Zahlreiche Interaktionen zwischen Magen, Darm und Niere

Nierenarzt/Nierenärztin

Magen, Darm und Niere – Bei CKD- bzw. Dialyse-Patient:innen sind zahlreiche 
Interaktionen zu beachten. Magen, Darm und Niere – Bei CKD- bzw. Dialyse-Patient:innen sind zahlreiche Interaktionen zu beachten. © Julien Tromeur – stock.adobe.com

Wie Dr. Nicola Wilck, Charité – Universitätsmedizin Berlin, darlegte, ist die Akkumulation von Urämietoxinen aus dem Mikrobiom eines Patienten ein wesentliches Merkmal der vielfältigen systemischen Folgen einer chronischen Nierenerkrankung (CKD).

Die abnehmende Nierenfunktion führt zur Akkumulation toxischer Mikrobiom-Metabolite wie Indoxyl-Sulfat (IS) oder Trimethylamin-N-Oxid (TMAO). Diese Urämietoxine beeinflussen u. a. das Endothelium und das Immunsystem, fördern chronische Inflammationsprozesse, tragen zur Nierenschädigung und zur CKD-Progression bei, können kardiovaskuläre Schäden am Herzgefäßsystem wie auch gastrointestinale Symptome verursachen. Denn, wie Wilck erläuterte, Urämietoxine stehen in enger Wechselbeziehung mit einer intestinalen Dysbiose, die wiederum eine wesentliche Quelle für aus dem Darm kommende urämische Toxine ist. Das Hauptproblem bei dialysepflichtigen Patient:innen bestehe zurzeit in der schlechten Dialysierbarkeit proteingebundener urämischer Toxine mit herkömmlichen Dialyseverfahren. Deshalb gehe es darum, Wege zu finden, um die Entstehung urämischer Toxine (eine intestinale Dysbiose) zu vermeiden.

Die intestinale Mikrobiota – ein stoffwechselaktives Kompartiment

Um zu erklären, warum bei einer chronischen Niereninsuffizienz Urämietoxine produziert und resorbiert werden und akkumulieren, lenkte Wilck die Aufmerksamkeit auf das Mikrobiom als relevantes stoffwechselaktives Kompartiment und die Funktion einer veränderten Bakterienzusammensetzung der Darmflora. „Während in der sog. Eubiose bestimmte Metaboliten Kennzeichen einer gesunden Wirt-Mikrobiom-Interaktion sind, sehen wir bei der Dysbiose taxonomisch eine geringere Diversität und andere Bakterien, sogenannte Pathobionten, die pathogene Metabolite produzieren. Ein Teil davon sind Urämietoxine, die bei eingeschränkter Nierenfunktion stadienabhängig akkumulieren“, erläuterte der Referent.

Je nach Stadium der Niereninsuffizienz, so zeigte eine Arbeit aus seinem eigenen Labor, in dem das Mikrobiom nierenkranker Kinder (ohne altersbedingte Begleiterkrankungen) untersucht wurde, verändert sich der Stoffwechsel des Mikrobioms mit einem Übergewicht hin zur proteolytischen Fermentation. Das gesunde Mikrobiom verstoffwechselt langkettige Kohlenhydrate/Ballaststoffe und macht daraus kurzkettige Fettsäuren. Diese waren bei HD-Patient:innen deutlich vermindert, während Tryptophan-Metabolite mit der höchsten Ausprägung bei der Hämodialyse akkumulierten.

Gleichzeitig sahen die Wissenschaftler einen stadienabhängigen Anstieg von TNFα [Holle et al. JASN 2022]. Das bestätigt, Tryptophan-Metabolite treiben die Inflammation - mit den entsprechenden oben beschriebenen Folgen wie Disruption der Darmbarriere, Gefäß- und Herz-Kreislauferkrankungen [Zoccali et al. Nat Rev Nephrol 2017]. Entsprechende weitere Untersuchungen legen die Vermutung nahe, dass Urämietoxine über den Acrylhydrocarbon-Rezeptor (AhR), den sog. Dioxin-Rezeptor in Immunzellen dazu führen, dass vermehrt Zytokine ausgeschüttet werden und so die chronische Inflammation angetrieben wird. Die Frage ist also, wie die Produktion der Urämietoxine gehemmt werden kann.

Neben verschiedenen Ansätzen, die noch Gegenstand der experimentellen Forschung sind, um z. B. durch spezifische Adsorption nur bestimmte Metabolite wie Indoxyl-Sulfat zu binden [Wei et al. Nature Communications 2023], verwies Wilck außerdem auf die wichtige Rolle der Ernährung. Man sei sich bei CKD ohnehin noch nicht sicher, ob die beobachtete Dysbiose Folge der Erkrankung und/oder der Ernährung der Betroffenen ist.

