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Vorsicht vor dem „Morbus diureticus“

„Mit 80 ist eine Niere weg und die Restfunktion auch noch instabil“, verdeutlichte Prof. Dr. Martin Wehling, klinischer Pharmakologe aus Mannheim, die renale Situation im hohen Lebensalter. Auch die Pharmakodynamik verändert sich mit den Jahren, was zu einer höheren Empfindlichkeit gegenüber Pharmaka führt. Mögliche Anzeichen, dass Medikamente von Senioren nicht vertragen werden, sind Schwindel, Verwirrtheit, Delir, Stürze, demenzielle Symptome oder Schluckstörungen. Laut Prof. Wehling konterkariert die Polypharmazie den ersten Hauptsatz der Geriatrie erheblich: „Oben licht, unten dicht, lieber Gott, mehr will ich nicht.“
Anticholinergika im Alter wirken wie Zerebrektomie
Zu den Kandidaten, die im Alter Probleme bereiten, zählen neben Antidepressiva, Antipsychotika, Benzodiazepine und Opioide u.a. NSAR, Parkinsonmedikamente, Betablocker, hoch dosiertes Penicillin und Steroide. Exemplarisch griff der Referent einige Substanzgruppen heraus. So gibt es z.B. klare Zusammenhänge zwischen Anticholinergika und einer mentalen Verschlechterung. „Diese chemische Zerebrektomie ist extrem ungünstig für die Adhärenz“, mahnte der Kollege.
Große Gefahr geht von NSAR aus. Aufgrund von gastrointestinalen und kardiovaskulären Komplikationen verusachen sie etwa 10- bis 30-mal so viel Todesfälle wie Metamizol. Außerdem gilt laut Prof. Wehling folgende Faustregel: Unter dauerhafter NSAR-Gabe werden die wenigen älteren Normotoniker hyperton und/oder herzinsuffizient, Hypertoniker brauchen ein zusätzliches Antihypertensivum. Denn der systolische Blutdruck steigt unter der Therapie um bis zu 14 mmHg. Coxibe sind genauso schlimm, nur etwas freundlicher zum Gastrointestinaltrakt, so der Experte.
Die FORTA-Liste
Wer wissen will, ob sich ein Medikament besser oder schlechter für ältere Patienten eignet, findet Hilfe in der FORTA*-Liste. In dieser Sammlung werden Arzneimittel, die in der Geriatrie Anwendung finden, in vier Kategorien unterteilt:
- A: besonders vorteilhaft
- B: vorteilhaft
- C: fragwürdig
- D: vermeiden
* Fit fOR The Aged
Eine besondere Warnung sprach er mit Blick auf Diuretika aus: „Sie sind nephrotoxisch.“ Und leider gäbe es kein einziges Medikament, das dann bei einer sekundären Niereninsuffizienz die Funktion bessert. Außerdem nannte er weitere Nebenwirkungen, z.B. von Thiaziddiuretika: Sie verursachen Hyponatriämien mit Verwirrtheit, Delir, Hirnödem oder zentraler pontiner Myelinose und Hypokaliämien mit Muskelschwäche und plötzlichem Herztod. Darüber hinaus zählen Hypovolämie, Hypotonie, orthostatische Dysregulation, Resistenz gegenüber Renin-Angiotensin-Hemmern, Thromboembolien, Inkontinenz und Obstipation zu den möglichen Folgen. Prof. Wehling nennt das Ganze den „Morbus diureticus des Älteren“. Auch Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten (MRA) finden vor ihm keine Gnade. In einer Registerstudie mit Infarktpatienten über 65 Jahre und einer Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfunktion waren die einzig signifikanten Effekte der MRA Hyperkaliämie und Niereninsuffizienz.
Ein einziges Medikament hob der Kollege positiv hervor, nämlich den spezifischen Transthyretin-Stabilisator Tafamidis. Er senkt bei Patienten mit Transthyretin-Amyloidose (ATTR) mit Kardiomyopathie die Gesamtmortalität deutlich. Es sei praktisch das erste Arzneimittel, das nur für Ältere ist, da es sich bei der Wildtyp-ATTR um eine reine Alterskrankheit handele.
Quelle: Rhein-Main Herztage
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