EBM-Nr. 03230: Vorsicht, Regress!
Zum 1. April 2017 hat der Bewertungsausschuss die Leistungsbeschreibung der EBM-Nr. 03230 (90 Punkte) geändert. Für problemorientierte Gespräche wird zwar weiterhin ein Punktzahlvolumen gebildet (45 Punkte multipliziert mit der Anzahl der Behandlungsfälle gemäß Nr. 10 der Präambel). Über das Punktzahlvolumen hinausgehende Gespräche nach Nr. 03230 werden aber jetzt nicht mehr gestrichen. Nr. 9 der Präambel 3.1 und Nr. 12 der Präambel 4.1 wurden dahingehend konkretisiert, dass aus dem "Gesprächsbudget" alle erbrachten 03230-Leistungen vergütet werden.
Statt Leistungskappung nun Punktwert-Quotierung
Das heißt: Bis zum 31. März bewirkten alle nach Überschreiten des Budgets abgerechneten Leistungen kein zusätzliches Honorar mehr, die Nr. 03230 war ab dieser Grenze "wertlos". Seit dem 1. April kommt es nun zur Quotierung: Die bei Budgetüberschreitung im Rahmen des Regelleistungsvolumens abgerechneten Gespräche werden ggf. mit weniger als den üblichen 10,53 Cent pro Punkt vergütet.
Der Unterschied scheint marginal zu sein. Die Änderung bekommt allerdings eine neue Dimension, wenn man sie mit einer Form der Wirtschaftlichkeitsprüfung in Verbindung bringt, die hier bisher keine große Rolle spielte, jetzt aber gefährlich werden kann. Nach § 106d Absatz 1 SGB V prüfen die KV und die Spitzenverbände der Krankenkassen die Rechtmäßigkeit der vertragsärztlichen Abrechnungen. Hierzu gehört auch die sachlich-rechnerische Prüfung, ob die abgerechneten Leistungen ohne Verstoß gegen gesetzliche, vertragliche oder satzungsrechtliche Bestimmungen erbracht wurden.
Cave: Plausibilitätskontrolle nach Zeitprofilen
Ein Prüfverfahren wird eingeleitet, wenn aufgrund bestimmter Anhaltspunkte und vergleichender Betrachtungen eine rechtliche Fehlerhaftigkeit der ärztlichen Abrechnungen vermutet werden kann. Hierzu gehört auch die sog. Plausibilitätsprüfung nach Zeitprofilen, wie sie im Anhang 3 zum EBM für ärztliche Leistungen zugrunde gelegt sind (Prüfzeiten). Sie stellt Abrechnungsauffälligkeiten beim Umfang der abgerechneten Leistungen bezüglich des damit verbundenen Zeitaufwandes fest. Ein Aufgreifkriterium ist die Überschreitung von Zeitprofilen an mindestens drei Tagen im Quartal mit mehr als zwölf Stunden oder im Quartalsprofil von mehr als 780 Stunden.
Die Nr. 03230 hat eine Prüfzeit von zehn Minuten. Sie kann je vollendeter zehn Minuten Gesprächszeit, also ggf. auch mehrfach in einer Sitzung, berechnet werden. Will man das Punktzahlbudget ausschöpfen, kann man – z.B. bezogen auf eine Fallzahl von 1000 – acht Mal pro Tag die Nr. 03230 abrechnen (45/90 Punkte x 1000 Fälle : 60 Tage).
Ein Plausibilitätsproblem entsprechend der Zeitvorgabe von zehn Minuten ist beim Ansatz der Nr. 03230 nur denkbar, wenn man diese Ansatzhäufigkeit deutlich überschreitet. Das kann bei einer Praxis mit sehr hohen Fallzahlen oder dem Ansatz der Ziffer über die Budgetgrenze hinaus passieren. So ergeben z.B. 30 Berechnungen der Nr. 03230 fünf Stunden Gesprächszeit. Kommen dann andere Leistungen mit einer Zeitvorgabe im Tagesprofil hinzu, wie etwa Hausbesuche nach EBM-Nr. 01410 (Zeitvorgabe: 20 Minuten), kann man leicht die Grenze von zwölf Stunden pro Tag überschreiten.
In diesem Fall droht nicht nur ein Regress, sondern auch Ärger mit der Staatsanwaltschaft, weil hier ein Verdacht auf Abrechnungsbetrug aufkommt. Den Staatsanwalt kümmert es dann eventuell wenig, dass der Arzt aufgrund günstiger Verkehrsverhältnisse vielleicht keine 20 Minuten für den Besuch benötigt hat.
20 Besuche plus Gespräche ergeben 10 Stunden Prüfzeit
Es zählen die reinen Prüfzeiten und das sind bei einem Hausbesuch nach Nr. 01410 und einem Gespräch nach Nr. 03230 nun mal 30 Minuten. Bei 20 Besuchen sind das schon zehn Stunden.
Bei der alten Regelung konnte man sich im Regressfall darauf berufen, dass nach den Bestimmungen in der Präambel "über das Punktzahlvolumen hinausgehende Gespräche nicht vergütet werden". Das ist nun nicht mehr so; es entsteht im Fall einer Überschreitung der Budgetgrenze bei der Nr. 03230 ein für die KV messbares Kürzungsvolumen. Bei einem Einschalten der Staatsanwaltschaft kommt hinzu, dass nun ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, wie er bei der alten Regelung ausgeschlossen war.
Es stellt sich deshalb die Frage, was der Bewertungsausschuss mit dieser Entscheidung bewirken wollte. Eine Kriminalisierung der Vertragsärzte wird es doch hoffentlich nicht gewesen sein?
Quelle: Medical-Tribune-Bericht