Zu viel akupunktiert? Es droht Regress!

Michael Reischmann, Foto: thinkstock

Akupunktur ist Dr. Dieter Wettigs Praxisschwerpunkt. Der Wiesbadener Hausarzt erbringt diese Leistung im Quartal acht- bis zehnmal häufiger als die Fachgruppe. Das nährt bei Prüfungsstelle und Beschwerdeausschuss den Verdacht der Unwirtschaftlichkeit.

Mit einer Klage beim Sozialgericht Marburg versucht ein Wiesbadener Hausarzt, einen ersten Regress für vier Quartale abzuwehren. Denn würden ihm im gleichen Stil die weiteren Abrechnungen gekürzt, wäre die Praxis gefährdet.

Gerne schwadronieren Kassenvertreter von nebenwirkungsarmer sanfter Medizin, Qualitätsverbesserungen durch Spezialisierung und Einsparpotenzialen bei Arzneimitteln. Im Fall von Dr. Wettig scheint all das keine Rolle zu spielen. Dass dieser z.B. im Quartal durchaus mal 70 % weniger AU-Tage je 100 Behandlungsfälle bescheinigt als die Fachgruppe und dass seine Arzneikosten pro Fall nur halb so hoch sind, wird ihm sogar negativ ausgelegt.

Der Hausarzt sieht diese geringeren Ausgaben im Zusammenhang mit seiner Behandlung – gerade der Akupunktur –, er möchte sie als kompensatorische Einsparungen angerechnet bekommen. Die von Kassen und KV paritätisch besetzten Prüfgremien meinen dagegen, dass er offensichtlich keine außergewöhnlich aufwendigen Fälle hat – was den Umfang seines Nadelsetzens in ihren Augen verdächtig macht.

Praxisschwerpunkt Akupunktur wird zur Achillesferse

Seit Approbation (1981) und Kassenzulassung (1989) hat der Arzt über 30 000 Akupunkturleistungen erbracht. Seine Ausbildung absolvierte er in Deutschland, China und Sri Lanka. Da die Akupunktur mehr als die Hälfte seiner Praxistätigkeit ausmacht, ist sie sein Praxisschwerpunkt. Er hat nur etwa 225 Fälle pro Quartal, hessische Allgemeinärzte im Schnitt rund 1150.

2005 erhielt er von der Landesärztekammer die Zusatzbezeichnung Akupunktur (daneben: Naturheilverfahren, Homöopathie, Chirotherapie). Als Prüfarzt brachte er über 40 Fälle in die randomisierte, verblindete LWS-Akupunkturstudie GERAC ein, die dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Entscheidungsgrundlage zur Aufnahme der Akupunktur in den EBM diente.

Dr. Wettig hat auch zur Akupunktur publiziert. All das führte dazu, „dass Patienten aus einem weiten Umkreis gezielt zu mir kommen“, schildet er die Situation. Wurde ihm in der Zeit der Kos­tenerstattung von den gesetzlichen Kassen ein Honorar von 25 bis 35 Euro pro Sitzung gezahlt, sind es seit 2007, nachdem die Akupunktur für chronische Rücken- und Kniegelenksschmerzen GKV-Sachleistung wurde, nur noch 22 bis 24 Euro.

Allein die Umstellung von Kostenerstattung auf KV-Abrechnung entsprach im Quartal III/2007 einem 1900 Euro geringeren Honorar und ersparte seinen Patienten 2100 Euro Selbstbehalt, so Dr. Wettig. Ihn wurmt: „Wie kann man mir Unwirtschaftlichkeit vorwerfen, wenn ich die Genehmigung zu einer neuen Leistung erhalte, diese dann erbringe und abrechne und dafür insgesamt weniger Honorar anfordere als vorher?“

Aufgrund des „offensichtlichen Missverhältnisses“ der Leistungsmenge gegenüber der der Fachgruppe forderte der Prüfungsausschuss für die Quartale III/07 bis II/08 von dem Hausarzt 3247 Euro zurück. Dieser legte Widerspruch ein.

