Cartoon Abrechnung und ärztliche Vergütung

Volle Erstattung statt Kostendifferenz

Dr. Gerd W. Zimmermann

Gefährlich: Krankenkassen haben Definitionsspielraum. Gefährlich: Krankenkassen haben Definitionsspielraum. © iushakovsky – stock.adobe.com

Seit 2017 gilt, dass bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung bei erstmaliger Auffälligkeit zunächst eine individuelle Beratung erfolgen muss - Beratung vor Regress nannte man das Prinzip und es klang vielversprechend. Doch aller Hoffnung auf Erleichterung zum Trotze bombardieren seither die Krankenkassen Ärztinnen und Ärzte mit Einzelregressforderungen. Jetzt haben die Kassen auch noch vor dem Bundesschiedsamt einen Erfolg zum Thema Kostendifferenz erzielt.

Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wurde zum 1. Januar 2017 festgelegt, dass bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung verordneter vertragsärztlicher Leistungen eine individuelle Beratung erfolgen muss, bevor weitere Maßnahmen festgesetzt werden können. Mit der gesetzlichen Regelung wurde die bis dahin als Regelprüfmethode vorgesehene Richtgrößenprüfung (die Auffälligkeitsprüfung) abgelöst und die Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung insgesamt neu strukturiert. Die Prüfung erfolgt seither anhand von zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen sowie den KVen getroffenen Prüfvereinbarungen. 

Bei der Ausgestaltung der Prüfungen einschließlich des Prüfgegenstandes sind die regionalen Vertragspartner frei und die Prüfmethode kann regional variieren (beispielsweise zwischen Richtgrößenprüfung, Durchschnittsprüfung oder Prüfung nach Zielwerten). Die Kassen haben diese gesetzliche Vorgabe jedoch in den vergangenen Jahren umgangen: Die Vertragsärztinnen und -ärzte werden seither mit Einzelregressforderungen geradezu bombardiert. 

Rahmenvorgaben von Krankenkassen doch wieder gekündigt

Im Mai 2020 hatten sich KBV und GKV-Spitzenverband auf eine Aktualisierung der Rahmenvorgaben zur Wirtschaftlichkeitsprüfung für ärztlich verordnete Leistungen verständigt. Diese sahen unter anderem vor, dass Ärzte im Falle eines Arznei- oder Heilmittelregresses nicht mehr für die gesamten Kosten einer unwirtschaftlichen oder unzulässigen Verordnung aufkommen müssen, sondern nur noch für den Differenzbetrag zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich verordneten Leis­tung. Allerdings haben die Kassen es sich dann anders überlegt und diese Rahmenvorgaben im März 2021 gekündigt. 

Beachtlich dabei ist: Als Grund für die Kündigung haben die Krankenkassen nicht etwa – wie man vermuten könnte – angegeben, dass sie bei Regressen weiterhin den vollen Forderungsbetrag „einkassieren“ wollen. Stattdessen hieß es, man habe Umsetzungsprobleme, weil die regionalen Krankenkassen sich geweigert hätten, die Rahmenvorgaben umzusetzen – der Arbeitsaufwand sei zu hoch. In den anschließenden Verhandlungen sollte die Berücksichtigung einer Kostendifferenz und die Fristhemmung von zwei Jahren durch Antragstellung bei Anträgen auf Einzelfallprüfung neu verhandelt werden. Da diese Verhandlungen Ende letzten Jahres nicht zur Zufriedenheit der Kassen führten, schaltete der GKV-Spitzenverband das Bundesschiedsamt ein.

Gefährlich: Krankenkassen haben Definitionsspielraum

Das Bundesschiedsamt hat nun entschieden, dass die Berücksichtigung einer Kostendifferenz nur dann vorzunehmen ist, wenn die in Rede stehende Verordnung unwirtschaftlich und nicht unzulässig und somit von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen ist. Ausgenommen vom Anwenden der Differenzschadensmethode sind dagegen ärztliche Verordnungen, die durch gesetzliche oder untergesetzliche Regelungen ausgeschlossen sind (§ 34 SGB V, Anlage 1 der Heilmittelrichtlinie und § 12 Abs. 11 der Arzneimittelrichtlinie).

