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Cartoon Medizin und Markt
Weniger Hypoglykämien beim Typ-2-Diabetes

Für das Gelingen der Insulintherapie ist die Titrationsphase von entscheidender Bedeutung, betonte Dr. Tobias Wiesner, MVZ Stoffwechselmedizin Leipzig. Eine Studie ergab, dass eine allzu vorsichtige Titration neben schlechter Compliance und unzureichender Schulung einen der wichtigsten Gründe für eine schlechte Stoffwechseleinstellung darstellt.1 Dabei erhöht bereits eine um nur ein Jahr verzögerte Behandlungsintensivierung das Risiko für makrovaskuläre Komplikationen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffi zienz um knapp zwei Drittel, so das Ergebnis einer retrospektiven Kohortenstudie an mehr als 100 000 Patienten mit einem HbA1c-Wert von 7 % und höher.2
Therapieerfolg gehört alle paar Monate auf den Prüfstand
Der HbA1c-Wert muss ab Diagnose auf Zielwert eingestellt und dort gehalten werden, damit der sogenannte Legacy-Effekt erst gar nicht eintritt, forderte Dr. Wiesner: „Wir dürfen nicht zulassen, dass erst die erste schwere Komplikation, etwa ein Herzinfarkt, Anlass dazu gibt, die Stoffwechseleinstellung zu verbessern.“ Auch das neue europäisch-amerikanische Konsensusstatement von EASD und ADA fordert, die Therapieresultate alle drei bis sechs Monate zu überprüfen und die Therapie zu intensivieren, wenn der Patient den HbA1c-Zielwert verfehlt.3
Ungeachtet aller neuen vielversprechenden Therapieoptionen wird Insulin auch weiter eine wichtige Rolle spielen, ist Dr. Wiesner überzeugt: „Anders lassen sich die Zielwerte häufig gar nicht erreichen.“ Das sieht auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft so. In der aktuellen DDG-Praxisempfehlung zum Typ-2-Diabetes heißt es, die Vielfalt anderer Therapien erlaube es zwar oft, den Beginn der Insulintherapie in spätere Krankheitsstadien zu verschieben.4 „Eine notwendige Insulingabe sollte jedoch nicht – wie teilweise zu beobachten – um Jahre verzögert werden.“
Die Initialphase entscheidet über den Erfolg der basal unterstützten oralen Therapie (BOT), so die Erfahrung von Dr. Wiesner: „Wenn es gelingt, den HbA1c-Wert rasch effektiv zu senken, stehen die Chancen gut, dass die gute Stoffwechseleinstellung von Dauer bleibt. Die stärkste Reduktion erfolgt in den ersten drei Monaten.“
Frühe Hypoglykämien erhöhen das Risiko für Therapieabbrüche
Dabei sollte aber vermieden werden, Hypoglykämien zu induzieren. Patienten, welche in den ersten Monaten eine Hypoglykämie erleiden, neigen verstärkt dazu, die Insulintherapie binnen eines Jahres abzubrechen. Das geht aus einer retrospektiven Kohortenstudie hervor, in der Patienten mit Diabetes Typ 2 erfasst wurden.5 Außerdem sind Hypoglykämien in den ersten drei Monaten ein Prädiktor für das langfristige Hypoglykämierisiko.6 Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der BRIGHT-Studie zu sehen, der ersten randomisierten kontrollierten Studie, in der die Blutzuckerkontrolle unter den zwei lang wirksamen Basalinsulinen Insulin glargin 300 E/ml (Toujeo®) und Insulin degludec 100 E/ml bei insulinnaiven Patienten mit Typ-2-Diabetes verglichen wurde.7 Primäres Studienziel war, die Nicht-Unterlegenheit der Wirksamkeit bei Erwachsenen mit unzureichend eingestelltem Typ- 2- Diabetes anhand des HbA1c-Werts nach 24 Wochen nachzuweisen.
Die HbA1c-Werte unter beiden Basalinsulinen sanken über 24 Wochen praktisch deckungsgleich, ebenso die des Nüchternblutzuckers. Auch die Tagesprofile verliefen nahezu identisch. „Das sind wichtige Nachrichten, weil sie uns Therapiesicherheit geben“, kommentierte Professor Dr. Matthias Blüher, Universitätsklinikum Leipzig. Einen signifikanten Unterschied zwischen Insulin glargin 300 E/ml und Insulin degludec 100 E/ml fanden die Untersucher jedoch während der Titrationsphase, also in den ersten zwölf Wochen der Insulintherapie, bei den per Blutzuckermessung bestätigten Hypoglykämien zu jeder Tageszeit (24h; ≤ 70 mg/dl respektive < 54 mg/dl), und zwar sowohl bei der Inzidenz als auch bei der Ereignisrate pro Patientenjahr (Abb.). Die Rate bestätigter Hypoglykämien lag unter Insulin glargin 300 E/ml um 23 % (≤ 70 mg/dl), bzw. um 43 % (< 54 mg/dl) und die der nächtlichen Hypoglykämien um 35 % (≤ 70 mg/dl) niedriger als unter Insulin degludec 100 E/ml. Während der Erhaltungsphase (13–24 Wochen) und über die gesamte Studiendauer (0–24 Wochen) traten keine Unterschiede bezüglich Hypglykämien zwischen den beiden Insulinen auf.
