Zumindest die Schmerzen bekommt man relativ gut in den Griff

Dr. Elke Ruchalla

Das Blasenschmerzsyndrom kann grundsätzlich jeden treffen. In erster Linie erkranken aber Frauen daran. Das Blasenschmerzsyndrom kann grundsätzlich jeden treffen. In erster Linie erkranken aber Frauen daran. © Science Photo Library/ Fung, K.H.

Der Leidensdruck von Patienten mit interstitieller Zystitis ist immens. Er entspricht in etwa dem bei fortgeschrittenen Malignomen oder einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz. Man kann aber eine ganze Menge gegen das urologische Schmerzsyndrom tun.

Für die interstitielle Zystitis, oft auch als Blasenschmerzsyndrom bezeichnet, gibt es keine allgemein anerkannte Definition, schreibt PD Dr. Winfried­ Vahlensieck­ von der Fachklinik Urologie der Kurparkklinik in Bad Nauheim. Laut S2k-Leitlinie handelt es sich weder um eine reine chronische Schmerzkrankheit noch um eine bakterielle Infektion. Antibiotika sind also nur indiziert, wenn tatsächlich Erreger im Urin isoliert wurden.

Bis zu 100 Miktionen pro Tag, dazu brennende Schmerzen

Hauptsächlich sind Frauen im mittleren Lebensalter betroffen, die als häufiges Erstsymptom eine Pollakisurie nennen. Dabei geben die Betroffenen bis zu 100 Miktionen pro Tag an. Oft wird die Pollakisurie begleitet von imperativem Harndrang mit gelegentlicher Dranginkontinenz. Hinzu kommen in gut der Hälfte der Fälle teils stärkste Schmerzen der Harnblase, ggf. auch der Harnröhre. Eine neuropathische Komponente  mit einschießenden, brennenden, elektrisierenden Schmerzen ist dabei nicht selten. Bevor man aber die Diagnose stellt, muss man eine Reihe weiterer Krankheitsbilder ausschließen, betont der Experte. Dazu gehören etwa

  • Karzinome von Blase (Männer erkranken selten) oder Prostata
  • bakterielle Infekte der Harnwege oder der Prostata
  • vaginale Mykosen
  • Blasen- oder Uretersteine
  • überaktive Blase oder Drang­inkontinenz

Auch an Störungen von Muskel- und Skelettsystem, Gastrointestinaltrakt, Geschlechtsorganen, Nervensystem und Psyche gilt es zu denken, betont der Experte. Einzig sog. Hunner-­Ulzerationen der Blasenschleimhaut sind pathognomonisch für die interstitielle Zystitis.

Therapeutisch stehen Allgemeinmaßnahmen an erster Stelle. Raten Sie Ihren Patienten zu weiter, bequemer Kleidung, zu Sport, zum Meiden von Lebensmitteln, die erfahrungsgemäß die Symptome steigern (oft scharfe und histaminreiche Nahrungsmittel), zur Steigerung der Trinkmenge (trotz Pollakisurie), zu Physiotherapie und zu Entspannungstechniken, eventuell auch zu Psychotherapie. Bleibt all das erfolglos, können Sie zusätzlich Medikamente erwägen (siehe Tabelle). Grundsätzlich empfiehlt sich die Kombination verschiedener Substanzen, so der Kollege.

Bis auf Pentosanpolysulfat und Amitriptylin bei neuropathischen Schmerzen erfolgt der Einsatz aller Medikamente aber ohne entsprechende Zulassung. Und nicht zu vergessen: Schmerzen sind meist ein wesentliches Symptom. Daher gehören Analgetika wie nicht­steroidale Antirheumatika, Metamizol, Paracetamol, Opioide (Tilidin/Naloxon) und Ko-Analgetika zur Therapie. 

Ist mit Tabletten allein wenig auszurichten, können verschiedene Substanzen in die Blase instilliert werden, die dort mindestens 30 Minuten verbleiben sollten:

  • Heparin (off label, evtl. in Kombination mit Lidocain/Bupivacain, Triamcinolon, Natriumhydrogenkarbonat)
  • Hyaluronsäure
  • Chondroitinsulfat
  • Lokalanästhetika (Lidocain, Bupivacain, Scandicain) plus Natriumbikarbonat 8,4 % (off label)

Eine EMDA*-Therapie kann Blasenkapazität und Schmerzen oft erstaunlich gut bessern (Grad-B-Empfehlung laut S2k-Leitlinie). Bei dem Verfahren lässt ein gepulster Gleichstrom über eine suprapubische Hautkathode und eine trans­urethrale Anode Medikamente wie etwa Dexamethason oder Lidocain/Adrenalin in tiefere Schichten der Harnblase eindringen.

