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Wenn Arzneimittel die Leber angreifen

Jährlich sind 14 bis 19 von 100.000 Einwohnern von einer medikamentös-toxischen Leberschädigung (drug-induced liver injury; DILI) betroffen. Doch obwohl das Krankheitsbild so selten ist, hat es eine hohe klinische Relevanz. So lassen sich bis zu 50 % der Fälle von akutem Leberversagen in den USA und Europa auf eine DILI zurückführen. Darüber hinaus zählen DILI zu den Hauptursachen für die vorzeitige Beendigung von Medikamentenstudien.
In einer Übersichtsarbeit geht PD Dr. Sabine Weber vom LMU Klinikum München auf verschiedene Entitäten der DILI und wichtige Differenzialdiagnosen ein. Dabei unterscheidet sie zwischen der intrinsischen DILI, die dosisabhängig und vorhersagbar ist, und der idiosynkratischen DILI, die weder dosisabhängig noch vorhersagbar ist. Während die intrinsische DILI bereits innerhalb von Stunden bis zu wenigen Tagen nach Medikamenteneinnahme (z.B. Paracetamol) auftritt, kann die Latenz bei der idiosynkratischen DILI Wochen bis Monate betragen.
Für die Diagnose einer DILI müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
- Alanin-Aminotransferase (ALT) ≥ 5 x Obergrenze des Normalbereichs (upper limit of normal; ULN)
- alkalische Phosphatase (ALP) ≥ 2 x ULN oder
- ALT ≥ 3 x ULN und Gesamtbilirubin ≥ 2 x ULN
Als gesichert gilt die Diagnose jedoch erst nach Ausschluss alternativer Ursachen für den Leberschaden. Wichtige Differenzialdiagnosen neben der Autoimmunhepatitis (AIH) sind akute virale Hepatitiden, ein Morbus Wilson, chronische cholestatische Lebererkrankungen, ein ischämischer Leberschaden und ein akutes Budd-Chiari-Syndrom.
Sichere Abgrenzung zur AIH nicht immer möglich
Vor allem beim Erstauftreten der Leberschädigung ist eine sichere Abgrenzung zwischen einer DILI und einer AIH nicht immer möglich. In diesen Fällen empfehlen internationale Fachgesellschaften eine Therapie mit Kortikosteroiden. Während die Behandlung bei AIH in der Regel über Jahre hinweg oder sogar lebenslang fortgesetzt weren muss, können die Kortikosteroide bei DILI nach Normalisierung der Leberwerte meist ausgeschlichen werden.
„Die Unterscheidung zwischen DILI und AIH ist somit nur durch die längerfristige Beobachtung des Verlaufs der Leberwerte unter Reduktion der Immunsuppression möglich“, erklärt Dr. Weber. Empfehlungen dazu, wie schnell die Kortikosteroide bei Verdacht auf DILI ausgeschlichen werden sollten, gebe es bislang nicht. Bis zur definitiven Diagnose vergehen daher oft mehrere Monate oder Jahre.
In einer prospektiven Studie stellte sie zusammen mit ihren Kollegen fest, dass der relative Abfall der ALT in den ersten Wochen nach Beginn einer Steroidtherapie bei DILI deutlich schneller war als bei AIH. So gelang bei einem Grenzwert von 9 % ALT-Abfall pro Tag eine Unterscheidung zwischen den beiden Krankheitsbildern mit einer Sensitivität und Spezifität von jeweils 77 %.
Vor Kurzem wurde mit der medikamenteninduzierten AIH-ähnlichen Leberschädigung (drug-induced autoimmune-like hepatitis; DI-ALH) eine neue Entität der DILI definiert und charakterisiert. Dabei handelt es sich um eine Leberentzündung, die viele bzw. alle Charakteristika einer AIH aufweist. Dazu gehören positive Autoantikörper, ein erhöhtes Immunglobulin G (IgG) und AIH-typische histopathologische Befunde wie Plasmazellinfiltrate oder eine Grenzzonenhepatitis.
Mit den bisherigen diagnostischen Mitteln ist keine eindeutige Unterscheidung zwischen DI-ALH und idiopathischer AIH möglich. Eine Differenzialdiagnose kann deshalb nur anhand der infrage kommenden Auslöser oder im längerfristigen Behandlungsverlauf gestellt werden.
Typische Auslöser für eine DI-ALH sind Dihydralazin, Minocyclin, Nitrofurantoin, Methyldopa, Statine, Imatinib und Infliximab. Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren auch unter Checkpointinhibitoren und Impfungen (z. B. gegen SARS-CoV-2) immunologisch bedingte Leberentzündungen berichtet. Die DI-ALH spricht, ebenso wie die AIH, gut auf Kortikosteroide an, es kommt aber deutlich seltener zu Rezidiven nach Absetzen der Immunsuppression. Im Vergleich zu Patienten mit konventioneller DILI erleiden die Betroffenen allerdings häufiger ein Rezidiv. Außerdem müssen sie öfter mit einem zusätzlichen Immunsuppressivum wie Azathioprin oder Mycophenolatmofetil behandelt werden.
Quelle: Weber S. Innere Medizin 2024; 65: 334-339; DOI: 10.1007/s00108-024-01669-4
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