
Welche Zeichen deuten auf psychogene Anfälle?
Durch welche Symptome sich psychogene (heute auch dissoziative) von epileptischen Anfällen unterscheiden lassen, wurde in vielen Studien untersucht. Auf einen psychogenen nicht epileptischen Anfall deuten danach folgende Symptome:
- lange Anfallsdauer
- fluktuierender Ablauf
- asynchrone Bewegungen
- Beckenbewegungen
- iktales Weinen
- geschlossene Augen
- keine Gedächtnislücken
Keines dieser Anzeichen ist für sich genommen beweisend für die psychogene Natur eines Anfalls, betonte Professor Dr. Christoph Baumgartner vom Karl Landsteiner Institut für Klinische Epilepsieforschung und Kognitive Neurologie in Wien.
Zungenbiss und Urinabgang sind keine typischen Zeichen
Geschlossene Augen gäben zwar einen wichtigen Hinweis auf den psychogenen Ursprung, von außenstehenden Beobachtern werde es aber oft nicht zuverlässig erinnert. Für einen epileptischen Anfall sprechen das Auftreten aus dem Schlaf heraus, postiktale Verwirrtheit und röchelnde Atmung nach dem Anfall. Nichts zur Unterscheidung tragen Symptome wie gradueller Beginn, fuchtelnde oder prügelnde Bewegungen, Opisthotonus, Zungenbisse oder Urinabgang bei.
Bei den psychogenen nicht epileptischen Anfällen (PNES) unterscheidet man nach neueren Arbeiten sechs Formen:
1. Rhythmisch-motorische PNES (rhythmischer Tremor oder Bewegungen) – 46,7 %
2. Hypermotorische PNES (Bewegungen, wie Treten oder Schlagen) – 3,3 %
3. Komplexe motorische PNES (komplexe Bewegungen, wie Abduktion, Flexion, Extension und Rotation mit klinischen und myoklonischen Komponenten in verschiedenen anatomischen Lokalisationen) – 10 %
4. Dialeptische Anfälle (nicht mehr ansprechbar, ohne motorische Symptome) – 11,2 %
5. Nicht epileptische Aura (subjektive Sensationen ohne externe Auslöser – „als ob ein Krampf-Knopf gedrückt wurde“) – 23,6 %
6. Gemischte Formen (5,2 %)
Was in Studien auch deutlich wurde: Anders als früher gedacht, bleiben 82 % der Betroffenen bei der einmal „gewählten“ Krampfform. Bei den meisten Anfällen steht kein Epileptologe daneben und man ist auf Zeugenaussagen angewiesen. Diese Angaben sind aber in aller Regel unzuverlässig und reichen für eine Diagnose bei weitem nicht aus. Vielleicht sollte man Zeugen eines Krampfanfalls dazu animieren, den Anfall mit dem Smartphone aufzunehmen, regte Prof. Baumgartner an.
Dissoziative Anfälle nach Traumatisierung häufiger
Was sind mögliche Ursachen von dissoziativen Anfällen? Sehr häufig findet man in der Vorgeschichte der Betroffenen Traumatisierungen, Misshandlungs- oder Vernachlässigungserfahrungen, be- richtete Michael T. Frauenheim vom Epilepsie-Zentrum am Krankenhaus Mara in Bielefeld. Auch affektive Störungen und Angststörungen liegen sehr häufig vor. Dazu gehören auch posttraumatische Belastungsstörungen, Panikstörungen und Persönlichkeitsstörungen.
Allen gemein ist eine gestörte Emotionsregulation. Eine direkte traumatische Erfahrung als Auslöser des Anfalls findet man bei 80 % der Patienten – bei Epileptikern sind es etwa 40 %.
Wie sieht es mit therapeutischen Ansätzen aus? Man ist sich zwar weitgehend einig, dass Verhaltenstherapie eine gute Idee ist – eine Evidenz für irgend eine spezielle Behandlungsform lässt sich aber nicht finden. In einer kleineren Therapiestudie mit 21 PNES-Patienten konnte eine ambulante kognitive Verhaltenstherapie mit zwölf Sitzungen immerhin bei 16 Patienten eine Anfallsreduktion und bei elf Anfallsfreiheit erreicht werden. Die Studie war aber nicht randomisiert und es gab keine Nachbeobachtung.
Nach bisherigen Erfahrungen wirken sich folgende Maßnahmen positiv auf die Symptomatik aus:
- Diagnosevermittlung und Psychoedukation
- Absetzen der antiepileptischen Medikation
- Vermittlung von Techniken der Affektregulation
- Berücksichtigung operanter Lernprinzipien
- ggf. psychopharmakologische Behandlung psychischer Komorbiditäten
Ansonsten sollten Psychopharmaka nur in Kombination mit Psychotherapie im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes zur Anwendung kommen, betonte der Referent.
Quelle: 9. Dreiländertagung 2015 – Gemeinsame Jahrestagung der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Epileptologie und der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie
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