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Wie entsteht der essenzielle Tremor und wie behandelt man ihn?
Eine der ersten ZNS-Strukturen, die mit dem essenziellen Tremor in Verbindung gebracht wurden, war die untere Olive. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass man mit Hamalin bei Nagern eine motorische Störung verursachen kann, die dem essenziellen Tremor sehr ähnlich ist. Und auch beim Menschen scheint die untere Olive sehr gut für die Erzeugung generalisierter rhythmischer Phänomene der Motorik geeignet zu sein, wie Privatdozent Dr. Jan Raethjen von der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel beispielhaft erläutert.
Beim essenziellen Tremor ist die zerebelläre Funktion gestört
Die zweite Struktur die in Zusammenhang mit dem essenziellen Tremor gebracht wird, ist das Kleinhirn. In funktionellen Bildgebungsuntersuchungen wurde bereits Anfang der 1990er Jahre eine bilaterale zerebelläre Überaktivierung bei Patienten mit essenziellem Tremor nachgewiesen. Und auch der bei knapp 60 % der Betroffenen vorhandene Intentionstremor spricht für eine leichte zerebelläre Dysfunktion.
Diese ist nicht nur im Bereich der Hände vorhanden, sondern auch an der unteren Extremität: Fast alle Betroffenen leiden zusätzlich unter einer leicht- bis mittelgradigen Gangstörung, die dem Bild einer zerebellären Degeneration stark ähnelt. „Wir haben eine ganze Reihe klinischer Hinweise, dass die zerebelläre Funktion bei Patienten mit essenziellem Tremor offensichtlich gestört ist“, sagt der Neurologe.
Vom Thalamus zum motorischen Kortex
Aber es müssen noch andere Zentren involviert sein, allen voran der Thalamus. Hirnströme, die während Tiefenhirnoperationen bei Patienten mit essenziellem Tremor abgeleitet werden, ergeben synchrone Aktivitätsmuster zwischen Thalamus und peripherem Muskel. „Also spiegelt sich auch im Thalamus diese rhythmische Oszillation wider“, stellt Dr. Raethjen heraus.
Und vom Thalamus ist der Weg zum motorischen Kortex nicht mehr weit. Hier konnte der Experte anhand von eigenen, mittels hochauflösenden EEGs generierten Daten zeigen, dass zwischen der kortikalen Ableitung und dem peripheren Tremor ebenfalls eine gleichlaufende Aktivität existiert – und zwar kontralateral zur Seite des Tremors. „Das heißt auch thalamokortikale Loops sind an der Tremor-Entstehung beteiligt“, postuliert der Referent.
Ein ganzes oszillatorisches Netzwerk beteiligt sich am Zittern
Fasst man diese Erkenntnisse zusammen, so kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass fast das gesamte zentrale motorische Netzwerk involviert ist. Und diese These, eines „oszillierenden Netzwerkes“ wurde letztes Jahr von der Arbeitsgruppe um Professor Dr. Alfons Schnitzler aus Düsseldorf bestätigt. Sie hat eine Methode entwickelt, die es erlaubt mithilfe der Magnetenzephalographie (MEG) die Areale im Gehirn zu fokussieren und darzustellen, die mit dem Tremor auch wirklich gekoppelt sind.
Es fällt auf, dass sich dieses pathologisch oszillierende Netzwerk weitgehend mit den Strukturen deckt, die auch bei der Generierung von Willkürbewegungen eine große Rolle spielen. Dr. Raethjen schließt daraus, dass vermutlich nicht die Topographie, sondern vielmehr veränderte Verbindungen und dysfunktionale Interaktionen zwischen den einzelnen Hirnarealen den Tremor auslösen.
Medikamentöse Optionen um das Zittern in den Griff zu bekommen
Eine Behandlung ist nur dann notwendig, wenn das Zittern zu erheblichen Einschränkungen im täglichen Leben führt. „Keine Behinderung, keine Therapie!“, betont Dr. Martin Kronenbürger von der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum der RWTH Aachen.
In frühen Stadien reicht oft schon eine Bedarfsmedikation mit 20 bis 40 mg Propranolol, um ein verstärktes Zittern in belastenden Situationen zu mildern. Auch Alkohol bessert bei ca. der Hälfte der Patienten den Tremor, sollte aber wegen seines Abhängigkeitspotenzials und des Risikos eines Reboundeffektes nicht empfohlen werden.
Mit Monotherapie oder Kombinationstherapie gegen den essenziellen Tremor
Zur dauerhaften Behandlung ist der Betablocker ebenfalls erste Wahl, genau wie Primidon. Für welches der beiden Präparate man sich entscheidet, hängt maßgeblich von Kontraindikationen und dem Nebenwirkungsprofil ab. So ist Propranolol für Patienten mit Asthma, COPD, Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus und AV-Block gänzlich ungeeignet. Und während bei fast einem Drittel der Tremor-Patienten in der Eindosierungs-Phase unter Primidon Nebenwirkungen auftreten, sind es bei Propranolol nur 8 %. Im Langzeitverlauf allerdings steigert sich diese Rate auf 17 %, unter Primidon treten eigentlich keine Nebenwirkungen mehr auf.
Versagt die Monotherapie, sollte zunächst eine Kombination der beiden Präparate erfolgen, schlägt der Referent vor, „natürlich unter Berücksichtigung der Kontraindikationen“. Alternativ ist eine Behandlung mit dem Antikonvulsivum Gabapentin zu erwägen, da es effektiv, mit wenigen Nebenwirkungen behaftet und relativ günstig ist. Allerdings nur als Monotherapie, als Begleitmedikation ist Gabapentin wirkungslos.
Wann kommt die tiefe Hirnstimulation infrage?
Ein weiteres Antikonvulsivum, Topiramat, bessert zwar auch bei einigen Patienten die Tremorsymptomatik, sollte aber allenfalls als Reservepräparat dienen, mahnt der Experte. Mehr als ein Drittel der Patienten muss mit dem Auftreten von Nebenwirkungen rechnen. Auch Clozapin kann in Einzelfällen als Dauertherapie eingesetzt werden.
Versagt die medikamentöse Therapie und schreitet die Erkrankung weiter fort, so hat sich die tiefe Hirnstimulation als effektive Behandlungsoption für den essenziellen Tremor etabliert. Allerdings muss für die Indikation zur Operation eine deutliche funktionelle Behinderung bestehen, d.h., das Zittern macht Alltagsfunktionen wie Schreiben, Essen oder Trinken so gut wie unmöglich. Weitere Voraussetzungen sind der gute Allgemeinzustand des Patienten und sein eigener Operationswunsch.
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