Vocal-Cord-Dysfunction raubt die Luft

Dr. Anja Braunwarth Foto: thinkstock

Immer wieder entwickelt die 16-Jährige Luftnot unter Belastung, bei einem 1000-Meter-Lauf bricht sie sogar mit einer Synkope zusammen. Sie hat eine Tachypnoe und „pfeift“. In der Folge wird sie wegen eines schweren belastungsabhängigen Asthmas behandelt – eine Fehldiagnose!

Belastungsdyspnoen, für die sich organisch keine klare Ursache finden, dazu die bislang erfolglose Maximaltherapie eines „schweren belastungsabhängigen Asthma bronchiale“ – mit dieser Vorgeschichte kommt das Mädchen in die Fachkliniken Wangen.

Auch hier sind die durchgeführten Tests allesamt unauffällig: Es finden sich Normwerte im klinischen, immunologischen und allergologischen Labor und im Schweißtest, unauffällige Lungenfunktionsparameter sogar im Metacholintest (bei subjektiver Atemnot), normale Blutgase und normales Stickoxid (NO). Ein gastroösophagealer Reflux kann mittels Langzeit-pH-Metrie ausgeschlossen werden.


Allein die psychosoziale Ana­mnese erscheint auffällig. Schon im Kindergarten ist das Mädchen durch seinen Geltungsdrang aufgefallen, in der Grundschule hat es wegen Bauchschmerzen häufig gefehlt und musste deshalb eine Klasse wiederholen. Mit Gleichaltrigen kommt es nur noch schlecht klar, in die Schule will es nicht. Die Eltern sind nach schwieriger und gewalttätiger Trennungsphase geschieden, der neue Partner der Mutter lebt in der Familie.

Vocal-Cord-Dysfunction wird oft als psychische Störung verkannt

Angesichts der erhobenen Vorgeschichte, der Befunde und einer erneuten Synkope mit Luftnot während einer Gruppenaktivität in der Klinik diagnostizieren die Pädiater eine Vocal-Cord-Dysfunction (VCD). Sie entspricht einer intermittierenden, funktionellen, atemnotinduzierenden laryngealen Obstruktion während der In- oder Exspiration.

Bis 1980 galt die Vocal-Cord-Dysfunction als rein psychiatrisch, in den letzten Jahren wird es jedoch zunehmend differenzierter betrachtet, erklärt Dr. Thomas Spindler von der Kinderklinik der Fachkliniken Wangen. Betroffen sind auch Kinder und Jugendliche. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 14½ Jahren, die Patienten sind zu 85 % weiblich.

Symptome der Vocal-Cord-Dysfunction sind oft durch Anstrengung hervorgerufen

Die Symptome der Vocal-Cord-Dysfunction können bei den Patienten reproduziert werden, sie sind oft durch Anstrengung induziert. Viele Betroffene fallen durch hohen Ehrgeiz und Leistungsorientierung auf. Häufig gehören sie einem Sportverein an, stehen unter sozialem Stress. Viele haben Schwierigkeiten, sich von der Familie zu lösen. Die Inzidenz von Angststörungen ist erhöht.


In vielen Fällen erfolgt vor der Diagnose der Vocal-Cord-Dysfunction eine maximale Therapie, meist unter der Prämisse Asthma bronchiale. Vorausgegangene Intubationen und sogar Tracheotomien sind keine Seltenheit, berichtet Dr. Spindler.

Tatsächlich geht die Vocal-Cord-Dysfunction gehäuft mit einem Asthma und/oder einem gastroösophagealen Reflux einher. Neben einer Diagnostik mit Laryngoskopie und pH-Metrie sowie ggf. Bronchoskopie helfen einige klinische Kriterien wie z.B. nächtliche Beschwerden oder Besserung auf Betamimetika dabei, die beiden Krankheiten voneinander abzugrenzen (s. u.).

Bei der Vocal-Cord-Dysfunction keinesfalls verstärkt auf Medikamente setzen

Therapeutisch steht bei der Vocal-Cord-Dysfunction die Aufklärung von Patient und Eltern im Vordergrund. Im Akutfall gilt es vor allem, die Ruhe zu bewahren, betont Dr. Spindler. Gelingt es nicht, den Anfall zu durchbrechen, kann die Gabe von Midazolam oder niedrig dosiertem Propofol indiziert sein.

In der Dauertherapie der Vocal-Cord-Dysfunction werden Entspannungstechniken, Verhaltens- und Psychotherapie zur Bearbeitung von Konflikten bzw. Traumata eingesetzt. Außerdem helfen Atem- und Sprechtherapie.

Auf keinen Fall sollte eine bestehende Asthmamedikation gesteigert werden. Ziel ist vielmehr, jegliche evtl. überflüssige Medikation abzusetzen, lautet die klare Forderung von Dr. Spindler.

Hat der Patient eine Vocal-Cord-Dysfunction oder ein Asthma?

Asthmaanfall

Vocal-Cord-Dysfunction

Exspiratorisches Giemen,
evtl. inspiratorischer Stridor

Inspiratorischer Stridor,
evtl. exspiratorisches Giemen

Trigger: körperliche Belastung, Infekte, Allergien, Metacholin

Trigger: körperliche Belastung, Gerüche, Geschmack, Metacholin

manchmal Hyperventilation

oft Hyperventilation

Beginn und Ende meist protrahiert

Beginn und Ende meist abrupt

Luft anhalten nicht möglich

Luft anhalten möglich

oft Beschwerden in der Nacht

selten Beschwerden in der Nacht

erniedrigte Sauerstoffsättigung

normale Sauerstoffsättigung

Besserung auf Betamimetika

keine Besserung auf Betamimetika


Vortrag auf dem 38. Herbst-Seminar-Kongress des BVKJ

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