Kodiert oder kontrolliert? Mit dem neuen Jahr hält ein noch unerkannter Kontrolleur Einzug in die Praxen
Seit Januar 2022 hat die KBV ihren gesetzlichen Auftrag verfolgt, die „Kodiervorgaben nach § 295 Abs. 4 SGB V“ einschließlich Prüfregeln verbindlich einzuführen. Am 1. Januar 2025 werden die Vorgaben jetzt „scharf geschaltet“.
Die Kodiervorgaben werden jährlich überprüft und angepasst. Dazu gibt es zwei Anlagen, nämlich die Anlage I, Prüfregeln aus der Kodierregelwerk-Stammdatei zur Gewährleistung einer sachgerechten Diagnosenverschlüsselung nach ICD-10-GM, und die Anlage II, Prüfregeln aus dem Anforderungskatalog zur Anwendung der ICD-10-GM und der ICD-10-Stammdatei der KBV zum Umgang mit Dauerdiagnosen.
Mit dem TSVG wurden alle zur Kodierung verpflichtet
Es war die KBV, die seinerzeit die „Allgemeinen Kodierrichtlinien“ entwickelte, die mit AKR abgekürzt wurden und deshalb auch scherzhaft nach dem damaligen KBV-Vorstandsvorsitzenden „Andreas-Köhler-Richtlinien“ benannt wurden. Die Richtlinien konnten zwar nach massiven Widerständen aus der ärztlichen Basis zunächst im Rahmen eines Petitionsverfahrens abgewendet werden, sind damit aber nur in einen Schlummerzustand getreten – und schließlich zurückgekommen. Mit dem am 11. Mai 2019 in Kraft getretenen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wurden alle Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen, medizinische Versorgungszentren, Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen, die an der ambulanten ärztlichen Versorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung teilnehmen, gleichermaßen zur Kodierung ambulanter (Behandlungs-) Diagnosen verpflichtet. Und ihrem gesetzlichen Auftrag zufolge hat die KBV still und leise die geforderten Kodiervorgaben einschließlich erster Prüfregeln eingeführt. Hier tickt seither eine Art Zeitbombe.
Die aktuellen Anpassungen wurden von der Vertreterversammlung der KBV am 13. September 2024 beschlossen. Zuvor waren die entsprechenden Gremien, wie der GKV-Spitzenverband, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und die Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) eingebunden worden.
Erste Analysen zeigen laut KBV positive Effekte
Die KBV verbucht die Kodiervorgaben als Erfolg, da erste Analysen einen positiven Effekt der Kodierregeln auf die Kodierung in den Praxen zeigen würden. So zeige sich, dass nach Einführung der Kodiervorgaben in allen untersuchten Regeln die gezählten Auslösungen im Verlauf des Jahres 2022 immer weiter abnahmen. Auch die quartalsübergreifenden Regeln zur Korrektur nicht als Dauerdiagnose geeigneter akuter Erkrankungen zeigten eine stetige Abnahme der Regelauslösungen im Jahresverlauf 2022. Den Praxen steht seit 2022 die Kodierunterstützung als digitaler Helfer in der Praxissoftware zur Verfügung.
Parallel hierzu ist aber auch eine andere Entwicklung vorangeschritten: Mit Start der ePA, der elektronischen Patientenakte ab Januar 2025 sind die Krankenkassen nämlich verpflichtet, die bei ihnen vorliegenden Abrechnungsdaten, insbesondere ICD-10-GM-Kodes und Gebührenordnungspositionen des EBM in die ePA einzustellen, sofern Versicherte dieser nicht widersprochen haben. Die Angaben aus den Kodiervorgaben sind damit künftig für die Versicherten transparent und einsehbar.
Den Kodiervorgaben beziehungsweise deren Umsetzung, also der Kodierunterstützung in den Praxisverwaltungssystemen, kommt damit aber eine völlig neue und auch durchaus bedenkliche Bedeutung zu. Denn sie beeinflusst die Kodierung und damit auch, welche Diagnosekodes in der ePA für die Patient:innen sichtbar sein werden. Durch die Entwicklung neuer Regeln, aber auch durch die Softwarefunktionen im Zusammenhang mit der Verwaltung von Dauerdiagnosen nimmt dieser Einfluss zu.
Hier wurde – leider aus den eigenen Reihen – von langer Hand eine Lunte gelegt, die nun zur Explosion führen könnte. Sämtliche Regelungen sind als verbindliche Hinweise zur sachgerechten Verwendung von Diagnoseschlüsseln und zusätzlichen Kennzeichnungen zu verstehen. Zunächst sollte zwar nur bei wenigen, praxisnahen Regelungen zu häufigen Krankheitsbildern aus den Bereichen der kardiovaskulären Erkrankungen beziehungsweise der Stoffwechselerkrankungen eine Kodierhilfe angeboten werden. Nach Einleitung eines entsprechenden Stellungnahmeverfahrens am 2. März 2020 wurde jedoch das Benehmen mit dem GKV-Spitzenverband, der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information und auch das Einvernehmen mit der DKG, sofern Diagnoseschlüssel von Ärzt:innen in der ambulanten Versorgung in Krankenhäusern vergeben werden, hergestellt.
Ab dem 1. Januar 2025, wenn Patient:innen die Diagnosen und Abrechnungspositionen ihrer behandelnden Ärztinnen und Ärzte auf der ePA einsehen können, kommt ein kleiner neuer „Kontrolleur“ ins Spiel der medizinischen Versorgung hinzu. Spätestens dann hält „Big Brother“ also Einzug in die Praxen!