Konkret bedeutet dies, dass bei einem Einzelregress, wie er mittlerweile offensichtlich zum Steckenpferd der Kassen geworden ist, der volle Rückforderungsbetrag geltend gemacht werden kann. Und da es in solchen Fällen einen Definitionsspielraum gibt, wird den Kassen insbesondere mit ihren Arzneimittelregressforderungen Tür und Tor für eine Intensivierung geöffnet. Die Frage ist zum Beispiel wie nach diesem Urteil die Verordnung von Arzneimitteln im Off-Label-Use oder bei Arzneimitteln, die durch die Anlage III der Arzneimittelrichtlinie nicht oder nur eingeschränkt verordnet werden dürfen, verfahren werden kann.

Eingeschränkt verordnungsfähig sind nach dieser Anlage zum Beispiel Analgetika, Antiphlogistika oder Antirheumatika in fixer Kombination mit anderen Wirkstoffen. Ausgenommen sind Kombinationen aus einem nicht-steroidalen Antirheumatikum (NSAR) mit einem Protonenpumpenhemmer (PPI) bei Patienten mit hohem gastroduodenalen Risiko, bei denen die Behandlung mit niedrigeren Dosen des NSAR und/oder PPI nicht ausreichend ist. 

Hier kann ich aktuell aus eigener Erfahrung sprechen: Die Prüfungsstelle der KV Hessen hat mir gerade einen Antrag der IKK Südwest auf Erstattung der Kosten für die Verordnung solcher Kombinationen in Höhe von 111,11 Euro zugeleitet. Alle Verordnungen stammen aus dem Jahr 2020 und stehen damit kurz vor der gesetzlich vorgegebenen Verjährungsfrist von zwei Jahren. 

Lapidar teilt das Prüfgremium mit, dass diese Frist nunmehr durch den – übrigens seitens der Kasse in keiner Weise begründeten – Antrag unterbrochen bzw. gehemmt werde. Ich müsse jetzt eine Begründung für die Verordnung beibringen und zwar mit der „kompletten Behandlungsdokumentation des Patienten“ (zum Zeitpunkt der ausgestellten Verordnungen), die meine Therapieentscheidung begründet hat.
Der Vorgang ist für das, was durch die Bundesschiedsamtsentscheidung nun möglich gemacht wird, exemplarisch. Problematisch sind künftig z.B. Verordnungen, die nach der Arzneimittelrichtlinie nur eingeschränkt möglich sind. Das aber hat man als Vertragsärztin/
-arzt nicht immer im Fokus, z.B. wenn die Verordnungsempfehlung eines Krankenhauses oder eines Facharztes im Spiel ist.

Die in der Folge beispielhaft genannten „gefährlichen“ Arzneimittelkombinationen aus der Anlage III der Arzneimittelrichtlinie verdeutlichen, wie sehr man bei deren Verordnung auf eine genaue Dokumentation des Verordnungsanlasses achten muss:

