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Wegen dieser Erkrankungen brauchen Geflüchtete häufiger medizinische Hilfe

Läuse
Eine häufige Diagnose bei neu angekommenen Geflüchteten sind Kopfläuse. Sie fallen durch weißliche Nissen am Haaransatz und die typischen Kratzspuren (Hinterhaupt, retroaurikulär) auf. Behandelt wird mit insektizidhaltigen Externa.
Ein weiterer Parasit, die Kleiderlaus, dient als Vektor für Borrelia recurrentis. Diese Spirochäten sind Auslöser des Läuserückfallfiebers. Die Erkrankung ist vor allem in Äthiopien und Eritrea verbreitet, schreibt Prof. Dr. August Stich von der Klinik für Tropenmedizin am Klinikum Würzburg. Das klinische Bild ähnelt mit wiederkehrenden Fieberschüben einer schweren Malaria. Gefährlich ist die nach dem Beginn der Antibiotikagabe plötzlich einsetzende
Herxheimer-Reaktion inkl. Kreislaufversagen. Deshalb sollten Doxycyclin oder Penicilline unter Steroidschutz und Monitorüberwachung langsam auftitriert werden.
Skabies
Die bei Geflüchteten ebenfalls vermehrt auftretende Skabies macht sich vor allem nachts mit heftigem Juckreiz bemerkbar. Als Hautbefunde fallen stecknadelkopfgroße Vesikel, Papeln und Pusteln auf. Zu den Prädilektionsstellen gehören Interdigitalfalten, Axillarregion, Brustwarzenhof, Nabel, Penisschaft und Perianalregion. Die Therapie erfolgt topisch mit 5%iger Permethrincreme oder systemisch mit Ivermectin (200 µg/kgKG).
Tuberkulose
Die Tuberkulose tritt bei zugewanderten Menschen wesentlich häufiger auf als bei Einheimischen. Diagnostisch ist zu beachten, dass ein radiologischer Befund nicht zwingend eine Lungen-Tbc beweist. Umgekehrt schließt ein unauffälliges Röntgenbild die ansteckungsfähige Infektion nicht aus. Ein Interferon-Gamma-Release-Assay (IGRA) oder ein Tuberkulinhauttest (THT) liefern nicht selten falsch negative oder zu Unrecht positive Ergebnisse, warnt Prof. Stich. Immunsupprimierte können trotz florider Erkrankung einen negativen Testbefund aufweisen. Umgekehrt reagieren Gesunde nach einer BCG-Impfung oder Auseinandersetzung mit anderen Mykobakterien im THT eventuell positiv. Bei Migranten, insbesondere jenen aus Hochprävalenzländern, ist bei jedem unklaren Organbefund mit einer Tuberkulose zu rechnen, betont der Autor. Für eine lymphonoduläre Tbc sprechen vergrößerte und entzündete, aber nicht schmerzhafte Knoten. Sie können sich zervikal, axillär, mediastinal und retroperitoneal manifestieren. Diffuse abdominale Beschwerden und ein sich langsam entwickelnder Aszites sind typische Zeichen einer peritonealen Beteiligung.
Ein chronischer Harnwegsinfekt ohne Erregernachweis zeugt eventuell von einer Nieren-Tbc und ein Perikarderguss von einem Befall des Herzbeutels. Auch Pleuraeffusionen und Knochendestruktionen können tuberkulöser Natur sein. Jeder Verdacht auf einen Organbefall muss gezielt und möglichst rasch abgeklärt werden.
Die Behandlung der Tuberkulose erfolgt über mindestens sechs Monate mit einer Kombination spezifisch wirkender Medikamente. Allerdings ist dabei auch die individuelle Wirksamkeit zu beachten. Migranten weisen wesentlich häufiger Bakterien auf, die nicht auf die üblichen Substanzen ansprechen. Fast alle Patienten mit Multiresistenzen stammen aus dem Ausland. In der Ukraine zum Beispiel sind 30 % der Menschen mit neu diagnostizierter Tbc nicht mehr gegen Isoniazid und Rifampicin empfindlich.
Multiresistente Erreger
Migranten, vor allem kürzlich geflüchtete Menschen, sind häufiger mit resistenten Erregern kolonisiert oder infiziert als die hiesige Bevölkerung. Von besonderer Bedeutung sind MRSA und multiresistente gramnegative Erreger. Auch Helicobacter-pylori-Stämme, die sich nicht mehr mit Clarithromycin vertreiben lassen, Pneumokokken, bei denen Penicillin unzureichend wirkt, und hochresistente Gonokokken werden beobachtet. Zudem sind chronische Wundinfektionen etwa mit Acinetobacter baumanni gefürchtet.
Malaria
Ebenfalls häufig importiert wird die Malaria. Deren gefährlichste Form wird durch Plasmodium falciparum ausgelöst. Allerdings sind die in Deutschland wegen einer Malaria tropica behandelten Patienten meist Menschen mit afrikanischen Wurzeln, die ihre Familie im Heimatland besucht haben. Sie vertrauen zu Unrecht auf ihre Semiimmunität (durch zurückliegende Kontakte mit dem Erreger) und verzichten oftmals auf eine Prophylaxe. Doch ein milderer Verlauf ist auch bei ihnen keineswegs garantiert. Deshalb muss jede Malaria tropica als infektiologischer Notfall behandelt werden.
Geflüchtete sind meist deutlich länger unterwegs als die Inkubationszeit von sechs Tagen bis wenigen Wochen, sodass die Falciparum-Malaria bei ihnen nur selten beobachtet wird. Häufig traten dagegen in den vergangenen Jahren schwere fieberhafte Erkrankungen bei Personen aus Eritrea und Äthiopien auf, die sich erst viele Monate nach der Einreise entwickelten.
Es handelte sich um die Malaria tertiana, ausgelöst durch Plasmodium vivax. Die verzögert manifestierten Beschwerden erklären sich mit der Reaktivierung der Plasmodien aus persistierenden Leberformen, den Hypnozoiten. Diese können auch Jahre nach der Infektion noch Rückfälle auslösen.
Seltene tropische Infektionen
Zudem haben viele Geflüchtete und Migranten chronische Tropenerkrankungen, deren Symptome sich erst nach und nach zeigen. Die Diagnose wird zufällig oder im Zuge der Abklärung diffuser Beschwerden gestellt. Deshalb empfiehlt Prof. Stich, bei dieser Patientengruppe stets auch an eine Reihe seltener Infektionen zu denken. Dazu gehören diverse Helminthosen wie die Schistosomiasis und die zystische Echinokokkose, aber auch Amöbiasis und die Chagas-Krankheit.
Quelle: Stich A. Inn Med (Heidelb.) 2023; 64: 415-425; DOI: 10.1007/s00108-023-01520-2
Weitere Informationen
Leitlinien, Empfehlungen und Weiterbildungsangebote gibt es über die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit (www.dtg.org), das Robert Koch-Institut (www.rki.de) und die Refugee Toolbooks des Missionsärztlichen Instituts (www.medbox.org).
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