Wenn die Müdigkeit einen überrollt

Nina Arndt

Als elektrophysiologische Parameter gelten unter anderem die REM-Latenz und die Schlaflatenz Als elektrophysiologische Parameter gelten unter anderem die REM-Latenz und die Schlaflatenz © Norman Leslie/peopleimages.com – stock.adobe.com

Nach Symptombeginn vergehen durchschnittlich fünf bis sieben Jahre, bis Patientinnen und Patienten mit Narkolepsie eine Diagnose erhalten. Seit letztem Jahr gibt es ein neues Klassifikationssystem und an Therapieoptionen stehen mittlerweile mehrere Medikamente zur Verfügung. Mögliche Limitationen der Diagnostik und Behadlungsmöglichkeiten sollte man jedoch kennen.

Zur Gruppe der zentralen Störungen mit exzessiver Tagesschläfrigkeit zählen unter anderem Narkolepsie Typ 1, Narkolepsie Typ 2 und die idiopathische Hypersomnie (IH). Da die drei Formen sich in ihren Symptomatiken ähneln, kann die Diagnose schwierig sein. Die Kriterien dafür hat ein Expertenpanel der American Academy of Sleep Medicine 2023 aktualisiert (ICSD**-3-TR). Ausreichend ist das aktuelle Klassifikationssystem jedoch immer noch nicht, erklärte Dr. Lucie Barateau vom Universitätskrankenhaus Montpellier.

Diagnostische Kriterien bei Hypersomnien
Kriterien*Narkolepsie Typ 1Narkolepsie Typ 2Idiopathische Hypersomnie
ITagesschläfrigkeit ohne ZeitaspektTagesschläfrigkeit für ≥ 3 Monate
II
  • Kataplexie plus
    • nächtliche SOREMP** ≤ 15 Minuten oder
    • Schlaflatenz ≤ 8 Minuten und ≥ 2 SOREMP (im MSLT***)
      und/oder
  • niedriges Orexin-A-Level (≤ 110 pg/ml oder < 1/3 des Normalwertes)
  • keine Kataplexie
  • Schlaflatenz ≤ 8 Minuten und ≥ 2 SOREMP (im MSLT). Eine nächtliche SOREMP ≤ 15 Minuten kann eine der SOREMP beim MSLT ersetzen.
  • Orexin-A-Level > 110 pg/ml oder > 1/3 des Normalwertes
  • keine Kataplexie
  • Polysomnografie und MSLT sind nicht konsistent mit Typ 1 und Typ 2
  • Schlaflatenz ≤ 8 Minuten (im MSLT) oder totale Schlafzeit beträgt ≥ 660 Minuten (in der 24-Stunden-Polysomnografie oder in 7-Tage-Aktigrafie).
IIISymptome sowie biologische und elektrophysiologische Kriterien lassen sich nicht durch andere Ursachen erklären

* Alle drei Kriterien müssen für die jeweilige Diagnose erfüllt sein. ** Sleep-Onset-REM-Periode *** Multipler Schlaflatenztest

Diagnose

Für die Diagnose gilt es, Symptome sowie biologische und elektrophysiologische Kriterien zu berücksichtigen (s. Tabelle). Erste Symptome treten meistens bereits im Kindes- oder Jugendalter auf (s. Kasten).

Bei allen drei Formen leiden Betroffene an exzessiver Tagesschläfrigkeit. Diese muss im Fall von Narkolepsie Typ 2 und IH mindestens für drei Monate anhalten. Bei Typ 1 fällt der Zeitaspekt seit der Aktualisierung weg. Zudem ist Kataplexie ein Hauptsymptom bei Menschen mit Narkolepsie Typ 1. Der Nachtschlaf ist bei ihnen oft fragmentiert, es kann zu Schlafparalysen und Halluzinationen kommen. Kataplexie tritt unter Typ 2 nicht auf, ansonsten sind die Symptome die gleichen wie bei Typ 1. Personen mit idiopathischer Hypersomnie leiden hingegen an einem langen Nachtschlaf und Schlaftrunkenheit.

Als biologisches Kriterium gilt das Orexin-A-Level. Das Neuropeptid ist ein sehr sensitiver und selektiver Biomarker. Ein Defizit weist auf Narkolepsie Typ 1 hin. Bei Typ 2 und IH sind die Orexin-Neuronen dagegen intakt. Man vermutet, dass die Neuronen bei Typ 1 aufgrund einer Autoimmunerkrankung verloren gehen. Gen-Silencing-Prozesse könnten ebenfalls eine mögliche Ursache sein.

Mittels nächtlicher Polysomnografie und multiplem Schlaflatenztest (MSLT) lassen sich elektrophysiologische Parameter ermitteln, darunter die REM- und die Schlaflatenz. Beim MSLT sollen die Teilnehmenden in einem Schlaflabor fünfmal am Tag ein Nickerchen halten. Schlafen sie innerhalb von acht Minuten ein und erreichen die REM-Phase sehr schnell (SOREMP, Sleep-Onset-REM-Periode), spricht dies für eine exzessive Tagesschläfrigkeit. Seit den Neuerungen ist ein MSLT nicht mehr obligatorisch für die Diagnose von Narkolepsie Typ 1. Es reicht aus, wenn eine Kataplexie plus eine einmalig dokumentierte nächtliche SOREMP vorliegt. Dieser Aspekt werde diskutiert, erklärte Dr. Barateau. Liegt keine andere Schlafstörung vor, gilt die nächtliche SOREMP zwar als spezifisch, jedoch ist die Sensitivität gering.

