Diabetestechnologie Meldepflichtiges Vorkommnis, Anwendungsfehler – oder einfach Pech?
Blutzuckermessgeräte, Kanülen, Stechhilfen, Insulinpens, Pflaster, Katheter, Reservoire, Insulinpumpen, CGM-Sensoren, Auslesesoftware und Algorithmen zur automatisierten Insulindosierung (AID) – die Liste der Medizinprodukte, die in der Diabetologie eingesetzt werden, ist lang. Um die Sicherheit von Patient*innen zu gewährleisten, reicht ein CE-Kennzeichen für Medizinprodukte nicht aus: „Der Skandal um PIP-Brustimplantate hat uns gezeigt, dass die erwartete Qualität nicht immer vorhanden ist“, berichtete Dr. Guido Freckmann vom Institut für Diabetes-Technologie (IfDT) an der Universität Ulm.
Anwendungsfehler sind nicht meldepflichtig – aber …
Dennoch sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Überwachung von Medizinprodukten alles andere als übersichtlich (s. Kasten). Der Umgang mit den diversen Regularien stellt auch Diabetespraxen mitunter vor Herausforderungen. Dabei sind diese als Betreiber meldepflichtig, wenn sie Fehler bemerken oder von Patient*innen darauf hingewiesen werden. Zumal man manchmal gar nicht zweifelsfrei einordnen kann, ob es sich bei einem Vorkommnis wirklich um einen meldepflichtigen Fehler handelt.
In der Sitzung diskutierten Dr. Freckmann und Dr. Andrea Tytko, in Göttingen niedergelassene Diabetologin, eine Reihe solcher Fälle mit dem Plenum. Wie ist es etwa zu bewerten, wenn Patient*innen Teststreifen nicht im witterungsgeschützten Döschen, sondern in der Hosentasche lagern oder Insulinvorräte einfrieren und wieder auftauen? Hier waren sich die meisten Anwesenden einig, dass Anwendungsfehler keine meldepflichtigen Ereignisse sind. Dr. Freckmann gab zu bedenken: „Aber sollten die Hersteller nicht wissen, dass ihre Produkte fehlerhaft verwendet werden, damit sie sie ggf. anders designen können?“
Unübersichtliche Rechtslage durch neue Wort-Ungetüme
Die Umsetzung der neuen, seit Ende Mai 2021 in Kraft getretenen europäischen Medical Device Regulation (MDR) in nationales Recht hat zur Verabschiedung einer ganzen Reihe neuer Gesetze und Verordnungen geführt: das Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz (MPEUAnpG), das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) und die Medizinprodukte-EU-Anpassungs-Verordnung (MPEUAnpV), die das bisherige Medizinproduktegesetz (MPG) und die Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) ablösen bzw. zu Änderungen an der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) führen. Der Inhalt dieser Wortungetüme macht aus Sicht von Dr. Freckmann vieles unnötig kompliziert: „Allein das neue MPDG hat doppelt so viele Paragrafen wie sein Vorgänger. Das macht die Durchführung von Studien nicht unbedingt leicht.“
Nächster Fall: Einem Patienten wird im Krankenhaus ein Einwegpen mit Basalinsulin mit nur einer einzigen Pennadel ausgehändigt – ohne Erklärung, dass diese Nadel nach jeder Injektion gewechselt werden muss. Irgendwann lässt diese Nadel natürlich kein Insulin mehr durch. „Ist das auch nur ein Anwendungsfehler?“, fragte Dr. Tytko.
Bei Insulinpumpen wiederum komme es gelegentlich zu Verwechslungen bei Kathetern und Schläuchen: „Wenn jemand den t:lock-Anschluss mit dem Luer-Lock vertauscht, ist das dann meldepflichtig?“ Für Dr. Freckmann war klar: „Bei einer solchen Verwechslung könnte es zu potenziell lebensbedrohlichen Gefahren wie einer diabetischen Ketoazidose kommen, also sollte man sie dem BfArM melden.“
Auch die Software kann Probleme bereiten. „Wir haben hierbei das generelle Problem, dass ein zertifiziertes Medizinprodukt auf einem nicht zertifizierten Smartphone oder Rechner läuft“, so Dr. Freckmann. So komme es in der Praxis immer wieder zu Problemen mit der Auslese-Software, fehlerhafter Darstellung oder Lücken bei den Glukosedaten sowie unerklärlichen Fehlermeldungen, berichtete Dr. Tytko.
Lieber einmal mehr melden – daraus können Hersteller lernen
Die Anwender*innen von CGM-Systemen wiederum wüssten häufig nicht, dass sie vor einem Update ihres Smartphone-Betriebssystems zunächst checken sollten, ob ihre jeweilige Diabetes-App bereits auf der neuen Version des Betriebsystems läuft. Man sollte Patient*innen also darüber aufklären und ihnen raten, die automatische Aktualisierung ihres Smartphones zu deaktivieren, meinte einer der Teilnehmer im Plenum. Eine andere Teilnehmerin forderte: „Wir müssen unsere Patienten auch dazu anhalten, bei jeglichen Vorkommnissen die fehlerhaften Produkte aufzubewahren, damit sie beim Hersteller eingeschickt werden können. Sonst können die Hersteller das ja nicht prüfen.“
Die diskutierten Beispiele zeigten also, dass es in der Praxis nicht immer leicht ist, meldepflichtige Vorkommnisse von Anwendungsfehlern oder manchmal unvermeidlichen Software-Problemen zu unterscheiden. Dennoch meinte Dr. Tytko: „Lieber einmal mehr melden, dann erfahren die Hersteller wenigstens davon.“ Zur Orientierung empfahl sie außerdem einen Blick auf die Homepage der US-amerikanischen FDA, wo bislang eingegangene Fehlermeldungen zu einzelnen Produkten öffentlich einsehbar dokumentiert sind. „Beim BfArM gibt es auch so eine Seite. Sie ist zwar noch nicht so komfortabel wie bei der FDA, aber so langsam wird es …“
Ein positives Beispiel: Klebstoffe bei Sensoren wurden geändert
Dr. Freckmann pflichtete ihr bei und erinnerte an die vielen Fälle, in denen es zu Nebenwirkungen wie Hautreaktionen auf Klebstoffe und andere Komponenten von CGM-Sensoren gekommen war. Daraufhin hatten die Hersteller die hochallergenen Materialien durch verträglichere ersetzt, und die Zahl der Hautreaktionen war bald zurückgegangen. „Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass Meldungen Erfolg haben, wenn sie nur häufig genug abgegeben werden.“ Die AG Diabetes & Technologie (AGDT) hält auf diabetes-technologie.de ein Formular bereit, mit dem man diese Hautreaktionen leichter beim BfArM melden kann.
DiaTec 2023