
Blindflug mit Wechselwirkungen

Die Kardiologen entwickeln eine neue Herangehensweise an die multimorbiden älteren Patienten, freute sich Professor Dr. Ralf-Joachim Schulz, Geriater am St. Marien-Hospital Köln. Geriatrie bedeutet eben nicht Reparaturbetrieb, sondern Prävention, die dem Patienten langfristig Komplikationen erspart, Selbständigkeit und Lebensqualität erhält. Über 80-Jährige weisen im Schnitt mehr als zehn verschiedene Diagnosen auf. Die leitliniengerechte Medikation all dieser Erkrankungen übersteigt schnell die Schwelle, bis zu der Therapie noch einigermaßen funktioniert. „Wenn Sie mehr als fünf Medikamente einsetzen, wird die Compliance so schlecht, dass Sie nicht mehr abschätzen können, was der Patient wirklich nimmt, in welcher Dosierung und welcher Kombination“, warnte Prof. Schulz.
Dazu kommen die unvorhersehbaren individuellen Unterschiede in Pharmakodynamik, Pharmakokinetik, Response und Ressourcen der Homöostase, welche die Therapie im wahrsten Sinne des Wortes zum Glücksspiel machen, je mehr Medikamente dazukommen. Neue Leitlinien verschärfen das Problem meist noch, indem sie weitere Arzneimittel als unverzichtbar einführen – man denke nur an die aktuelle europäische Herzinsuffizienz-Leitlinie, die vorsieht, dass jeder Patient mit nur leicht reduzierter Ejektionsfraktion ab Diagnose eine Viererkombo erhält.
Knackpunkte für Leber und Niere
- Rauchen
- Übergewicht
- Diabetes
- Dyslipidämie
- Hypertonie
- Arteriosklerose
Kritisch gefragt
- Ist wirklich jedes Medikament notwendig?
- Besteht Evidenz für einen Benefit bei alten Menschen?
- Wird der Patient den Benefit noch erleben (Beispiel Statine)?
- Welche Medikamente nimmt der Patient noch?
- Sind Wechselwirkungen zu befürchten?
- Wird das Medikament eingesetzt, um Nebenwirkungen anderer Medikamente zu behandeln – Stichwort: Medikamentenkaskade?
- Ist die Multimedikation Folge schlechter Adhärenz?
- Lässt sich das Applikationsschema vereinfachen?
„Einfach nur weniger verschreiben hilft nicht“
Wie lässt sich das Problem bewältigen? „Einfach nur weniger Medikamente verschreiben hilft nicht“, konstatierte Prof. Schulz. Auch eine Leitlinie gegen die andere auszuspielen, führt nicht zum Ziel. Um ein geriatrisches Assessment wird man im Einzelfall nicht herumkommen, inklusive Erfassung aller Komorbiditäten und Laborwerte, v.a. der Nierenparameter. Das alles muss dann mit der Pharmakotherapie abgeglichen werden. „Das geht eigentlich nur mithilfe der Künstlichen Intelligenz“, so der Geriater. Die PRISCUS-Liste (s. Link) hilft zu prüfen, welche Medikamente und Kombinationen im Alter nicht eingesetzt werden sollten. FORTA („Fit FOr The Aged“) bietet eine App mit Positivliste, die mit geriatrischer Kompetenz zusammengestellt wurde.Quelle: DGK Herztage 2021
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