Ernährung steuert die Genexpression von Darmbakterien

Die Zusammensetzung des Mikrobioms und die Genexpression der Darmbakterien werden wesentlich durch die Ernährung reguliert. Dabei werden aus ballaststoffreichen Nahrungsmitteln die oben genannten kurzkettigen Fettsäuren produziert. Im Gegensatz dazu entstehen im Mikrobiom aus Eier- und Fleischprodukten, also proteinreichen Mahlzeiten, Metabolite, die in der CKD akkumulieren können. „Wenn wir wüssten, wie hoch bei unseren CKD-Patient:innen das jeweilige Produktionspotenzial ist, könnte das ein Biomarker sein, um die Ernährung besser zu steuern“, erläutert Wilck den Plan, die Expression der für die Metabolitenproduktion zuständigen Enzyme zu messen und diagnostisch zu nutzen. Somit könnte die Erfassung der Toxin-Produktion aus einer Stuhlprobe erfolgen.

Einer dieser relevanten Metaboliten ist z. B. Trimethylamin-N-oxid (TMAO), der aus Fleisch und Eiern entsteht und in einer bestimmten Konzentration unter anderem Atherosklerose, CKD-Progression und Organfibrose fördert [Circ Res 2015;116:448-455 DOI: 10.1161/CIRCRESAHA.116305360]. Auch eine eigene Untersuchung [nicht publizierte Daten, Holle & McParland et al. Manuskript in preparation], wiederum an Kindern mit CKD, HD, PD und nach Nierentransplantation, hat bestätigt, dass die CKD- und die Dialysepatient:innen die höchsten TMAO-Spiegel haben, und je niedriger die eGFR ist, das TMAO am höchsten ist. Zudem haben wir gesehen, so berichtete Wilck, dass die Patient:innen, die die niedrigste GFR haben, auch die höchste Expression dieser TMAO-generierender bakterieller Enzyme haben. „Aufgrund dieser Daten gehen wir davon aus, dass es sich nicht nur um eine ausschließlich GFR-abhängige Akkumulation handelt, sondern zusätzlich um eine erhöhte mikrobielle Produktion. Hier könnte man mit der Annahme, dass eine ballaststoffeiche Ernährung die intestinale TMA(O)-Bildung der Bakterien supprimiert, eingreifen. Das hat in unserer Untersuchung (Inulin-Gabe vs. Placebo, n=20) schon funktioniert. Nach 14 Tagen hatten die Probanden aus der Inulin-Gruppe grundsätzlich die niedrigsten TMAO-Spiegel.“

Weitere Ansätze beschäftigen sich z. B. mit der Entwicklung oraler Small molecule-Inhibitoren der beschriebenen bakteriellen Enzyme. Damit sollen die Enzyme im Darm und somit die TMAO-Produktion gehemmt werden. Die Idee von der Gruppe um Stanley Hazen (Jerry Buysse, Robert Matunas, Camilla V. Simpson) wurde in einem experimentellen Setting weiter verfolgt. Wilck verwies auf das im Rahmen der Kidney Week in Philadelphia 2023 präsentierte Poster, welches zeigt, dass durch die Gabe dieses Inhibitors die TMAO-Spiegel sinken und auch die CKD-Progression gehemmt wird, was durch geringere Kreatinin und Cystatin C-Konzentrationen gezeigt werden konnte.

Fazit

Die intestinale Mikrobiota als stoffwechselaktives Organ ist eine relevante Quelle urämischer Toxine, fasste Wilck zusammen. Deren Akkumulation ist nicht ausschließlich GFR-abhängig, sondern durch eine vermehrte mikrobielle Produktion im Darm bedingt oder verstärkt. Eine mögliche therapeutische Strategie ist es, diese Dysbiose durch Anpassung der Ernährung zu verhindern. Eine weitere Möglichkeit ist, die Toxinproduktion oder deren Resorption zu hemmen.

Aktuell genutzte Dialyseverfahren sind nicht ausreichend, um die Toxine zu eliminieren. Härtere Endpunktstudien zu den vorgestellten Ansätzen und ein besseres mechanistisches Verständnis der Wirt-Mikrobiom-Beziehung birgt therapeutisches Potenzial bei der Kontrolle CKD-assoziierter Komplikationen, ist Wilck überzeugt. Eine neue Studie (Ballaststoffintervention auf das Mikrobiom von Dialysepatient:innen, RESTORE-Studie) wird voraussichtlich weitere Belege generieren.

Quelle: 23. Berliner DialyseSeminar, Berlin, 1.12.2023, Themenschwerpunkt „Gastrointestinaltrakt und Nierenersatzverfahren“, Vortrag Dr. Nicola Wilck, Berlin

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 2/2024

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