Zu den invasiveren Verfahren gehören eine Hydrodistension (Grad-B-Empfehlung), bei der unter Anästhesie die Blase mit Flüssigkeit gefüllt wird, bis ein Druck von 60 bis 80 cm Wassersäule erreicht ist. Der Druck wird bis zu drei Minuten aufrechterhalten. Durch die Regeneration afferenter Nervenfasern lässt sich häufig eine Schmerzminderung erreichen. Kombiniert damit ist eine Injektion von Onabotulinumtoxin A (off label) in die Blasenwand möglich – wie und wohin genau, ist allerdings noch unsicher. Auch Lokalanästhetika und Kortikosteroide können so eingebracht werden. Für die Injektionsverfahren gilt eine Grad-C-Empfehlung. Eine Zystektomie schließlich ist das Mittel der letzten Wahl, wenn eine irreversible Schrumpfblase vorliegt. Die Leitlinie empfiehlt sie nicht.

Medikamentöse Therapiemöglichkeiten bei interstitieller Zystitis

Substanz

Wirkung

Kontraindikationen

Anmerkungen

Empfehlungsgrad laut S2k-Leitlinie

Pentosanpolysulfat bei Nachweis von sog. Hunner-Ulzerationen

erneuert Schutzschicht der 
Harnblasenschleimhaut

 

muss aus dem Ausland bezogen werden 

regelmäßige augenärztliche Kontrollen (Gefahr einer pigmentierten Makulopathie bei Langzeitgabe)

A

Amitriptylin

neuropathische Schmerzen und ­Harndrang ↓ nach zwei bis vier Wochen

Leberinsuffizienz, schwere ­Herz­erkrankungen

Achtung: Fahruntüchtigkeit zu Therapiebeginn möglich, nicht in Kombination mit Alkohol

B

Mirtazapin

neuropathische Schmerzen ↓, 
Histamin-H1-Antagonisierung

 

anticholinerge Nebenwirkungen seltener als bei Amitriptylin, Therapie ein- und ausschleichen

C

Hydroxyzin

inhibiert Mastzellaktivierung 
(Detrusorzellen enthalten auch 
H1-Rezeptoren)

Glaukom, Motilitätsstörungen im Magen-Darm-Trakt, Harnweg­obstruktion, Myasthenia gravis, Demenz (anticholinerge Komponente)

nicht in Kombination mit Alkohol

bei älteren Patienten, bei Leber-/Niereninsuffizienz: Dosis ↓

C

Cimetidin

suprapubische Schmerzen ↓, Nykturie ↓

 

evtl. Alkoholwirkung ↑

Niereninsuffizienz: Dosis ↓

C

Montelukast

Mastzellaktivität ↓, Histamin ↓

 

keine Dosisanpassung bei Älteren, Leber-/Niereninsuffizienz

C

Sildenafil

Blasenkapazität ↑

 

 

C

Nifedipin

Interleukin-2-Aktivität im Urin ↓

kardiovaskuläre Kontraindikationen

keine kontrollierten Studien verfügbar

C

Tizanidin

zentrales Muskelrelaxans →, 
Spastizität der Blasenmuskulatur ↓

 

keine kontrollierten Studien verfügbar

C

Pregabalin

neuropathische Schmerzen ↓

 

keine kontrollierten Studien verfügbar

Niereninsuffizienz: Dosis ↓

neurologische, gastrointestinale, muskuläre Neben­wirkungen möglich

C

Neue Therapieoptionen werden derzeit erprobt

Derzeit lässt sich mit den verschiedenen Verfahren nur selten eine Heilung erzielen. Ein akzeptabler Zustand ohne Schmerzspitzen ist aber möglich. Und zukünftig könnten sich neue Therapiemöglichkeiten ergeben: Behandlungen mit Stammzellen, monoklonalen Antikörpern, plättchenreichem Plasma, autologem Fett etc. werden zurzeit erprobt.

* Electromotive Drug Administration

Quelle: Vahlensieck W. Urologie 2023; 62: 582-589; DOI: 10.1007/s00120-023-02080-x

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Das Blasenschmerzsyndrom kann grundsätzlich jeden treffen. In erster Linie erkranken aber Frauen daran. Das Blasenschmerzsyndrom kann grundsätzlich jeden treffen. In erster Linie erkranken aber Frauen daran. © Science Photo Library/ Fung, K.H.