Kooperation auf Kommando – Spahn schickt Ärzte in Kooperationsverträge mit Pflegeheimen

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Das „Sofortpro­gramm Altenpflege“ soll die Heimbetreuung verbessern (rechts im Bild: Dr. Gerd W. Zimmermann; Facharzt für Allgemeinmedizin, Hofheim). Das „Sofortpro­gramm Altenpflege“ soll die Heimbetreuung verbessern (rechts im Bild: Dr. Gerd W. Zimmermann; Facharzt für Allgemeinmedizin, Hofheim). © iStock/CasarsaGuru; privat

Gesundheitsminister Jens Spahn will Kooperationsverträge zwischen Pflegeeinrichtungen und Ärzten erzwingen. Niemand lässt sich gerne zwingen – aber tatsächlich ist die Ablehnung der KBV nicht nachvollziehbar.

Eines muss man dem neuen Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU) lassen – er bedauert den zunehmenden Hausärztemangel nicht nur, er handelt. Zum Beispiel im Rahmen seines „Sofortprogramms Kranken- und Altenpflege“. Dabei geht es unter anderem darum, dass Pflegeeinrichtungen künftig Kooperationsverträge mit Vertragsärzten abschließen müssen. Wobei der „Zwang“, der hier per Gesetz etabliert wird, eigentlich gar nicht notwendig wäre. Denn im Gegensatz z.B. zur Videosprechstunde wird die Heimversorgung im EBM gut bezahlt. Allerdings wird die Umsetzung der Kooperationsverträge von KBV und KVen blockiert. Und sie sind es nun auch, die gegen das „Spahn-Gesetz“ Sturm laufen.

Heimbewohner verlören ihr Recht auf freie Arztwahl

So hat der stellvertretende Vorsitzende der KV Niedersachsen das aktuelle Eckpunktepapier „Heimversorgung“ von Spahn scharf kritisiert. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) äußerte sich zum Thema: Die ärztliche Versorgung von Patienten in Alten- und Pflegeheimen sei eine Herausforderung, der sich viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte mit vollem Einsatz stellten. Durch die Pläne des Ministers komme aber eine starke Bedrohung auf die Ärzteschaft zu. Dabei seien die bisherigen Regelungen völlig ausreichend. Und die Heimbewohner verlören mit dem neuen Gesetz nun ihr Recht auf freie Arztwahl unter den bisher einheitlich für alle Krankenkassen zugelassenen Kassenärzten. Sie müssen sich künftig von den Ärzten behandeln lassen, die einen Vertrag mit dem Heim geschlossen haben.

Sagen wir mal so: Die Herausforderung liegt auf der Hand. Dank der modernen Medizin leben die Bundesbürger länger, die Versorgung im Familienverbund wird immer schwieriger. Ersatz müssen Alten- und Pflegeheime schaffen.

Die KBV hat deshalb schon 2014 mit den Kassen eine Vereinbarung zur Förderung der kooperativen und koordinierten ärztlichen und pflegerischen Versorgung in Pflegeheimen getroffen. Und seit 1. Juli 2016 gibt es auch entsprechende Ziffern im EBM. Um die Leistungen abrechnen zu können, muss man aber eine Genehmigung der zuständigen KV haben – und die wird offensichtlich ungern erteilt.

Die neu geschaffenen EBM-Nrn. 37100, 37102, 37105, 37113 und 37120 sind auf die Heimversorgung zugeschnitten und können deshalb nur auf der Grundlage eines „Kooperationsvertrags nach § 119b SGB V, der die Anforderungen der Anlage 27 zum Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) erfüllt“, berechnet werden. Die Steue­rung des multiprofessionellen Behandlungsprozesses sollen dabei insbesondere Hausärzte übernehmen.

Die Inhalte der BMV-Ä-Vorgaben sind in den berechnungsfähigen Ziffern abgebildet:

  • Die Nr. 37100 wird als Zuschlag zur Versichertenpauschale einmal im Behandlungsfall (Quartal) bezahlt. Sie ist 13,32 Euro wert und kann höchstens zweimal im Krankheitsfall (Zeitraum von vier Quartalen) berechnet werden, wird extrabudgetär vergütet und hat keine Zeitvorgabe.
  • Die Nr. 37102 ist ein Zuschlag zu den Hausbesuchen nach den Nrn. 01410 oder 01413 und wird ebenfalls mit 13,32 Euro bewertet. Auch dieser Zuschlag kann nur einmal, aber in jedem Quartal berechnet werden.
  • Weitere Besuche nach Nr. 01413 können jeweils mit dem Zuschlag nach Nr. 37113 kombiniert werden (11,29 Euro). Auch diese Ziffer wird extrabudgetär vergütet und bringt keine Zeitvorgabe mit sich.
  • Die Nr. 37105 schließlich ist eine Quartalspauschale ebenfalls als Zuschlag zur Versichertenpauschale und ist mit 29,30 Euro bewertet. Sie kann nur von dem Vertragsarzt berechnet werden, der die Koordination unter den übrigen Vertragsärztinnen und -ärzten übernimmt.