Real-World-Studien zeigen: Unter Insulin glargin 300 E/ml sind Hypoglykämien sehr selten
Nicht-interventionelle Studien bestätigen das sehr niedrige Hypoglykämierisiko unter Insulin glargin 300 E/ml, berichtete Professor Dr. Martin Pfohl, Evangelisches Krankenhaus Bethesda, Duisburg. In Toujeo-1 wurden 674 insulinnaive Patienten mit Typ-2-Diabetes behandelt.8 TOP-2 schloss 679 Patienten mit Typ-2-Diabetes ein, die von einem anderen Basalinsulin auf Insulin glargin 300 E/ml umgestellt worden waren.9 In beiden Studien brachte Insulin glargin 300 E/ml eine deutliche Senkung von HbA1c-Wert und Nüchternzucker, die wie zu erwarten bei insulinnaiven Patienten etwas stärker ausfiel. Die Rate an Hypoglykämien, ob tags oder nachts, moderat oder schwer, bewegte sich in beiden Studien um 1 % und lag meist sogar darunter und damit deutlich niedriger, als man es aus randomisierten klinischen Studien kennt, so Prof. Pfohl. „In der klinischen Praxis ist es möglich, mit einem modernen Basalinsulin bei Typ-2-Diabetes ohne großes Hypoglykämierisiko zu behandeln“.Doppelt so viel Insulin, weniger Zuzahlung
Insulintherapie: Einstellungsphase mit Sorgfalt angehen
Sie sagen, es ist wichtig, die Titrationsphase zu Beginn der Insulintherapie beim Typ-2-Diabetes mit besonderer Sorgfalt anzugehen. Was meinen Sie damit?
Dr. Wiesner: Wir wissen, dass die Blutzuckerkontrolle auf lange Sicht besser gelingt, wenn wir das Basalinsulin konsequent auftitrieren, bis der Zielwert erreicht ist. Das darf aber nicht mit Hypoglykämien einhergehen. Patienten fürchten nichts so sehr wie Hypoglykämien, und wenn jemand gleich zu Anfang eine schwere Unterzuckerung durchmacht, ist das Risiko groß, dass er die Therapie abbricht. Wir müssen also darauf achten, die Therapie möglichst „hypofrei“ zu gestalten, aber trotzdem das Ziel des Blutzuckerzielwertes zu erreichen!Es gibt Algorithmen für die Titration, an denen sich Arzt und Patient orientieren können…
Dr. Wiesner: Für Insulin glargin 300 E/ml etwa sind die Algorithmen so sicher und einfach, dass kognitiv fitte Patienten die Titration nach Schulung selbstständig durchführen können – sofern sie es wünschen, natürlich. Es gibt Algorithmen mit unterschiedlichen Titrationsschritten: täglich, alle drei Tage oder einmal pro Woche. Das schenkt Ärzten und Patienten Flexibilität.Neben den Hypoglykämien fürchten Patienten, unter Insulin zuzunehmen. Wie gehen Sie damit um?
Dr. Wiesner: Der Patient, der mit einem HbA1c-Wert von 9 % zu mir kommt, hat Blutzuckerwerte, die über der Nierenschwelle liegen. Wenn wir den Blutzucker senken, scheidet er renal weniger oder gar keine Glukose mehr aus. Pro Tag können zusätzlich 60 bis 80 g Glukose weniger ausgeschieden werden, die dann im Körper in kleinen aber stetigen Schritten zu einer Gewichtszunahme führen. Da hilft nur Schulung: Der Patient muss die Ernährung umstellen und körperlich aktiver werden, um die Gewichtszunahme zu vermeiden. Die Lebenstiländerung ist ein enorm wichtiger Baustein der Diabetestherapie. Dafür gewinnt er Lebensqualität und im besten Fall Lebenszeit.Fazit für die Praxis
- Entscheidend für den Erfolg der antidiabetischen Therapie ist, dass die Wirksamkeit immer wieder überprüft und die Therapie intensiviert wird, falls der HbA1c-Zielwert nicht erreicht ist.3
- In der antihyperglykämischen Effektivität unterscheiden sich die ultralang wirksamen Basalinsuline Insulin glargin 300 E/ml und Insulin degludec 100 E/ml nicht, aber Insulin glargin 300 E/ml verursachte in der Titrationsphase bei insulinnaiven Typ- 2-Diabetespatienten seltener Hypoglykämien.7
- In Beobachtungsstudien unter Alltagsbedingungen kommen Hypoglykämien noch seltener vor als in randomisierten klinischen Studien.8,9
1. Khan H et al. Prim Care Diabetes 2011; 4: 251-255;
2. Paul SK et al. Cardiovasc Diabetol 2015; 14: 100;
3. Davies MJ et al. Diabetes Care 2018; 41: 2669-2701;
4. Landgraf R et al. Diabetologie 2018; 13: S144-S165;
5. Dalal M et al. Adv Ther 2017; 34: 2083-2092;
6. Mauricio D et al. Diabetes Obes Metabol 2017; 19: 1155-1164;
7. Rosenstock JR et al. Diabetes Care 2018; 41: 2147-2154;
8. Pfohl M et al. ADA-Kongress Orlando 2018, Poster 1027-P;
9. Seufert J et al. ADA-Kongress Orlando 2018, Poster 1020-P
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