Problematische Medikamente und deren pflanzliche Alternativen

DGIM 2024 Dr. Anna-Lena Krause

Für potenziell inadäquate Medikation bei älteren Patienten gibt es einige pflanzliche Alternativen. Für potenziell inadäquate Medikation bei älteren Patienten gibt es einige pflanzliche Alternativen. © berna_namoglu – stock.adobe.com

Ältere Patienten nehmen tendenziell mehr Medikamente ein als jüngere und leiden gleichzeitig mit höherer Wahrscheinlichkeit unter Nebenwirkungen. Daher profitieren sie umso mehr von wirksamen pflanzlichen Alternativen.

Wirkstoffe, die für Patienten ab 65 Jahren womöglich ungeeignet sind, werden als PIM (potenziell inadäquate Medikation) bezeichnet. Seit 2022 gibt es eine durch eine Expertengruppe aktualisierte PIM-Liste (PRISCUS 2.0), in der 187 Wirkstoffe aufgeführt sind. Pflanzliche Präparate werden nur sehr selten als PIM eingestuft. Ein Beispiel dafür ist das Johanniskraut, das ein hohes Interaktionspotenzial hat. Umgekehrt werden einige Phytotherapeutika in PRISCUS 2.0 als PIM-Alternativen empfohlen (siehe Tabelle).

Indikation

potenziell inadäquate Medikation

pflanzliche Alternative

Obstipation

Sennoside, dickflüssiges Paraffin, Natriumpicosulfat

Flohsamen

Nausea

Dimenhydrinat, Metoclopramid, Domperidon

Ingwerwurzelpulver, verschiedene pflanzliche Multikomponentenpräparate

postmenopausale Beschwerden

Östrogene p.o.

Traubensilberkerze

Angststörungen, Unruhezustände, Schlafstörungen

Anxiolytika, Sedativa, Hypnotika (Benzodiazepine, Chloralhydrat, Z-Substanzen, Antihistaminika)

Baldrian, Lavendel, Passionsblume

depressive Verstimmungen und leichte bis mittelschwere Depressionen

Johanniskraut

Baldrian

Zu pflanzlichen Arzneimitteln gibt es nur wenige klinische Studien. „Dafür ist einfach kein Geld im System“, erklärte Prof. Karin Kraft von der Universitätsmedizin Rostock. Dennoch stellte die Präsidentin der Gesellschaft für Phytotherapie e.V. einige Studienergebnisse vor. So reduzierten verschiedene pflanzliche Kombinationspräparate und Teemischungen als Begleittherapie bei akuten und rezidivierenden Harnwegsinfekten die Adhäsion und Biofilmbildung bestimmter Bakterien. Die Teemischungen enthielten u.a. Birkenblätter, Goldrute und Orthosiphon und wurden als „Durchspülungstherapie“ angewandt. Ein Vorteil dieser Behandlungsform: Es ist auch bei Langzeitanwendung nicht von einer Resistenzentwicklung auszugehen. Darüber hinaus wirken Kräutertees einer Dehydratation entgegen, die häufiger bei geriatrischen Patienten auftritt, wenn diese vergessen zu trinken.

Zu den Harnwegsdesinfizienzien zählt die Kombination aus Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel. Die darin enthaltenen Senföle wirken in der Blase antientzündlich und hemmen die Beweglichkeit, Adhäsion, Invasion sowie die Mikrofilmbildung von Bakterien. Als unerwünschte Effekte sind gastrointestinale Beschwerden möglich. Ein ebenfalls bei Harnwegsinfekten häufig empfohlenes pflanzliches Mittel sind Cranberrys. Ein Cochrane-Review mit älteren Pflegeheimbewohnern ergab jedoch keinen oder nur einen geringen Nutzen.

Ältere COPD-Patienten profitieren unter Umständen von Myrtol als Add-on. Das Sekretolytikum enthält verschiedene ätherische Öle. In klinischen Studien aus China führte es bei Patienten mit akut exazerbierender COPD oder chronischer Bronchitis gegenüber der alleinigen Standardtherapie mit Antibiotika und Sauerstoff zu einer Verbessung des FEV1 bzw. der Blutgaswerte

Die leichte kognitive Störung (engl. mild cognitive impairment, MCI) gilt als Vorläufer von Demenzerkrankungen. Für MCI sind Antidementiva nicht zugelassen. Allerdings wurde in einem systematischen Review festgestellt, dass der Gingko-biloba-Spezialextrakt EGb 761 als Monotherapie die Kognition verbessert, während gleichzeitig Depression und Angst gelindert werden. Befürchtungen wegen eines potenziell erhöhten Blutungsrisikos unter der Einnahme von Gingko biloba sind nach aktueller Studienlage unbegründet

Häufiger als generalisierte Angststörungen oder Depressionen mit begleitender Angst treten im Alter subsyndromale Angststörungen auf. In der ICD findet man sie unter dem Code R45.1: Ruhelosigkeit und Erregung. Gegen diese Beschwerden kann aufkonzentriertes Lavendelöl helfen, das im Gegensatz zu Benzodiazepinen keine Abhängigkeit verursacht. Laut einer Metaanalyse führt das Phytopharmakon zu einer klinisch signifikanten Reduktion des Gesamtscores in der Hamilton-Angstskala. Entzugssymptome und Interaktionspotenzial sind nicht zu befürchten, „allerdings geht das Präparat hin und wieder mal auf den Magen“, erläuterte die Referentin.

Generell ist bei geriatrischen Menschen zu beachten, dass sich viele selbst medizieren, weil sie nicht dauernd zum Arzt laufen wollen – auch wegen der Ansteckungsgefahr. In der Folge kann es zur Einnahme potenziell ungeeigneter Wirkstoffe kommen, ein Therapiemonitoring ist schwierig. Phytopharmaka werden von den  über 65-Jährigen vor allem gekauft, um Vergesslichkeit, Magen-Darm-Beschwerden, innere Unruhe und Erkältungskrankheiten zu lindern.

Quelle: 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

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