Um es greifbar zu machen: Ein Hausarzt in koordinierender Funk­tion kommt mit der Nr. 37105 bei z.B. 100 betreuten Altenheimbewohnern auf einen zusätzlichen Quartals­umsatz von 2930 Euro. Bei den anderen beteiligten Hausärzten wären es mindestens 1332 Euro.

Und damit ist das Instrumentarium, das der EBM bietet, noch nicht mal erschöpft: Da alle diese Heimpatienten kooperativ von den beteiligten Hausärzten betreut werden, kommt es auch zu einer Fallzahlvermehrung. Dabei handelt es sich bei Heimbewohnern meist um chronisch kranke geriatrische Fälle und es kommen die Chronikerpauschalen und die Geriatriepauschalen noch dazu. 

Heimbetreuung im Rahmen eines Kooperationsvertrages
EBMLegende PrüfzeitEuro
03005Versichertenpauschale ab 76. Lebensjahr18 min, Quartalsprofil 22,37
03040Zusatzpauschale für Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags15,34
37100Zuschlag zur Versichertenpauschale für die Betreuung von Heimpatienten, einmal im Behandlungsfall, zweimal im Krankheitsfall 13,32
01413Mitbesuch Heimpatient; Tagesprofil7 min, Tagesprofil11,29
37113Zuschlag zur Nr. 01413 für den Besuch eines Patienten in einem Pflegeheim, mit dem ein Kooperationsvertrag nach § 119b SGB V besteht (...)11,29
37120 Fallkonferenz6,82
Summe80,53

 

Mehrere Hausärzte zusammen können deutlich profitieren

Wer dann auch noch eine MFA mit der Qualifikation einer nicht-ärztlichen Praxisassistentin beschäftigt, kann diese im Rahmen des Kooperationsvertrages zusätzlich und zur eigenen Entlastung einsetzen. Hier kommt dann zur Nr. 38100 noch die Nr. 38200 (= 17,69 Euro) zum Ansatz. Beim Mitbesuch nach den Nrn. 38105/38205 liegt das Honorar mit 13 Euro sogar über dem des korrespondierenden ärztlichen Hausbesuchs nach Nr. 01413 (11,29 Euro). Auch diese Leistungen werden extrabudgetär vergütet und haben keine Zeitvorgaben.

Finanziell interessant ist eine solche gemeinsame Versorgung besonders, wenn sich mehrere Hausarztpraxen mit einer entsprechenden Zahl an Patienten einer solchen Einrichtung zusammentun. Erhöht sich auf diesem Weg die Zahl der Patienten, die das 75. Lebensjahr vollendet haben, auf 120 oder mehr, kommen für die eingesetzten nicht-ärztlichen Praxisassistenten/-innen auch noch die Grundpauschalen nach den Nrn. 03060/03061 und damit ein zusätzlicher Quartalsumsatz von zusammen 3,62 Euro extrabudgetär und ohne Zeitvorgaben für alle Behandlungsfälle (nicht nur für die Pflegeheimpatienten) hinzu.

Des Pudels Kern versteckt sich in der Plausiprüfung

Die Kritik der KBV ist also unverständlich. Denn die Honorarperspektive ist offensichtlich gegeben und es muss auch kein Heimbewohner den Hausarzt wechseln, denn das Ziel solcher Verträge ist der Zusammenschluss von Hausärzten, die bisher einzelne Patienten im Heim betreut haben, zu einer Art überörtlicher Berufsausübungsgemeinschaft.

Wirklich problematisch ist dagegen – und das hält sicherlich einige vom Abschluss solcher Verträge ab! –, dass noch nicht klar ist, wie sich die KVen hier im Hinblick auf weitere Plausibilitätsprüfungen verhalten. Die Kooperationsregeln sehen eine gemeinschaftliche Betreuung der Patienten vor. Das ergibt sich allein schon aus der Möglichkeit des Ansatzes der Fallkonferenz nach Nr. 37120. Bei z.B. fünf hausärztlichen Praxen mit je 20 Heimpatienten käme so eine Patientenzahl von 100 zustande, die sich nicht nur in den hier ausgelobten Pauschalen, sondern auch bei der Fallzahl der einzelnen Praxen und damit bei der Zuteilung des Regelleistungsvolumens niederschlägt.

Höchstrichterlich sind aber nur max. 20 % gemeinsam behandelte Patienten erlaubt. Eine entsprechende Überschreitung wäre Anlass für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Würde Vorsatz unterstellt, käme sogar der Staatsanwalt ins Spiel. Eine Klarstellung seitens der KBV und der KVen – das ist es also, was dringend erforderlich ist! Dann braucht es auch keinen „Zwang“.