Wie man das unspezifische Symptom richtig einordnet

Dr. Dorothea Ranft

Müdigkeit kann ein Begleitsymptom sehr vieler körperlicher und psychischer Erkrankungen sein und wird damit zu einem häufigen Beratungsanlass in der Hausarztpraxis. Müdigkeit kann ein Begleitsymptom sehr vieler körperlicher und psychischer Erkrankungen sein und wird damit zu einem häufigen Beratungsanlass in der Hausarztpraxis. © jenny on the moon – stock.adobe.com

Viele Patientinnen und Patienten klagen über Müdigkeit. Doch diese ist längst nicht immer krankhaft. Wie lässt sich die pathologische Form identifizieren und welche Rolle spielt die Persönlichkeit des Gegenübers?

Müdigkeit kann ein Begleitsymptom sehr vieler körperlicher und psychischer Erkrankungen sein und wird damit zu einem häufigen Beratungsanlass in der Hausarztpraxis. Im ersten Schritt ist deshalb zu klären, was im spezifischen Fall mit der subjektiven Empfindung „Müdigkeit“ gemeint ist und herauszufinden, ob dieses zunächst unspezifische Symptom Krankheitswert hat.

Sind Antrieb oder Aktivität beeinträchtigt?

Für einen unbedenklichen Müdigkeitszustand spricht ein Ruhe- oder Schlafbedürfnis, das weder Antrieb noch Aktivität beeinträchtigt, erklärt Prof. Dr. Michael Linden­ von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Im nächsten Schritt ist von Interesse, ob ein (psycho-)pathologisches Symptom wie eine depressive Verstimmung zugrunde liegt. Außerdem sollte man eruieren, welche Zusatzsymptome vorliegen, ob diese für ein bekanntes Syndrom sprechen oder multiple unspezifische Beschwerden geschildert werden. Auch die Intensität der Müdigkeit ist von Belang. Gesunde Müdigkeit wird zwar als beeinträchtigend erlebt, behindert aber das Alltags­geschehen nicht. Von Bedeutung ist natürlich auch der Kontext, in dem die Müdigkeit entstanden ist. Zu erheben sind u. a. Tagesaktivitäten, Schlafzeiten und -frequenz, aber auch berufliche und private Anforderungen, die nicht zwingend eine pathologische Müdigkeit hervorrufen müssen.  

Es spielt auch eine Rolle, wie resilient und leidenstolerant eine Person ist. Die Tendenz, über gesundheitliche Probleme zu klagen, macht daraus noch keine Krankheit, sondern ist vielmehr ein Persönlichkeitsstil, betont Prof. Linden. Die verstärk­te Aufmerksamkeit für das eigene Befinden führt zu einer erhöhten somatosensorischen Wahrnehmung. Persönlichkeitsnahe Krankheitskonzepte, also beispielsweise der Hang zur bio- oder psychologistischen Welterklärung, können ebenfalls Hinweise darauf geben, wie „Bagatellbeschwerden“ gedeutet werden können.  

Zudem ist der Umgang mit den geschilderten Symptomen und etwaigen Einschränkungen zu klären: Reagiert die Person z. B. mit einem inadäquaten Schonverhalten oder zeigt sie eher eine kämpferische Gegenreaktion? Und schließlich ist zu berücksichtigen, ob bestimmte gesellschaftliche Konventionen oder kulturelle Perspektiven einen Einfluss haben, wenn Leid ausgedrückt oder ein Gesundheitszustand beklagt wird. 

Die Diagnose Gesundheit ist schwieriger zu stellen als die einer Krankheit, warnt Prof. Linden. Patientinnen und Patienten fühlen sich mit einer Diagnose ernst genommen und entlastet. Dies kann dazu führen, dass sich Erkrankte und Ärzte bei unspezifischen Befindlichkeitsstörungen, zu denen die Müdigkeit zählt, vorschnell auf unzureichend belegte Diagnosen und Erklärungen verständigen, obwohl die Evidenzbasis noch fehlt. Daraus kann eine verengte Perspektive entstehen, die die Betroffenen sogar gefährden kann, gibt der Experte zu bedenken. Er rät: Die Beschwerdeäußerung „Müdigkeit“ rechtfertigt eine professionelle Abklärung. Um eine Medikalisierung des Alltäglichen zu vermeiden, sollen aber nicht leichtfertig weitreichende dia­gnostische Maßnahmen eingeleitet oder Krankheitsdiagnosen angedeutet werden. Dies kann zur Verunsicherung oder Verschlimmerung der Problematik führen. 

Mit M- oder Q-Codes aus der ICD-11 lassen sich Beschwerdeanlässe ohne Krankheitswert kennzeichnen. Der erste therapeutische Schritt ist in diesem Fall die klar vermittelte Diagnose „gesunde Müdigkeit“, um den Betroffenen Sicherheit zu vermitteln. Im nächsten Schritt geht es darum, dass Betroffene den eigenen Biorhythmus besser verstehen lernen und entsprechende Empfehlungen erhalten. Hierzu gehören auch scheinbar profane Maßnahmen wie ein Mittagsschlaf gegen Mittagsmüdigkeit. Zur Behandlung gibt es bisher nur fallabhängige klinisch basierte Ansätze, die überwiegend psychotherapeutisch ausgerichtet sind.

Quelle: Linden M. Bundesgesundheitsbl 2024; doi: 10.1007/s00103-024-03963-w

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Müdigkeit kann ein Begleitsymptom sehr vieler körperlicher und psychischer Erkrankungen sein und wird damit zu einem häufigen Beratungsanlass in der Hausarztpraxis. Müdigkeit kann ein Begleitsymptom sehr vieler körperlicher und psychischer Erkrankungen sein und wird damit zu einem häufigen Beratungsanlass in der Hausarztpraxis. © jenny on the moon – stock.adobe.com