizinische Konfliktsituation, in der Sie genau wissen, was jetzt eigentlich belegtermaßen medizinisch sinnvoll ist, aber im Moment aus verschiedenerlei Gründen nicht machbar oder nicht gewünscht ist“, so Prof. Müller-Wieland. 

Dann könne man entweder Kompromisse machen, die man aber eigentlich aus medizinischer Überzeugung heraus nicht machen will oder kann. „Oder Sie formulieren das Problem gegenüber den Trägern oder den anderen Interessengruppen und geraten dadurch in ihrem Arbeitsverhältnis in einen Konflikt. Und dann sind sie ganz schnell sehr, sehr allein“, so Prof. Müller-Wieland.

Codex gibt Rückendeckung für „gutes ärztliches Handeln“

In solchen Fällen gebe der Ärzte Codex die Rückendeckung zu sagen, dass die rote Linie erreicht sei. „Es ist wichtig, dass die Ärzteschaft weiß, dass sie Rückendeckung hat. Nicht gegen jemanden, sondern für die Durchführung eines guten ärztlichen Handelns.“
Doch ein Kodex allein reicht nicht aus, um den ökonomischen Druck zu mindern. Um Medizinerinnen und Mediziner in Konfliktsituationen besser zu unterstützen, setzen sich Prof. Schumm-Draeger und Prof. Müller-Wieland für weitere konkrete Maßnahmen ein. Dazu zählen:

  •  Ombudsstellen in den Ärztekammern, um Verstöße gegen den Ärzte Codex zu melden,
  • anonyme Erfassungssysteme für Ärztinnen und Ärzte, die unter wirtschaftlichem Druck stehen und
  • die Integration von Ökonomisierungsfragen in Evaluationsbogen für die Weiterbildung. 

Erste Landesärztekammern – darunter Sachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg – haben bereits entsprechende Initiativen gestartet. Und in Sachsen soll ein anonymes Erfassungssystem installiert werden für Ärztinnen und Ärzte, die sich in einer bedrohlichen Situation bzw. unter wirtschaftlichen Druck befinden.

Eine nachhaltige Lösung erfordert jedoch politische Veränderungen. Prof. Müller-Wieland fordert: „Die Finanzierung muss sich daran orientieren, wie gut medizinische Probleme gelöst werden – nicht daran, wie viele Fälle abgerechnet werden können.“ Er plädiert für eine stärkere Investition in die strukturelle Krankenhausfinanzierung, eine gerechtere Verteilung der Mittel und eine stärkere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung.
Wenn Sie mehr zu den Hintergründen hierzu wissen wollen und wenn Sie hören wollen, wie unsere Gesprächspartner in unserem „Ja, aber!“-Spiel auf Aussagen reagieren wie: „Pay-for-Performance führt zu einer Reduzierung von medizinischen Fehlern und einer Verbesserung der Patientenversorgung“ – dann hören Sie rein in unsere neue Folge O-Ton Innere Medizin. 

Quelle: Medical-Tribune-Bericht 

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Nutzenoptimierung im Gesundheitswesen kann positive Auswirkungen auf die Effizienz haben. Nutzenoptimierung im Gesundheitswesen kann positive Auswirkungen auf die Effizienz haben. © Elisa - stock.adobe.com