Cartoon Verordnungen

Auf den Einzelfall kommt es an

Michael Reischmann

Antidiabetika kosten die GKV mehr als 2 Mrd. Euro pro Jahr. Antidiabetika kosten die GKV mehr als 2 Mrd. Euro pro Jahr. © iStock/peterschreiber.media

Dass ein Arzt oder eine Ärztin einen ­Arzneiregress in sechsstelliger Höhe zahlen muss, kommt nur noch selten vor. Vielmehr sind es Einzelfallregresse, mit denen die Krankenkassen in der Breite Geld zurückholen wollen. Die KBV hätte ­gerne, dass hier einige Hürden eingezogen werden.

Der GKV-Spitzenverband schätzt, dass den Krankenkassen 2023 rund 17 Mrd. Euro für ihre Ausgaben fehlen werden. Ohne gesetzliche Vorkehrungen würde das den Zusatz­bei­trag um 1 bis 1,1 Prozentpunkte klettern lassen. „Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass Kostendämpfungsmaßnahmen in den nächsten Jahren die politische Agenda bestimmen werden“, sagt Dr. ­Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstand der Kassenärzt­lichen Bundesvereinigung (KBV).

Schwemme von Prüfanträgen „über Klein- und Kleinstbeträge“

„Die Krankenkassen suchen nach Möglichkeiten, die Löcher zu stopfen“, informierte Dr. Hofmeister die Vertreterversammlung der KBV Anfang März. „Ein beliebtes Mittel hierfür: Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regressforderungen.“ Manche KV werde mit Prüfanträgen von Kassen „über Klein- und Kleinstbeträge“ überschwemmt. Gemeint ist natürlich die gemeinsame Prüfstelle von KV und Kassen, die den Prüfanträgen nachgeht und ggf. auffällig gewordene Ärzt*innen anschreibt.

Zum klassischen Arzneiregress kommt es nur noch selten 

Was sich auf KV-Ebene tut, berichtete jüngst Dr. Wolfgang Lang­Heinrich, Vorstandsberater Pharmakotherapie der KV Hessen, bei einer ärztlichen Fortbildung. Sein Thema: „Wirtschaftlich verordnen bei Diabetes mellitus Typ 2.“ Schließlich sind Antidiabetika mit einem Umsatz von über 2,6 Mrd. Euro hierzulande die viertstärkste Arzneimittelgruppe.

Obwohl die Vertragsärzt*innen in Hessen bei den Verordnungskosten im Ranking der Kassenärztlichen Vereinigungen mit 472 Euro pro Versicherten im September 2021 auf Platz 2 standen (Bundesdurchschnitt: 526 Euro, teuerste KV: 677 Euro), machen sich auch hier die Kassen bemerkbar. 

Dabei sind die Richtgrößen- bzw. Durchschnittswertprüfungen kein großes Thema mehr. So gab es z.B. 2019 bei 18 eröffneten Arzneimittel-Verfahren nur noch einen Regress in Hessen (dito: 2018). Allerdings fielen in den Jahren 2016 bis 2021 bis zu 1.800 Einzelregressverfahren pro Quartal an. Nach zunächst fallender Tendenz drehte der Trend im 1. bis 3. Quartal 2021 wieder nach oben. 

Für Einzelanträge von Krankenkassen kommen laut Dr. LangHeinrich folgende Anlässe in Betracht:

  • Verstöße gegen die Arzneimittel-Richtlinie oder gegen sonstige Richtlinien des G-BA
  • Echter und formaler Off-Label-Use 
  • Arzneimittel oder Arzneisubgruppen ohne Zusatznutzen (Sonderfall frühe Nutzenbewertung)
  • „Sonstiger Schaden“ (nicht genehmigter Arzt, Unterschriftenstempel auf der Verordnung)

Dass die Kassen empfindlicher reagieren, stellt der KV-Berater auch anhand eines Schreibens der Ersatzkassen vom Januar 2022 fest. Darin kündigen diese an, dass sie sich „die Prüfung der Wirtschaftlichkeit im Einzelfall“ vorbehalten, wenn die Vertragsärzt*innen nicht die Blutzuckerteststreifen ihrer Rabattvertragspartner verordnen. Die Bindung an Rabattvertragsprodukte könne für Patient*innen bedeuten, dass sie ein neues Blutzuckermessgerät und eine Schulung darin benötigen, kommentiert Dr. Lang­Heinrich. Ähnliche Schreiben wie zu den Blutzuckerteststreifen gebe es für mehr als zehn Arzneimittel bzw. Arzneigruppen.

