Woher kommen die Parkinsonsymptome beim Migränepatient?

Dr. Anja Braunwarth, Foto: fotalia, Photographee.eu

Die chronischen Kopfschmerzen Ihres älteren Patienten sind stabil eingestellt, doch jetzt kommt eine neue Begleiterkrankung dazu. Bevor Sie nun den Rezeptblock zücken: Achten Sie auf mögliche Interaktionsfallen!

Etwa 40 % der über 65-Jährigen nehmen mindestens neun Medikamente pro Tag ein, berichtete Provatdozent Dr. Tim Jürgens von der Klinik für Neurologie am Klinikum Pinneberg. Da wundert es kaum, dass ungefähr jeder dritte Patient in dieser Altersklasse unter unerwünschten Wirkungen leidet. Gerade bei neu auftretenden Komorbiditäten, die eine zusätzliche Therapie erforderlich machen, sollten Sie daher die potentiellen Interaktionspotentiale gut im Auge behalten, mahnte Dr. Jürgens. Er präsentiert dazu einige Beispiele mit dem Grundleiden „Kopfschmerz“.

Fall 1:

Die 73-Jährige mit einer langjährigen Migräne ohne Aura ist seit sechs Monaten stabil auf Valproat eingestellt, als Akuttherapie wirkt Ibuprofen (400 mg) sehr gut. Seit zwei Wochen nimmt die Patientin nun wegen „Herzschmerzen“ ASS 300 mg ein, seit einer Woche bemerkt sie ein Zittern der Hände und das Gehen sei langsamer geworden. Diese parkinsonartigen Symptome deuten laut Dr. Jürgens klar auf eine Valproatüberdosierung hin. Der Grund: ASS verdrängt das Antiepileptikum aus der Plasmaeiweißbindung, der Wirkstoffspiegel steigt.

Fall 2:

Die 45-Jährige hat ihren chronischen Spannungskopfschmerz mit Duloxetin 60 mg gut im Griff. Vor zwei Wochen hörte sie auf zu rauchen, seit fünf Tagen wird sie wegen einer schmerzhaften Dysurie mit Ciprofloxacin (2 x 500 mg) behandelt. Die Angehörigen bringen die Frau nun in die Klinik, weil sie seit dem Vorabend unruhig, zittrig, nassgeschwitzt sei und „neben sich stünde“.

Wann Nikotinverzichtauch negative Folgen hat

Hier spricht alles für ein pharmakokinetisch bedingtes Serotonin-Syndrom, meinte Dr. Jürgens. Das kann alleinige Nebenwirkung des Antibiotikums sein, aber auch auf dessen CYP1A2-Hemmung beruhen, wodurch der Spiegel des Antidepressivums steigt. Erschwerend wirkt sich die plötzliche Nikotinkarenz aus, denn Tabak heizt den CYP1A2-Metabolismus an. Serotonin-Syndrome drohen noch bei einer ganzen Reihe anderer Substanzen durch unterschiedliche Mechanismen (s. Tabelle).

Fall 3:

Ein 65-jähriger Mann erhält bei Hypertonie und Hyperlipidämie Amlodipin (5 mg) und Simvastatin (20 mg). er lebt gesund, hat aufgehört zu rauchen und trinkt jeden Morgen ein Glas Grapefruitsaft. Wegen eines chronischen Clusterkopfschmerzes soll der Patient nun eine Prophylaxe erhalten, für die Verapamil das Mittel der Wahl wäre. Doch Vorsicht, warnte Dr. Jürgens. Der Kalziumantagonist hemmt – ebenso wie übrigens der Grapefruitsaft – CYP3A4 und behindert damit sowohl den Abbau von Amlodipin als auch von Simvastatin. Der Neurologe riet dazu, bei Einsatz von Verapamil auf Pravastatin umzustellen und ggfs. auch die antihypertensive Therapie zu tauschen.  

So können serotonerge Substanzen agieren

 

Mechanismus

Wirkstoff

 

forcierte Serotoninbildung

 

Tryptophan

 

verstärkte Freisetzung von Serotonin

 

Valproinsäure, Mirtazapin, L-Dopa, Ecstasy, Amphetamine, Kokain, Methadon

 

Hemmung der Serotonin-Wiederaufnahme im synaptischen Spalt

 

SSRI, SSNRI, trizyklische Antidepressiva, Johanniskraut, „Setrone“, Opioide (Methadon, Pethidin, Tramadol, Fentanyl)

Hemmung des Serotonin-Abbaus

 

MAO-Hemmer, Linezolid

(Partial-)Agonisten am 5-HT-Rezeptor

 

Triptane, Ergotamine, Fentanyl, Buspiron

Steigerung der Empfindlichkeit postsynaptischer 5-HT-Rezeptoren

 

Lithium

Fall 4:

Ein weiterer 65-jähriger Clusterkopfschmerz-Patient steht schon vier Jahre unter Lithium-Therapie (2 x 450 mg). Nun leidet er an einer akuten Lumbago, der Orthopäde verschrieb ihm vor einer Woche Ibuprofen (3 x 800 mg). Vor drei Tagen kam ein akut fieberhafter Infekt dazu und seit dem Vorabend präsentiert sich der Mann nach Angaben der Tochter deutlich wesensverändert, apathisch und zittrig. Diese Konstellation spricht für eine Lithiumintoxikation, ausgelöst durch die Einnahme des NSAR. Denn diese Analgetika senken die GFR, was zur erhöhten tubulären Rückresorption von Lithium führt. Flüssigkeitsmangel begünstigt das Ganze, was bei dem 65-Jährigen mit seinem Infekt zu den Vergiftungserscheinungen beigetragen haben könnte.

Fall 5:

Die Postzosterneuralgie der 75-Jährigen ist mit Duloxetin 60 mg und Gabapentin 900 mg gut eingestellt. Auch diese ältere Dame plagt jetzt eine Lumbago, gegen die ihr der Orthopäde Ibuprofen (3 x 400 mg) plus 50 mg Prednisolon verordnet. Jetzt kommt sie wegen akuter Magenschmerzen und blutigen Erbrechen in die Ambulanz.

Seniorin mit iatrogener Magenblutung

Diese gastrointestinale Blutung beruht vermutlich auf der Kombination von Duloxetin mit NSAR und Steroid, erklärte Dr. Jürgens. Serotonerge Antidepressiva blockieren die Aktivierung von Thrombozyten und steigern so schon alleine das Blutungsrisiko. Die Komedikation mit gastrotoxischen Medikamenten oder Thrombozytenaggregationshemmern erhöht die Gefahr überadditiv. Sollen solche Substanzen zum Einsatz kommen, empfiehlt sich die ergänzende Gabe von PPI. Alternativ kann man auch auf nicht-serotonerge Antidepressiva wie Bupropion oder Desipramin umstellen.

"Start low, go slow"

Die präsentierten Fälle stellen nur eine Auswahl dar, betonte Dr. Jürgens. Die Fallstricke sind gerade im Alter sehr zahlreich und neben Wechselwirkungen gilt es natürlich auch noch, die Nebenwirkungen der verschiedenen Präparate zu beachten. „Start low, go slow“, nannte der Referent die grundsätzliche Devise. Und natürlich finden Sie heutzutage auch schnelle Hilfe in Kitteltaschenbüchern oder Datenbanken.

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