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Der Alterstremor ist kein Essentieller!
Fangen ältere Menschen an, bei alltäglichen Bewegungen mit den Händen zu zittern, fällt dieser Tremor zumeist unter den Deckmantel des essentiellen Tremors (ET). Dieser geht mit einem milden zerebellären Funktionsdefizit einher, darüber sind sich Experten einig. Doch welche Prozesse dahinterstecken – Neurodegeneration oder funktionelle (Rezeptor)Störungen –, ist nach wie vor unklar.
Kognitiver Abbau und verkürzte Lebenserwartung würden für eine neurodegenerative Entwicklung sprechen. Allerdings konnte ein Verlust kognitiver Fähigkeiten nur bei Patienten mit spätem Tremorbeginn beobachtet werden. Und eine überzeugende Assoziation zu erhöhter Sterblichkeit und Gebrechlichkeit findet sich wiederum nur für diejenigen, deren Tremor sich erst im fortgeschrittenen Alter manifestiert, erklären Professor Dr. Günther Deuschl von der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel und Kollegen.
Ursache des Essentiellen Tremors weiterhin unklar
Diese Überlegungen führten dazu, dass er und seine Kollegen davon ausgehen, dass es unterschiedliche Tremorentitäten, den essentiellen und den altersassoziierten Tremor, gibt. Ihre Hypothese prüften sie anhand von Daten einer Längsschnittstudie mit dänischen Zwillingen. Die untersuchte Kohorte bestand aus 2448 Teilnehmern (> 70 Jahre), die bereits 2001 einen Screening-Fragebogen zum Vorliegen eines ET beantwortet hatten. 2056 Probanden hatten zudem die Archimedes-Spirale (Schneckenhaus) gezeichnet, um die Ausprägung eines etwaigen Tremors zu messen (Score von 0 bis 10). Erfasst wurden auch die Dauermedikation sowie Alterungsparameter, wie Griffstärke, kognitive Fähigkeiten und Alltagsaktivitäten.
Eine Untergruppe von 276 Zwillingen, von denen mindestens einer die Screening-Kriterien eines essentiellen Tremors erfüllte, wurde 2002 von einem Experten für Bewegungsstörungen untersucht, der aufgrund ihrer Befunde die Diagnosen „definitiver“, „wahrscheinlicher“ oder „möglicher“ essentieller Tremor sowie „anderer“ Tremor stellte. Die Mortalität ihrer Probanden erfassten Prof. Deuschl und sein Team über das dänische Bevölkerungsregister nach einem elfjährigen Follow-up.
Essentieller Tremor verschlechtert nicht die Prognose
Ein Viertel der Gesamtkohorte erfüllte das Kriterium eines klinisch sichtbaren Tremors (Score > 3). Der Score stieg mit zunehmendem Alter und je größer dieser Wert, desto höher war auch die Mortalität – und das unabhängig von anderen Faktoren, wie Alter oder Geschlecht. Auch gingen höhere Scores bezogen auf alle Teilnehmer mit einer eingeschränkten physischen und kognitiven Funktion einher.
In der neurologisch nachuntersuchten Subgruppe erhielten 36 Patienten die definitive ET-Diagnose, bei 69 war dieser Tremor immerhin wahrscheinlich. Der Spiralen-Score lag bei 76,5 % der sicher von einem essentiellen Tremor Betroffenen über 3. Im Gegensatz zur Gesamtkohorte stellten die Forscher bei ihnen aber eine tendenziell eher niedrigere Mortalität fest (nicht statistisch signifikant). Auch ging es ihnen physisch und kognitiv deutlich besser als der Kontrollgruppe.
Neue Entität: Altersassoziierter Tremor
Für die Autoren spricht all das gegen die Auffassung, Menschen mit essentiellem Tremor hätten eine schlechtere Prognose als solche ohne Tremor. Auch sei es unwahrscheinlich, dass der hereditäre essentielle Tremor im hohen Alter für eine Häufung der Fälle sorgt. Denn das Vollbild der erblichen Form zeige sich spätestens zwischen 60 und 65 Jahren. Würde man bei einem Aktionstremor zwischen ET und altersassoziiertem Tremor unterscheiden, so ließen sich die offensichtlichen Diskrepanzen leicht erklären, betonen die Experten.
Die Prävalenz des altersassoziierten Tremors steigt mit zunehmendem Alter, auch seine Intensität verschlimmert sich dann. Zwar können einige der von den Teilnehmern eingenommenen Medikamente einen symptomatischen Tremor verursachen, jedoch erklären weder die Medikation noch andere Alterungsparameter die Korrelation zwischen Tremor und Mortalität in der Gesamtkohorte.
Eine endgültige klinische Definition des Krankheitsbildes können die Autoren letztlich (noch) nicht liefern. Klar ist aber: Beim altersassoziierten Tremor handelt es sich um einen Aktionstremor mit spätem Erkrankungsbeginn, der mit kognitivem Abbau und Einschränkungen im Alltag einhergeht.
Quelle: Günther Deuschl et al., Mov Disord 2015; 30: 1227-1334
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