Ein neues Feld für Prüfanträge könnte sich aus den AMNOG-Bewertungen von Diabetespräparaten ergeben, warnt Dr. LangHeinrich. Dabei geht es um unwirtschaftliche Verordnungen in Patientensubgruppen, bei denen der Gemeinsame Bundesausschuss keinen Zusatznutzen des neuen Arzneimittels gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) festgestellt hat. 

Vergleichstherapie ist zum Teil deutlich billiger

Bislang hatten unterschiedliche Zusatznutzenurteile für einem Wirkstoff lediglich die Folge, dass ein Mischpreis für den Wirkstoff ermittelt wurde. Die Verordnung in einer Subgruppe ohne Zusatznutzen ist aber dennoch unwirtschaftlich. „Wegen fehlender Kodierungsmöglichkeiten zu Arzneimittelsubgruppen sind Regressverfahren zurzeit nur eingeschränkt möglich“, sagt Dr. LangHeinrich. „Die Krankenkassen fordern aber vehement die Einführung der Kodierung von Subgruppen.“

Folgen haben könnte das z.B. für bestimmte Verordnungen von Empagliflozin in Mono- wie Kombitherapie. Die DDD-Kosten der zVT betragen hier zum Teil nur ein Zehntel. Auch bei Dapagliflozin zeigt Dr. LangHeinrich auf, dass die Kosten einer Mono- oder Kombitherapie bei Subgruppen mit nicht belegtem Zusatznutzen bis zu fünfmal höher sind als die zVT. Bei Dulaglutid und Sitagliptin gibt es ebenfalls Subgruppen mit Regresspotenzial.

Dr. LangHeinrich weist noch auf ein weiteres mögliches Konfliktfeld hin: So ist z.B. die Verordnung von Lantus® (Insulin glargin) aufgrund von Rabattverträgen der Krankenkassen eigentlich wirtschaftlich. Die Vorgabe des G-BA lautet jedoch: Wenn ein Biosimilar vorhanden ist, dann ist nur die Verordnung des Biosimilars anstelle des Referenzarzneimittels bei Ersteinstellung wirtschaftlich. Das findet sich auch in den Wirtschaftlichkeitszielen der KVen wieder, z.B. in Hessen, wo 80 % der Neueinstellungen auf ein biologisches Arzneimittel mit einem vorhandenen Biosimilar erfolgen soll. 

Schiedsamt muss über Rahmenvereinbarung entscheiden

Im Mai rechnet die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit einer Entscheidung des Bundesschiedsamts zu den Rahmenvorgaben bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen. Im Frühjahr 2021 hatte der GKV-Spitzenverband diese Vereinbarung mit Wirkung zum 31. Oktober gekündigt. Neuverhandlungen im November scheiterten. Darum muss nun das Bundesschiedsamt für Klärung sorgen. Laut KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister geht es insbesondere darum, dass Ärzt*innen bei Regressen nur den Differenzbetrag zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich verordneten sowie als unwirtschaftlich erachteten Leistung zurückzahlen müssen.

Aufwandsentschädigung für folgenlose Prüfanträge 

Die KBV hat übrigens Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) angeschrieben und ihm Vorschläge für eine Neuordnung der Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung gemacht. Unter anderem spricht sich die KBV für eine Bagatellgrenze von 200 Euro pro Kasse, Quartal und Praxis aus, bis zu der nichts passieren soll. Für zweckmäßig hält sie auch die Einführung einer Aufwandsentschädigung von 300 Euro für Prüfanträge, die zu keiner Maßnahme führen. Dieser Betrag entspreche den durchschnittlichen Bearbeitungskosten eines Prüfantrags und solle gewährleisten, dass die Kassen eine Vorabprüfung durchführen, ehe sie einen Prüfantrag einreichen. Überhaupt solle jede Kasse nur noch einmal pro Quartal und Praxis Prüfanträge stellen können, um Mehraufwände zu vermeiden. Ferner fordert die KBV, den Grundsatz „Beratung vor Regress“ auch bei Einzelfallprüfungen gelten zu lassen.

Quelle: KBV-Vertreterversammlung, Veranstaltung der Fördervereine für ärztliche Fortbildung Hessen und Rheinland-Pfalz zur Versorgungsleitlinie des Diabetes Typ 2

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Antidiabetika kosten die GKV mehr als 2 Mrd. Euro pro Jahr. Antidiabetika kosten die GKV mehr als 2 Mrd. Euro pro Jahr. © iStock/peterschreiber.media