Aus dem Gleichgewicht Chronischer Schwindel ist oft, aber nicht nur eine Alterserscheinung
Die Lebenszeitprävalenz von starkem Schwindel liegt bei 20–30 %, Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Gestört ist oft die räumliche Empfindung, verbunden mit einer Störung des Gleichgewichtgefühls und einer daraus resultierenden Gangunsicherheit.
Peripher-vestibuläre Schwindelformen können durch Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans im Innenohr (beispielsweise Menière-Krankheit) oder Entzündungen des Gleichgewichtsnervs (Neuritis vestibularis) ausgelöst werden. Auch eine Migräne kann mit Schwindel einhergehen (vestibuläre Migräne).
Zentrale Schwindelformen gehen in der Regel von Hirnstamm oder Kleinhirn aus. Ursache sind hier in erster Linie Durchblutungsstörungen, Entzündungen (z. B. Multiple Sklerose) oder Tumore. Die Bandbreite der Differenzialdiagnosen reicht von harmlosen, gut zu behandelnden Zuständen bis hin zu akut lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Hirnstamminfarkt oder intrazerebralen Blutungen.
Neben den Funktionsstörungen des Gleichgewichtssinns kommen auch psychische Erkrankungen als Ursache von Schwindelattacken in Betracht, ausgelöst durch unterschiedliche Ängste, Reaktionen auf aktuelle Konflikte und psychosoziale Stressfaktoren (z.B. Panikattacken). Die Übergänge sind fließend. Viele ursprünglich organisch bedingte Schwindelerkrankungen können im späteren Verlauf in einen psychogenen Schwindel übergehen, der dann häufig im Vordergrund steht. Da auch bei dieser Form des Schwindels die Gefahr einer Chronifizierung besteht, ist eine initiale fachärztliche Abklärung wichtig.
Abrechnung der beim Erstkontakt erbrachten Leistungen | ||
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GOP EBM | Leistungsbeschreibung | Punkte/Euro |
03005 | Versichertenpauschale im 76. Lebensjahr | 200/23,87 |
03220 | Zuschlag zur GOP 03005 für die Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung | 130/15,51 |
35100 | Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände | 193/23,03 |
03360 | Hausärztlich-geriatrisches Basisassessment | 113/13,49 |
03008 x2 | Zuschlag zur GOP 03005 für das Vermitteln eines aus medizinischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungstermins | 131/31,26 |
Diagnostik
Am Anfang steht die genaue Anamneseerhebung. Das Schwindelgefühl kann durch gezieltes Nachfragen in Schwindel mit Bewegungsillusion (Drehschwindel), horizontaler Schwankbewegung (Schwankschwindel), vertikaler Liftbewegung (Liftschwindel) oder gerichtetem Fallgefühl zu einer Seite (Lateropulsion, Propulsion, Retropulsion) differenziert werden.
Ein Drehschwindel spricht für das Vorliegen eines benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels. Bei einem Schwankschwindel sollte man an eine bilaterale Vestibulopathie, eine zervikovertebrale Ursache oder Durchblutungsstörungen im Kleinhirn oder Hirnstamm denken.
Therapie
Zu den Warnzeichen für eine ernste Störung gehören fehlender Schwindel in der Vorgeschichte, erstmaliges Auftreten und perakuter Beginn, fehlende schwindelspezifische Trigger (z. B. Beginn in Ruheposition), das Auftreten spezifischer Begleitsymptome oder zentrale fokal-neurologische Symptome wie Doppelbilder, Sensibilitäts- oder Koordinationsstörungen, Paresen, akute Gang-/Standstörung, neuartige Kopfschmerzen, Dyspnoe oder Brustschmerzen. Liegen sie nicht vor, ist es wichtig, die Patientin bzw. den Patienten zunächst zu beruhigen. Über einen begrenzten Zeitraum können Antivertiginosa eingesetzt werden. Sie zielen in erster Linie auf mögliche Begleitsymptome ab. In Frage kommen z.B. Antiemetika oder sedierende Antihistaminika. Für den M. Menière ist Betahistin zugelassen. Beim Lagerungsschwindel können bestimmte Manöver trainiert werden.
Der Fall
Die 76-jährige Patientin leidet seit frühester Kindheit an diffusen körperlichen Beschwerden wie spontan auftretenden Parästhesien der Arme und Beine oder paroxsysmalen Tachykardien, ohne dass hierfür ein pathomorphologisches Substrat gefunden werden konnte.
Ein seit vielen Jahren bekannter Hypertonus ist medikamentös gut eingestellt. Aktuell klagt sie über heftige, rezidivierende Schwindelzustände, die sie als horizontale Schwankbewegungen, verbunden mit einer Gangunsicherheit und vereinzeltem Auftreten von Übelkeit beschreibt.
Eine Ganzkörperuntersuchung, verbunden mit einer orientierenden neurologischen und einer psychosomatischen Abklärung führt zu keinen weiteren Befunden. Da die Patientin älter als 70 Jahre alt und eine Einstufung in einen Pflegegrad vorhanden ist, wird auch ein geriatrisches Assessment durchgeführt. Zur weiteren differenzialdiagnostischen Abklärung erhält die Patientin Termine innerhalb von 14 Tagen bei einem HNO-Arzt und einer Neurologin.
Sowohl die neurologische als auch die HNO-ärztliche Untersuchung bestätigen die vermutete Diagnose einer Durchblutungsstörung im Kleinhirnbereich ohne wesentliche Läsionen. Da beim geriatrischen Assessment der Timed-„up & go“-Test negativ ausfällt, wird die Patientin über die prognostische Unbedenklichkeit des Befundes aufgeklärt, eine geriatrische Betreuung begonnen und ein antivertiginös wirksames Medikament zur vorübergehenden Einnahme verordnet.
Abrechnung der bei weiteren Kontakten erbrachten Leistungen | ||
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GOP EBM | Leistungsbeschreibung | Punkte/Euro |
03221 | Zuschlag zur GOP 03220 für die intensive Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung | 40/4,77 |
03362 | Hausärztlich-geriatrischer Betreuungskomplex | 174/20,76 |
03230 | Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist | 128/15,28 |
Ausblick Entbudgetierung des hausärztlichen Honorars
Welche Auswirkungen wird die vom Bundesgesundheitsministerium angekündigte Reform beim hausärztlichen Honorar haben? Im Fallbeispiel ersetzt die neue Versorgungspauschale die GOP 03005 und 03220/03221. Sie wird für die insgesamt im Krankheitsfall (vier Quartale) erbrachten Leistungen im Voraus gezahlt, wenn es im Folgequartal auch zu einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt (pAPK) kommt. Bei der weiteren Betreuung der Patientin müsste dann darauf geachtet werden, dass jeweils innerhalb von vier Quartalen an zwei aufeinanderfolgenden Quartalen ein pAPK stattfindet, damit die Versorgungspauschale gewährleistet ist.
Auch die neue Vorhaltepauschale setzt eine solche Kontaktfolge voraus, kann aber erst berechnet werden, wenn definierte hausärztliche Leistungen erbracht werden, z.B. eine bei einer über 70 Jahre alten Patientin denkbare geriatrische Versorgung. Was die hier berechneten Einzelleistungen betrifft, so werden alle – außer der GOP 35100 – entbudgetiert und mit festen Eurobeträgen vergütet.
Quelle: MT-Bericht