Der Beschwerdeausschuss sah zwar ein, dass ein Vergleich mit einer Gruppe, in der nicht einmal jeder zehnte Arzt die EBM-Nr. 30791 erbringt, hinkt. Er bestätigte allerdings die Forderung des Prüfungsausschusses, da eine Einzelfallprüfung, die ein Prüfarzt vornahm, sogar einen Kürzungsbetrag von insgesamt 9534 Euro ergab.

Nach Durchsicht der Abrechnungsscheine wirft der Beschwerdeausschuss dem Arzt unter anderem vor, dass sich viele Diagnosen sehr oft wiederholen – ohne Hinweis auf weitere Diagnostik oder Therapien. Sehr oft fehlten auch die aktuellen Quartalsdiagnosen oder seien Diagnosen angegeben, die nicht mit einer Akupunktur zulasten der GKV vereinbar seien. In der Regel dauerten Behandlungen länger als zehn Sitzungen; vielfach sei nach 15 abgeschlossenen Sitzungen wegen einer Diagnose eine neue Serie aufgrund einer anderen Diagnose begonnen worden.

Seitenlange Erläuterungen fürs Sozialgericht

Also hat Dr. Wettig sich hingesetzt und die rund 60 beanstandeten Fälle mithilfe seiner Dokumentation gecheckt und für die Klagebegründung (ohne jede anwaltliche Hilfe) Gegenargumente formuliert. Geschätzte Arbeitszeit: 60 bis 80 Stunden.

So entgegnet er z.B. auf den Vorwurf „mehr als 10 unwirtschaftlich“, dass er die nötigen Begründungen in Klammern hinter der Abrechnungsziffer an­gab. Details zu Vorerkrankungen u.Ä. fänden sich in seiner Dokumentation. Diese könne gemäß Qualitätssicherungsvereinbarung von der QS-Stelle der KV angefordert und ausgewertet werden – was der Beschwerdeausschuss aber nicht beantragt habe. Dabei wurde Dr. Wettig bei einer Stichprobenprüfung der QS-Stelle sogar schon für seine ausführliche Dokumentation gelobt.

In Fällen, in denen er tatsächlich vergessen hatte, eine Begründung bei mehr als zehn Akupunktursitzungen bei der Abrechnung anzugeben, verweist er darauf, dass die KV dies im Zuge der sachlich-rechnerischen Richtigstellung nicht moniert hatte.

Zu allen Vorwürfen – auch zu Patienten, die gar nicht gesetzlich krankenversichert sind oder aus Rheinland-Pfalz stammen – nimmt Dr. Wettig dezidiert Stellung. Es entsteht der Eindruck: Der Prüfarzt formuliert aufgrund der dürren Informationen auf den Abrechnungsscheinen in knappen Worten vermeintliche Unwirtschaftlichkeiten, die der regressbedrohte Arzt dann mit großem dokumentarischem und argumentativem Aufwand widerlegen muss.

Aufgrund der Angaben des Beschwerdeausschusses zu den veranlassten Leistungen rechnete Dr. Wettig aus, dass er die Krankenkassen in den vier monierten Quartalen sogar von Ausgaben bei Verordnungen (Medikamente und Physiotherapie) in Höhe von jeweils 10 000 Euro verschonte. Auch für die folgenden Quartale bis 2010 ermittelte er vermiedene Ausgaben in dieser Größenordnung.

Ausgaben vermieden und dennoch unwirtschaftlich?

Ob diese Argumente vor Gericht ziehen werden? Bis zu einer Entscheidung können Jahre vergehen, schätzt der Hausarzt. Warum er so hartnäckig in die Zange genommen wird, ist ihm unklar. Er vermutet: Letztendlich geht es grundsätzlich darum, Ärzte dazu zu bringen, sich bei ihren Leistungen möglichst zurückzuhalten.

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