
Veränderte Insulinabgabe von Insulinpumpen im Flugzeug?

Beim diesjährigen EASD-Kongress stellten M. Paterson et al. eine Untersuchung eines Konsortiums der europäischen Diabetesgesellschaft vor, in der es um die veränderte Insulinabgabe von Insulinpumpen während einer Flugreise ging (Abstract 836). Das hat zu Anfragen und Diskussionen geführt, weshalb an dieser Stelle darauf aus physikalischer und physiologischer Sicht eingegangen werden soll.
Das Thema ist nicht neu und taucht immer wieder einmal auf. Zum Beispiel gab es dazu bereits 2011 eine Veröffentlichung in Diabetes Care von B.G. King et al. [1]. Doch warum kommt der Verdacht auf, dass es im Flugzeug zu einer unbeabsichtigten Insulinabgabe aus der Insulinpumpe und in deren Folge zu einer Hypoglykämie kommen könnte?
Hintergrund: Regulierung des Kabinendrucks
Der technisch-physikalische Hintergrund ist, dass im Flugzeug der Kabinendruck heruntergeregelt wird auf einen Wert, der einer Höhe von 3.000 ft (2.438 m) über dem Meeresspiegel entspricht. Auf Meeresspiegelhöhe beträgt der äußere Luftdruck 760 Torr (entspricht 1.013 mbar, 760 mmHg, 101,3 MPa bzw. 1 atm). Das ist der Druck, den das Gewicht der Erdatmosphäre auf der Erdoberfläche in Meeresspiegelhöhe ausübt. Mit wachsender Höhe ist die Masse der Atmosphäre auf einen z. B. auf einem Berg stehenden Betrachter geringer, also auch der Druck.
Ein Flugzeug, das sich in der Höhe befindet, ist folglich einem geringeren äußeren Luftdruck ausgesetzt. Nach der barometrischen Höhenformel sind das in 6.000 m Höhe noch ca. 350 Torr (46,6 MPa), in 10.000 m Höhe ca. 200 Torr (26,7 MPa) und in 12.000 m Höhe noch ca. 150 Torr (20,0 MPa). Damit erhöht sich also mit zunehmender Flughöhe der Druckunterschied zwischen dem Innenraum des Flugzeuges und der äußeren Umgebung. Je größer dieser Unterschied ist, desto stärker muss das Material des Flugzeugrumpfes sein, was das Flugzeug zusätzlich schwerer macht. Um das Verhältnis von gewünschter Flughöhe, Rumpfstärke und der Verträglichkeit für die Passagiere zu optimieren, regelt man den Kabineninnendruck auf den Druckwert in einer Höhe von 3.000 ft, was einem Kabineninnendruck von 560 Torr (74,6 MPa) entspricht.
Nun herrscht allerdings im Reservoir der Insulinpumpe der Druck, bei dem sie befüllt wurde, also in Meeresspiegelhöhe von 760 Torr (Bemerkung: nicht zu verwechseln mit dem Innendruck der Insulinpumpe; zwischen dieser und der Außenwelt wird technisch ein Druckausgleich realisiert). Legt man eine Insulinpumpe während des Fluges ab, dann wird aufgrund des Druckunterschieds zum herabgeregelten Kabineninnendruck mehr Insulin herausfließen, als eingestellt wurde.
In-vitro-Versuch entspricht nicht dem Anwendungsfall
Dieses Experiment wurde in der auf der EASD-Tagung vorgestellten Untersuchung nachvollzogen: Man legte 26 Insulinpumpen in eine hypobarische Druckkammer und ahmte die Druckverhältnisse während eines normalen Verkehrsfluges nach. Die Abgaberate der Insulinpumpe war auf 0,60 Einheiten pro Stunde eingestellt, um eine in der Praxis gebräuchliche Rate zu repräsentieren. Die Insulinabgaberaten wurden gemessen und aufgezeichnet. Im Ergebnis zeigte sich, dass bei einem äußeren Druck von 550 Torr (73,3 MPa) 0,6 Insulineinheiten mehr aus der Pumpe abgegeben wurden als bei normalem Umgebungsdruck (760 Torr bzw. 101,3 MPa). Während eines simulierten 20-minütigen Sinkfluges zum Boden (Anstieg des Umgebungsdrucks von 550 auf 750 Torr) wurden aus dem Pumpenreservoire 0,51 Einheiten Insulin zu wenig abgegeben.
