Neuere Therapien im Vergleich

Bei der Therapie des essenziellen Tremors (ET) mit tiefer Hirnstimulation (THS) ist bislang nicht abschließend geklärt, welcher Zielpunkt der Beste ist, erklärte Prof. Dr. Michael Thomas Barbe von der Klinik für Neurologie der Uniklinik Köln. Es scheint so, dass die Stimulation der posterioren subthalamischen Region der des Nucleus ventralis intermedius (VIM) überlegen ist.
Eine Auswertung von Daten von fünf deutschen und schweizerischen Zentren zeigte allerdings die höchste Symptomreduktion (bis 100 %) bei Stimulation im Bereich des cerebellothalamischen Trakts, berichtete der Kollege. Mittlerweile wurde der dentato-rubro-thalamische Trakt unterhalb des VIM als neues wichtiges Zielgebiet etabliert. Die hochfrequente Stimulation dieser Verbindung zwischen dem Nucleus dentatus des Kleinhirns und dem Thalamus reduziert die neuronale Weiterleitung in den motorischen Kortex. Prospektive Studien zu dieser Zielstruktur fehlen allerdings noch, gab Prof. Barbe zu bedenken.
Technisch soll das Ansteuern des gewünschten Zielgebiets durch spezielle MRT-Frequenzen (FGATIR*) verbessert werden. Prof. Barbe erklärte, dass so die individuelle Vorhersage des Zielgebiets und damit eine personalisierte THS möglich wird.
Vorsicht vor Anticholinergika
Menschen mit Parkinson-Erkrankung haben bereits früh im Krankheitsverlauf ein hohes Risiko für kognitive Einbußen. Dr. Isabel Wurster von der Abteilung für Neurodegeneration des Universitätsklinikums Tübingen betonte daher, dass Anticholinergika zur Behandlung von Tremores bei diesen Patienten obsolet sind. Acetylcholin hat eine wichtige Funktion für Aufmerksamkeit und zerebrale Perfusion und man weiß, dass Anticholinergika die kognitive Funktion insbesondere bei älteren Menschen deutlich verschlechtern sowie das Demenzrisiko erheblich erhöhen. Das gilt bereits bei relativ kurzer Anwendungsdauer und ist ein Klasseneffekt.
„Das hat uns sehr zurückgeworfen“,einte Dr. Wurster. Primär empfahl sie zur Tremorkontrolle die Optimierung der medikamentösen Parkinson-Therapie. Wenn sich Akinesen, Hypokinesen und Rigor verbessern, geht häufig auch der Ruhetremor zurück. Manchmal ist allerdings eine Verschlechterung zu beobachten. Sie riet in diesem Fall L-Dopa einzusetzen, in Einzelfällen evtl. in Tagesdosen bis 1000 mg.
Mit der Zeit setzt nach THS Habituierung ein
Die THS ist bei essenziellem Tremor sehr wirksam, hat aber ihre Nachteile. Über die Zeit – nach Jahren, manchmal aber auch schon früher – wird eine Habituierung beobachtet, die sich nicht durch einen Krankheitsprogress erklären lässt. Die Weiterbehandlung gestaltet sich dann schwierig, sagte Prof. Barbe. Als Nebenwirkung der tiefen Hirnstimulation kann eine stimulationsinduzierte Dysarthrie auftreten, der man aber durch Anpassung der Stimulationsparameter an den quadripolaren Elektroden begegnen kann. Ein besonderes Problem: die stimulationsinduzierte Gangataxie, die sich häufig erst nach längerem Ausschalten der Elektroden bessert. Das weist auf neuroplastische Vorgänge hin, meinte der Neurologe. Neue Stimulationsparameter sollen Nebenwirkungen reduzieren, z.B. kurze Pulse, die direktionale THS, eine polare oder auch eine überlappende Stimulation.
Ein neueres, inzwischen ebenfalls etabliertes Therapieverfahren ist der MRT-gestützte fokussierte Ultraschall (MRgFUS). Dabei werden unter MRT-Kontrolle punktgenau gebündelte hochenergetische Ultraschallwellen in zerebrale Kerngebiete gesandt. Diese Therapie ist ohne Eröffnen des Schädels möglich – ein Vorteil bei Tremorpatienten mit hohem Operationsrisiko und in höherem Alter, erklärte Dr. Steffen Paschen von der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Kiel.
Zunächst wird das Ziel testweise auf 47-50 °C erwärmt, was zu einer vorübergehenden Inaktivierung von Nervenzellen führt. So können der Effekt und die Nebenwirkungen beurteilt werden, bevor man dann das Kerngebiet endgültig zerstört. Die Thermoablation erfolgt bei Temperaturen von 57–60 °C.
Wann die Stimulation, wann die Ultraschallwellen einsetzen? | ||
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Dominanter Tremor | Fokussierter Ultraschall (einseitige Therapie) | Tiefe Hirnstimulation |
Kopftremor |
| + |
Rumpftremor |
| + |
beidseitiger | (+) | + |
einseitig betonter Armtremor | + |
|
erhöhtes | + |
|
höheres Alter | + |
|
Etabliert ist die einseitige Therapie, die nach einer Metaanalyse die Gesamttremor-Scores über ein Jahr halbieren kann. Unmittelbar nach der Behandlung treten bei 50 % der Patienten allerdings Ataxien, bei 20 % auch Gefühlsstörungen auf. Im Langzeitverlauf reduziert sich der Anteil auf 31% beziehungsweise 13 %. Durch Ansteuern über Diffusions-Tensor-Bildgebung kann die Rate der Ataxien deutlich gesenkt werden.
Beobachtungen über vier Jahre sprechen dafür, dass der tremorreduzierende Effekt anhält. Infektion oder Blutungen traten bislang nicht auf, betonte Dr. Paschen. Inzwischen liegen erste Ergebnisse zur bilateralen, gestaffelt durchgeführten Thalamotomie vor.. Die Wirksamkeit ist bei beidseitiger Behandlung höher, Nebenwirkungen blieben bislang mild und alle zehn in die Studie eingeschlossenen Patienten gaben an, sie würden die Behandlung der zweiten Körperseite wieder durchführen lassen.
* Fast Gray Matter Acquisition T1 Inversion Recovery
Kongressbericht: Deutscher Kongress für Parkinson und Bewegungsstörungen 2022
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