Warnzeichen des Kindesmissbrauchs

Dr. Andrea Wülker Foto: thinkstock

„Unser Baby ist vom Wickeltisch gefallen.“ Oder: „Die Kleine ist so schusselig und fällt ständig hin“ – das sind typische Behauptungen, wenn Eltern ihrem Kind körperliche Gewalt angetan haben. Passt die Verletzung zu dem, was man Ihnen berichtet?

Jährlich registriert die Polizei über 3000 Kinder, die Opfer einer Misshandlung wurden. Häufig sind sie noch keine zwei Jahre alt und in den meisten Fällen sind die leiblichen Eltern die Täter, berichtete Professor Dr. Dr. Reinhard Urban vom Institut für Rechtsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Ein Kind, das noch nicht läuft, verletzt sich nicht

Einer Kindesmisshandlung oder einem Kindesmissbrauch auf die Spur zu kommen, ist aber gar nicht so einfach. Es gibt jedoch verdächtige Zeichen und Hinweise.


Wenn ein Kind noch nicht laufen kann, sollte es keine Verletzungen haben, so Prof. Urban. Dies ändert sich, sobald es mobil wird. Häufige und unverdächtige Hämatomlokalisationen sind dann an Nase, Stirn und Hinterkopf sowie an Knie, Schienbein, Handgelenk und Ellbogen.

Kritisch hinsehen sollten Sie, wenn Sie Hämatome an der Körperrückseite, an Handrücken oder Unterarmstreckseite entdecken. Isolierte Hämatome an Augen, Mund und Ohren sollten ebenfalls misstrauisch machen. Finden Sie zusätzlich zu einem Ohrhämatom eine Trommelperforation, spricht dies stark für einen Schlag auf das Ohr.

Bisswunden möglichst mit einem Foto dokumentieren!

Manchmal lässt die Form der Hämatome bereits auf den Gegenstand schließen, mit dem geschlagen wurde. Streifenförmige Striemen deuten darauf hin, dass der Peiniger mit einem flexiblen Gegenstand zugeschlagen hat, denn dieser passt sich der Körperkontur an.

Doppelstriemen-Hämatome erlauben Rückschlüsse auf die Breite des Schlaggegenstandes. Wenn Sie geformte Verletzungen, z.B. den Abdruck einer Gürtelschnalle am Rücken eines Kindes, sehen, ist fast schon bewiesen, dass es sich um einen Übergriff handelt, so Prof. Urban.


Dass Kinder im Streit beißen, kommt gar nicht so selten vor. Bisse durch Erwachsene sind häufig sexuell motiviert und sollten fotografisch dokumentiert werden, am besten zusammen mit einem Zentimetermaß. In diesem Fall unbedingt nachsehen, ob noch weitere Verletzungen – etwa im Genital- oder Analbereich – vorliegen!

Welche Diagnostik brauchen Sie bei Verdacht auf eine Misshandlung?

Wenn Sie also eine körperliche Misshandlung oder ein Schütteltrauma vermuten, rät der Experte zu folgendem Vorgehen:


• Röntgenscreening des gesamten Skeletts veranlassen (Alter < 2 Jahre)! Rippenfrakturen unterschiedlichen Alters sind hochverdächtig.


•  Wenn Ihnen ein Kind mit ausgedehnten Hämatomen vorgestellt wird und Sie eine Misshandlung vermuten, weisen Sie es zur weiteren Diagnostik in die Klinik ein. Eine mögliche Begründung auch gegenüber den Eltern ist, dass abgeklärt werden muss, ob das Kind eine Gerinnungsstörung hat.


• Die Angaben der Eltern zum Geschehensablauf kommen Ihnen unwahrscheinlich vor? Sagen Sie vor Abschluss der Diagnostik nichts dazu, denn das könnte Ablaufmöglichkeiten suggerieren.


• Nach Abschluss der Diagnostik müssen die Sorgeberechtigten mit nicht vereinbaren Angaben konfrontiert werden – am besten im Rahmen eines interdisziplinären Konsils.

Geistig Behinderte sind besonders gefährdet

Häufiger als nach körperlichen Misshandlungen werden in der Forensischen Ambulanz Mainz jedoch Kinder wegen der Möglichkeit des sexuellen Missbrauchs vorgestellt. Betroffen sind Kinder aller Altersstufen und sozialen Schichten.

Zu 90 % handelt es sich um männliche Täter und die meisten von ihnen gehören zur Familie. Geistig behinderte oder emotional vernachlässigte Kinder werden besonders häufig zum Opfer.

Körperliche Befunde sind bei sexuellem Missbrauch nicht unbedingt zu erwarten, denn nach Erfahrung von Prof. Urban erfolgt die ärztliche Untersuchung des Kindes oft erst nach ausgiebiger Körperpflege oder längerer zeitlicher Latenz zum Übergriff. Spuren einer frischen Defloration, Nachweis von Sperma, genitale Bissverletzungen und – mit Einschränkung – Geschlechtskrankheiten gelten als Beweise für sexuellen Missbrauch.

Immer den ganzen Körper des potenziellen Opfers untersuchen

Allerdings ist es für einen weniger erfahrenen Untersucher nicht immer einfach zu entscheiden, ob bei einem Mädchen tatsächlich eine Hymenalverletzung vorliegt oder nicht, da die Form des Hymens in Abhängigkeit von Lebensalter und Östrogeneinfluss stark variieren kann. Prof. Urban empfiehlt daher,


• (fragliche) Vergewaltigungsopfer möglichst in einer kindergynäkologischen oder rechtsmedizinischen Ambulanz untersuchen zu lassen. Dies sollte zur Beweissicherung bei aktuellen Vorfällen spätestens innerhalb der ersten 24 Stunden geschehen.


• immer eine Ganzkörperuntersuchung durchzuführen und


• bei der Untersuchung keinen Zwang auszuüben.


Eine Narkose oder tiefe Sedierung zur Befundsicherung ist nur bei massiver blutender Verletzung gerechtfertigt.

Wenn der Säugling geschüttelt wurde ...

Das Schütteltrauma stellt eine spezielle Verletzungskombination dar, die auftritt, wenn das Baby sehr heftig geschüttelt wurde. Durch Abriss der Brückenvenen kommt es zu einem subduralen Hämatom, wodurch das Kind rasch neurologische Auffälligkeiten zeigt.

Netzhautblutungen sowie metaphysäre Frakturen an Armen oder/und Beinen sind weitere Hinweise auf ein Schütteltrauma.

Vortrag auf der Veranstaltung „Pädiatrie zum Anfassen – 2. Pädiatrie am Bächle“ in Freiburg 2009

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