Statt Praxisverkauf eine KV-Entschädigung

Autor: RA Prof. Dr. jur. T. Schlegel, Foto: thinkstock

Das Versorgungsstrukturgesetz tritt Anfang 2012 in Kraft. Umstrittener Punkt: das vorgesehene Vorkaufsrecht der Kassenärztlichen Vereinigung.– Expertentreff –

Mit dem Versorgungsstrukturgesetz wurde das Vorkaufsrecht der Kassenärztlichlichen Vereinigung (KV) dahingehend geändert, dass der Zulassungsausschuss allein über die Praxisnachfolge bestimmen und die Entschädigung des Praxisabgebers durch die KV anordnen kann. Das bislang bekannte Verfahren einer Praxisabgabe in überversorgten Gebieten wird geändert und der Ermessensspielraum des Zulassungsausschusses erheblich erweitert.

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Praxisverkauf: Sitz-Ausschreibung nur bei Versorgungsbedarf

Und so soll es funktionieren: Der Praxisabgeber muss künftig einen Antrag zur Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens beim Zulassungsausschuss stellen, den dieser annehmen oder ablehnen kann. Nimmt der Ausschuss den Antrag an, hat die KV unverzüglich ein Ausschreibungsverfahren des Vertragsarztsitzes durchzuführen (insoweit bleibt es beim alten Verfahren).



Der Zulassungsausschuss kann jedoch den Antrag auf ein Nachbesetzungsverfahren ablehnen,„wenn eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist“. Es ist anzunehmen, dass hierfür die bekannten Argumente der Bedarfsplanung zur Anwendung kommen, um die „Versorgungsgründe“ darzulegen.

Wann darf die Zulassung abgelehnt werden?

In der Gesetzesbegründung kommen Versorgungsaspekte übrigens gar nicht, sondern primär Gründe der Stabilisierung der GKV Ausgaben zum Ausdruck. Der neue § 103 Abs. 3a SGB V sieht vor, dass der Zulassungsausschuss die Ablehnung mit einfacher Stimmenmehrheit beschließt. Der Zulassungsausschuss soll den Antrag nicht ablehnen können, „sofern die Praxis von einem Praxisnachfolger weitergeführt werden soll, der [...] Ehegatte, Ehepartner oder Kind des bisherigen Vertragsarztes ist oder ein angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes oder ein Vertragsarzt ist, mit dem die Praxis bisher gemeinsam betrieben wurde“.

Diese Ausnahme blockiert jedoch nicht ausnahmslos die Ablehnung eines Nachbesetzungsverfahrens, denn der Gesetzgeber hat dem Zulassungsausschuss eine weitere Tür geöffnet, um auch diese Ausnahmenachbesetzung abzulehnen (neuer Satz 9 zu § 103 Abs. 4 SGB V). Soweit der Zulassungsausschuss den Antrag auf ein Nachbesetzungsverfahren ablehnt, „hat die Kassenärztliche Vereinigung dem Vertragsarzt oder seinen zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes der Praxis zu zahlen“.

Unklar, da nicht geregelt, ist, wie hoch der Verkehrswert der Praxis ist, da dies der Wert ist, den der regionale Markt bereit ist, zu zahlen. Mangels eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens oder der Festlegung eines Bewertungsverfahrens wird der Wert wohl künftig von der KV ermittelt werden.

Größere Willkür möglich bei der Ablehnung der Zulassung

Der Gesetzgeber nimmt durch die Erweiterung der Willkür des Zulassungsausschusses als Entscheidungsträger die aktive Vermögensvernichtung der Praxiswerte in Kauf. Der Zulassungsausschuss kann in jedem Fall ohne objektive Kriterien die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes auch dann verhindern, wenn der genannte Personenkreis die Ablehnung des Ausschusses eigentlich verhindern können sollte.

Der Gesetzgeber gibt dem Zulassungsausschuss hierfür in der Gesetzesbegründung einen Freibrief: „Ziel dieser Regelung ist es auch, solche Fälle zu erfassen, in denen Praxisinhaber z.B. kurz vor der Beendigung der Tätigkeit noch einen Arzt anstellen, um einer möglichen Entscheidung des Zulassungsausschusses vorzubeugen, mit der die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens aus Versorgungsgründen abgelehnt wird.

Stellt sich in diesem Fall heraus, dass der angestellte Arzt nicht der vom Zulassungsausschuss im Auswahlverfahren auszuwählende Bewerber ist, kann nachträglich noch die Entscheidung getroffen werden, dass die Praxis nicht nachbesetzt wird.“ (Bundestags-Drucksache Nr. 17/8005 vom 30.11.2011, S. 149)

Bildung einer BAG könnte Praxisabgeber schützen

Die rechtliche Wirksamkeit der neuen Regelungen wird sicherlich umkämpft sein, da hier diverse rechtsstaatliche Grundsätze und Grundrechte angegriffen werden. Kurzfristig erscheinen folgende Empfehlungen sinnvoll: Zunächst sind primär Praxisabgeber einer Einzelpraxis durch die Neuregelung gefährdet. Daher ist es sinnvoll, eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) – auch überörtlich – zu gründen, da es zivil- und verfassungsrechtlich unwahrscheinlich ist, dass die geschilderte „Ausnahme der Ausnahme“ gerichtlich Bestand haben wird.

Außerdem ist anzuraten, bei der Beantragung des Nachbesetzungsverfahrens den Antrag unter den Vorbehalt zu stellen, dass diesem entsprochen wird, mit dem Ziel, dass bei einer ablehnenden Entscheidung der Antrag als zurückgezogen gilt und der Praxisabgeber seine Praxis weiterhin betreiben kann und daher sein Vermögenswert nicht ausschließlich zur Disposition des Zulassungsausschusses steht.

Praxisabgabe: Im Zweifelsfall Rückzieher oder Schadensersatz

Im Zweifel wird eine gerichtliche Auseinandersetzung hierüber Klarheit verschaffen, ob ein solcher Vorbehalt Bestand hat oder nicht. Bisher ist es üblich und rechtswirksam, dass der Praxisabgeber seinen Verzicht bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses noch zurückziehen kann. Künftig sind die KVen gezwungen, bei Ablehnung durch den Zulassungsausschuss eine Entschädigung zu zahlen.

Hier dürfte sich bei einigen KVen Widerstand regen. Fragen Sie bei Ihrer KV nach, ob sie ein Bewertungsverfahren bestimmt hat und wie dieses aussieht, damit Sie sich auf die Abgabesituation strategisch einstellen können. Bei der Ausübung von Willkür mit schädigendem Erfolg für Praxisabgeber (Vermögensschaden) sei der Zulassungsausschuss als Organ einer Körperschaft öffentlichen Rechts darauf hingewiesen, dass dies einen Anspruch auf Schadensersatz aus Amtshaftung nach sich ziehen kann, wie der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit bestätigt hat.

Quelle: RA Prof. Dr. jur. Thomas Schlegel