Allerdings muss man klarstellen, dass dieser In-vitro-Versuch überhaupt nicht dem Anwendungsfall entspricht. Im Normalfall befindet sich das Infusionsset nicht an der Luft, sondern im Unterhautfettgewebe. Im Gewebe herrscht ein Filtrationsdruck, der den Flüssigkeitsaustausch im Gewebe bestimmt [2]. Dieser beträgt ca. 10 mmHg (10 Torr). Im Bein ist er etwas höher als zum Beispiel im Arm, weil der hydrostatische Druck im Stehen von oben nach unten zunimmt. Generell gilt: Im Gewebe herrscht im Vergleich zum Luftdruck auf Meeresspiegelhöhe immer ein leichter Überdruck von ca. 10 mbar (10 Torr). Auch wenn sich der äußere Luftdruck ändert, der Gegendruck im Gewebe ist immer gegeben. Das bedeutet, dass es bei einem im Gewebe sitzenden Infusionsset aufgrund dieses Gegendrucks nicht zu einer erhöhten Insulinabgabe kommen kann, wenn sich der äußere Luftdruck verringert.
Mit abnehmendem Druck können Luftblasen entstehen
Nun ist das System aus Insulinreservoir, Infusionssetanschluss, Infusionsset und Kanüle nicht so dicht, dass der Druck darin bei 760 Torr bleibt. Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung passt sich dieses an den äußeren Luftdruck an. Dann ist der Druck aus dem System erst recht geringer als im Gewebe, kann also ohnehin keine zusätzliche Insulinabgabe bewirken. Allerdings tritt ein weiterer Effekt auf, nämlich ein Ausgasen. Denn mit abnehmendem Luftdruck entstehen laut des physikalischen Gesetzes nach William Henry in Flüssigkeiten – also auch in Insulin – Luftblasen. Diese wachsen mit abnehmendem Druck. Im schlimmsten Fall könnte ein geringer Insulinmangel auftreten. Relevant wäre dieser Effekt insbesondere, wenn die Luftblase im Reservoir größer werden würde als der Durchmesser der Ampulle. Auch sollte vermieden werden, dass die Luftblase in das Infusionsset befördert wird. Dazu sollte das Tragen der Pumpe mit der Ampullenöffnung nach oben vermieden werden.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Insulinabgabe durch Druckänderungen im Flugzeug nicht zu erwarten ist, eine Luftblasenbildung hingegen schon. Durch Tragen der Insulinpumpe mit der Ampullenöffnung nach unten kann man vermeiden, dass Luftblasen für eine Insulinlücke sorgen, die nur bei Menschen mit sehr geringem Insulinbedarf relevant ist. Bei der Omnipod sollten seitens der Geometrie des Pods sowieso keine Luftblasen ins Gewebe gelangen.
Das vorgestellte Experiment entsprach nicht den Anwendungsbedingungen, weshalb die Ergebnisse nicht auf den Alltag zu übertragen sind. Das belegen einige Mitglieder des EASD-Konsortiums in einer Publikation selbst [3]. Neben den auf der EASD-Tagung vorgestellten (und hier diskutierten) In-vitro-Ergebnissen werden in der Publikation retrospektive Real-World-Daten von Piloten mit Diabetes vorgestellt, die eine Insulinpumpe für ihre Therapie nutzen und über ein ärztliches Attest zum Fliegen von Flugzeugen verfügen. Dabei, also in vivo unter den realen Druckveränderungen im Flugzeug, kam es bei keinen der Piloten mit Insulinpumpenbehandlung zu einem Abfall des Glukosespiegels oder zu Episoden von Hypoglykämien. Die Autoren fanden das als Beleg dafür, dass die Verwendung von Insulinpumpen angesichts ihrer klinischen Vorteile auch im Flugzeug befürwortet werden kann.
EASD 2024
Literatur
[1] King BR, Goss PW, Paterson MA, Crock PA, Anderson DG. Changes in altitude cause unintended insulin delivery from insulin pumps: mechanisms and implications. Diabetes Care. 2011 Sep;34(9):1932-3.
[2] https://flexikon.doccheck.com/de/Effektiver_Filtrationsdruck
[3] Garden GL, Fan KS, Paterson M, Shojaee-Moradie F, Borg Inguanez M, Manoli A, Edwards V, Lee V, Frier BM, Hutchison EJ, Maher D, Mathieu C, Mitchell SJ, Heller SR, Roberts GA, Shaw KM, Koehler G, Mader JK, King BR, Russell-Jones DL; EASA Diabetes Consortium. Effects of atmospheric pressure change during flight on insulin pump delivery and glycaemic control of pilots with insulin-treated diabetes: an in vitro simulation and a retrospective observational real-world study. Diabetologia. 2024 Nov 4. doi: 10.1007/s00125-024-06295-1.
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).