Wechselwirkungen von der Aufnahme bis zur Elimination

Dr. Elke Ruchalla

Erythromycin hemmt das Cytochrom P450. Das kann zur Akkumulation anderer Wirkstoffe führen. Erythromycin hemmt das Cytochrom P450. Das kann zur Akkumulation anderer Wirkstoffe führen. © iStock/Molekuul

Menschen nehmen immer mehr Tabletten und Tropfen ein. Idealerweise sollte man daher alle potenziellen Wechselwirkungen kennen. Praktisch ist das aber gar nicht möglich. Besonders heikel sind pharmakokinetische Interaktionen.

Erinnern Sie sich noch an die Pharma-Vorlesung? Pharmakokinetik ist das, was der Körper mit dem Medikament macht (vs. Pharmakodynamik: Die ist das, was das Medikament mit dem Körper macht):

  • Aufnahme der Substanz (Resorption)
  • Verteilung (Distribution)
  • Verstoffwechslung (Metabolisierung)
  • Ausscheidung (Elimination)

Johanniskraut aktiviert Leberenzyme

Das Dumme dabei ist, dass sich diese pharmakokinetischen Wechselwirkungen nicht ohne Weiteres aus der eigentlichen Wirkung der Substanzen ableiten lassen. Ein paar wichtige Interaktionen, die bei diesen Schritten auftreten können, sollte man daher kennen, meinen Professor Dr. Niels Voigt vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsmedizin Göttingen und seine Kollegen. Die gute Nachricht: Wechselwirkungen bei der Verteilung durch Verdrängung aus der Plasmaeiweißbindung – immer noch gerne in den Lehrbüchern erwähnt – spielen praktisch eine eher geringe Rolle. Die schlechte Nachricht: Bei den drei anderen Schritten tun sie es sehr wohl.

Mit der Resorption geht es los: P-Glykoprotein (P-gp) findet sich in einer Reihe von Gewebegrenzen, auch im Darmepithel. Eigentlich verhindert es, dass bestimmte Stoffe, auch Arzneimittel, aus dem Darm aufgenommen werden. Damit ist es oft Ursache für die geringe Bioverfügbarkeit von bestimmten Substanzen, wenn sie geschluckt werden. Das kalkuliert man bei der Dosierung ein und gibt entsprechend höhere Mengen. Hemmt nun ein anderes Arzneimittel, z.B. Verapamil, die Wirkung von P-gp, gelangen besagte Substanzen, z.B. Dabigatran, auf einmal ungehindert in den Körper. Folge: unvermutet hohe Serumspiegel des Antikoagulans. Und dann: gesteigertes Blutungsrisiko.

Bei Metabolisierung und Ausscheidung wird es richtig unübersichtlich. Zwei Systeme sind besonders wichtig und für einen Großteil der Interaktionen verantwortlich, heben die Experten hervor:

  • organische Anionen- bzw. Kat­ionen-Transportproteine (OAT/OCT) und
  • das Cytochrom-P450(CYP)-System.

OAT sorgen beispielsweise dafür, dass Statine aus dem Pfortaderkreislauf in die Leber gelangen und dort „unschädlich“ gemacht werden. Kann das zuständige OAT nicht arbeiten, weil es mit einem anderen Medikament beschäftigt ist (etwa einem Fibrat), bleiben größere Statinmengen im Kreislauf. Was dann passieren kann, illustriert ein Fall aus dem Jahr 2001: Ursache der damals unter Cerivastatin auftretenden, oft tödlichen Rhabdomyolysen war die Hemmung des OAT durch ein gleichzeitig verabreichtes Fibrat (Gemfibrozil). Viele Arzneimittel aus diversen Gruppen wiederum hemmen oder aktivieren das CYP-System der Leber (s. Tabelle). Besonders – aber nicht nur – relevant ist CYP3A4.

Wechselwirkungen über das Cytochrom-P450-System
Substrate (Beispiele) InhibitorenInduktoren
CYP3A4Statine, Benzodiazepine, Ciclosporin, orale Antikoagulanzien
  • Antimykotika mit Azol-Struktur, z.B. Ketoconazol
  • HIV-Protease-Hemmer, z.B. Darunavir
  • Calciumkanalblocker, z.B. Verapamil
  • Makrolide, z. B. Erythromycin
  • Antiepileptika, z.B. Carbamazepin
  • Rifampicin
  • Hyperforin (Wirkstoff der Johanniskraut­präparate)
CYP2D6Betablocker, trizyklische Antidepressiva, NeuroleptikaSelektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer
CYP2C19 Clopidogrel, Prasugrel Protonenpumpeninhibitoren

Diese Inhibitoren bzw. Induktoren führen dann dazu, dass andere durch das System metabolisierte Substanzen entweder kürzer oder länger wirken, als man es von ihnen annimmt. Ein bekannter Induktor ist Rifampicin­, der mit den in letzter Zeit erneut steigenden Tu­berkuloseinfektionen wieder in den Blickpunkt rückt. Unter Rifampicin-Therapie wird etwa Ethinyl­estradiol – Wirkstoff in vielen oralen Antikonzeptiva – schneller abgebaut.

Und damit es nicht zu einfach wird: Starke Induktoren des Cytochrom-P450-Systems finden sich auch unter rezeptfrei verkauften Präparaten – von denen Ihre Patienten Ihnen nicht immer erzählen, denn wenn man keine Verordnung dafür braucht, können sie ja nicht gefährlich sein. Bekanntestes Beispiel ist Johanniskraut. Hemmer des CYP-Systems dagegen sind u.a. Proteaseinhibitoren, die HIV-Infizierte einnehmen, und Makrolidantibiotika, die oft bei Atemwegsinfektion zum Einsatz kommen.

Ateminsuffizienz durch Clarithromycin plus Fentanyl

Verschreiben Sie also einem Patienten mit Prostatakarzinom und Knochenmetastasen, der zur Schmerzbekämpfung ein Fentanyl­pflaster aufgeklebt hat, Clarithromycin wegen seines Atemwegs­infekts, können Sie schon mal Beatmungsmaske und -beutel bereit halten: Der CYP-Inhibitor Clarithromycin hemmt den Abbau von Fentanyl – eine Ateminsuffizienz ist die Folge.

Die genannten Beispiele sind genau das: Beispiele. Und weit davon entfernt, alle Möglichkeiten anzusprechen. Was können Sie also tun, außer entnervt die Maus an den Monitor mit dem Rezeptformular zu werfen? Es gibt mittlerweile Datenbanken im Internet, in denen Sie recherchieren können (www.drugs.com/drug-interactions oder reference.medscape.com/drug-interactionchecker). Leider beziehen sie sich eher auf den US-Markt und sind nicht gerade nutzerfreundlich. Immerhin können sie erste Anhaltspunkte liefern.

Quelle: Voigt N et al. Akt Dermatol 2019; 45: 179-191

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Erythromycin hemmt das Cytochrom P450. Das kann zur Akkumulation anderer Wirkstoffe führen. Erythromycin hemmt das Cytochrom P450. Das kann zur Akkumulation anderer Wirkstoffe führen. © iStock/Molekuul