  •  Lipidsenker sind nur verordnungsfähig bei bestehender vaskulärer Erkrankung wie KHK, cerebrovaskulärer Manifestation, pAVK oder bei hohem kardiovaskulärem Risiko (über 20 % Ereignisrate/10 Jahre auf der Basis der zur Verfügung stehenden Risikokalkulatoren oder bei Patienten mit genetisch bestätigtem familiärem Chylomikronämie-Syndrom und einem hohen Risiko für das Entstehen einer Pankreatitis).
  • Bei der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 sind Glitazone (konkret Pioglitazon und Rosiglitazon) und Glinide (konkret Nateglinid und Repaglinid) ausgeschlossen, es sei denn es handelt sich im letztgenannten Fall um einen niereninsuffizienten Patienten mit einer Kreatinin-Clearance < 25 ml/min, bei dem die Behandlung mit Repaglinid erlaubt ist, soweit keine anderen oralen Antidiabetika infrage kommen und eine Insulintherapie nicht angezeigt ist.
  • Bei Diabetikern, die nicht mit Insulin behandelt werden, ist außerdem die Verordnung von Harn- und Blutzuckerteststreifen „verboten“, ausgenommen bei instabiler Stoffwechsellage, wie sie bei interkurrenten Erkrankungen, Ersteinstellung auf oder Therapieumstellung bei oralen Antidiabetika mit hohem Hypoglykämierisiko möglich ist. Die Verordnung ist dann aber grundsätzlich je Behandlungssituation auf maximal 50 Teststreifen beschränkt.
  • Bei insulinpflichtigen Diabetikern wird es dann sogar un­übersichtlich. Schnell wirkende Insulinanaloga (konkret Aspart, Glulisin und Lispro) sind nicht verordnungsfähig, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zu schnell wirkendem Humaninsulin verbunden sind. Ausgenommen sind lediglich Patienten mit einer Allergie gegen den Wirkstoff Humaninsulin, bei denen trotz Intensivierung der Therapie eine stabile adäquate Stoffwechsellage nicht erreicht werden konnte, mit schnell wirkenden Insulinanaloga aber nachweislich gelungen ist oder bei denen aufgrund unverhältnismäßig hoher Humaninsulindosen eine Therapie mit schnell wirkenden Insulinanaloga im Einzelfall wirtschaftlicher ist.
  • Selbst bei lang wirkenden Insulin­analoga (konkret Glargin, Detemir) ist eine Verordnung ausgeschlossen, solange sie – unter Berücksichtigung der notwendigen Dosierungen zur Erreichung des therapeutischen Zieles – mit Mehrkosten im Vergleich zu intermediär wirkendem Human­insulin verbunden sind. Ausgenommen werden hier lediglich Patienten, bei denen im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie auch nach individueller Therapiezielüberprüfung und individueller Anpassung des Ausmaßes der Blutzuckersenkung in Einzelfällen ein hohes Risiko für schwere Hypoglykämien bestehen bleibt, oder Patienten mit Allergie gegen intermediär wirkende Humaninsuline.

Fazit: Spätestens seit der aktuellen Entscheidung des Bundesschieds­amtes ist mit einer erheblichen Zunahme von Einzelregressanträgen der Kassen, insbesondere bei der Arzneimittelverordnung zu rechnen. Einen solchen Regressantrag kann man zwar leicht abwehren, wenn man die in der Arzneimittelrichtlinie für solche Arzneimittelkombinationen eindeutig definierten Ausnahme kennt und die entsprechende Dokumentation auf den individuellen Patienten und dessen Verordnung bezogen bereithält. Ärgerlich ist trotzdem der völlig unnötige Aufwand, der hier betrieben werden muss und der letztendlich auch zu Kosten führt, die sich in der Summe solcher Anträge erheblich addieren können.

Ergänzung: Bei der Wirtschaftlichkeit spielen auch Rabattverträge eine Rolle. So weist das Unternehmen Sanofi darauf hin, dass es mit allen gesetzlichen Krankenkassen Rabattverträge zu den Produkten Toujeo®, Lantus®, Apidra®, Insulin lispro Sanofi® und Insulin aspart Sanofi® abgeschlossen hat. Auf diese Weise würden aus wirtschaftlicher Sicht keine Mehrkosten im Vergleich zur Therapie mit Humaninsulin zulasten der GKV verursacht, heißt es in einem Schreiben.“

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Gefährlich: Krankenkassen haben Definitionsspielraum. Gefährlich: Krankenkassen haben Definitionsspielraum. © iushakovsky – stock.adobe.com