Für die Diagnose der IH misst man die Schlafzeit. Es gibt allerdings keine standardisierten Protokolle, wie man diese analysiert, merkte die Referentin einschränkend an und erklärte, dass die Klassifikation insgesamt noch einige Mängel aufweise. So ließen sich die einzelnen Formen weiterhin nicht eindeutig voneinander abgrenzen, denn die Symptome seien teilweise nicht spezifisch. 

Die Diagnosestellung basiert zudem stark auf dem MSLT. Die Methode sei bei Narkolepsie Typ 2 und IH jedoch wenig zuverlässig, schränkte Dr. Barateau ein. Die Konsistenz liegt für Typ 2 zwischen 18 und 47 %, bei der IH beträgt sie rund 25 %. Auch wird das Alter bei der Klassifikation nicht berücksichtigt. Das sei aber wichtig, denn mit höherem Alter kommt es zu weniger SOREMP und die Schlaflatenz steigt.

Narkolepsie bei Kindern

Kinder mit Narkolepsie Typ 1 zeigen oft eine umfassende Symptomatik. Als erstes Symptom tritt in der Regel die Tagesschläfrigkeit auf. Bei Kindern führt sie mitunter zu Hyperaktivität, Aggression und Depression. Die jungen Patientinnen und Patienten sind teilweise unaufmerksam, vergesslich und ziehen sich sozial zurück. Rund 70 % leiden zudem an Kataplexie.1 Es kann zu Halluzinationen, einem unterbrochenen Nachtschlaf und Schlafparalysen kommen.

Kataplexie äußert sich bei Kindern anders als bei Erwachsenen. Sie laufen schwankend und zeigen somit ein hyperkinetisches Bewegungsmuster. Meist lassen sich Ptosis, starke Grimassen mit einem offenen Mund und Zungenprotrusion beobachten. Kataplexie kann bei Kindern auch spontan beim Essen oder Laufen auftreten. Bei manchen Betroffenen kommt es zu einem starken Verlust des Muskeltonus, sodass sie hinfallen.

Teilweise lässt sich bei den kleinen Patientinnen und Patienten ein automatisches Verhalten beobachten. Bewegungen werden stereotypisch fortgesetzt, ohne dass die Betroffenen es mitbekommen. Sie können dabei wach sein oder sich in der REM-Phase befinden.

1. Chung I-H et al. Children (Basel) 2022; 9: 974; doi: 10.3390/children9070974

Therapie

Für die Behandlung spielen nicht nur die Hauptsymptome und das Alter eine Rolle, sondern auch die Komorbiditäten, erklärte Prof. Dr. Claudio Bassetti vom Universitätsspital Bern. Narkolepsie-Betroffene haben ein höheres Risiko für viele Begleiterkrankungen. So leiden 20 bis 30 % von ihnen an psychiatrischen Krankheiten wie Angststörungen und Depression. Selten schwerwiegend, dafür häufig tritt das Schlafapnoesyndrom auf. Ebenfalls erhöht ist das Risiko für eine Adipositas, das Restless-Legs-Syndrom und die REM-Schlaf-Verhaltensstörung.

Laut den europäischen Empfehlungen von 20211 umfasst die Behandlung pharmakologische und nicht-pharmakologische Strategien. Zu Letzteren gibt es zwar viele Vorschläge, die Evidenz ist jedoch noch nicht ausreichend, sodass es lediglich für geplante Nickerchen tagsüber eine klare Empfehlung gibt. Weitere Bewältigungsstrategien, die Betroffenen helfen könnten, sind das Einhalten fester Schlafzeiten sowie das Vermeiden von Kaffee- und Alkoholkonsum vor dem Zubettgehen.2

Krankheitsmodifizierende Medikamente gibt es nicht, erklärte der Referent, bislang lassen sich nur die Symptome lindern. Für die Behandlung von Tagesschläfrigkeit gibt es mindestens drei Optionen: Modafinil, Pitolisant und Natriumoxybat. Ebenfalls zugelassen ist Solriamfetol, ein relativ neues Medikament, für das noch weitere Studien nötig sind. 

Bei Kataplexie nützt Modafinil in der Regel nicht, so Prof. Bassetti. Liegt eine milde Kataplexie mit schwerwiegender Tagesschläfrigkeit vor, kann der Einsatz dennoch sinnvoll sein. Eine starke Empfehlung bei Kataplexie gibt es hingegen für Natriumoxybat, eine klare, aber etwas schwächere für Pitolisant und auch Venlafaxin/Clomipramin haben sich bewährt. 

Beim fragmentierten Nachtschlaf limitiert sich die Auswahl auf Natriumoxybat. Die anderen Arzneimittel empfehlen sich in solch einem Fall nicht. Lassen sich die Beschwerden mit einer Monotherapie nicht behandeln, folgt eine Kombitherapie. 

Die Empfehlungen für Kinder ähneln denen für Erwachsene. Die Tagesschläfrigkeit und ggf. Kataplexie lassen sich mit Pitolisant oder Natriumoxybat behandeln. Leiden die Kinder zusätzlich an fragmentiertem Nachtschlaf, empfiehlt sich der Einsatz von Natriumoxybat

Mit den Medikamenten lassen sich die Symptome zwar behandeln, allerdings ist die Adhärenz meist nicht gut. Die Therapietreue sollte Inhalt weiterer Studien sein, erklärte Prof. Bassett. Außerdem gibt es Bestrebungen, einen Orexin-2-Rezeptoragonisten zu entwickeln. Ein in Phase-1-Studien erprobter Kandidat erwies sich jedoch als hepatotoxisch, weshalb weitere Forschung nötig ist.

* European Academy of Neurology

** International Classification of Sleep Disorders

Quellen: 

1. Bassetti C et al. J Sleep Res 2021; 30: e13387; DOI: 10.1111/jsr.13387

2. Varallo G et al. Sci Rep 2024; 14: 11837; DOI: 10.1038/s41598-024-62698-5

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