Diabetes Typ 1 und 2 Gut versorgt durch die Pandemie?
Gesunde wie Kranke kämpfen seit zwei Jahren mit den Auswirkungen der Coronapandemie. Doch Menschen mit chronischen Krankheiten mussten zudem noch zahlreiche Änderungen ihrer medizinischen Betreuung hinnehmen. Weniger Präsenz-Sprechstunden und -Schulungen. Andere mieden sogar noch die raren Angebote – aus Angst vor Ansteckung. Und das, obwohl Menschen mit Diabetes zur Corona-Risikogruppe angehören. „Speziell bei Diabetespatienten kommt hinzu, dass sie einer Risikogruppe für einen schweren COVID-Verlauf angehören“, sagt Prof. Hans Hauner, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes Stiftung (DDS) und Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums am TUM-Klinikum rechts der Isar und am Wissenschaftszentrum Weihenstephan. Neben möglichen Folgen für die Stoffwechselgesundheit sei daher auch mit einer höheren psychischen Belastung durch die Pandemie zu rechnen gewesen.
Stoffwechsel und Psyche stabil
Doch diese Befürchtungen bestätigten sich in den nun vorgelegten Studien zum Glück nicht. Prof. Hauner: „In der Gesamtschau sind Menschen mit Diabetes, die wegen ihres Stoffwechselleidens bereits vor der Pandemie in Behandlung waren, gut durch die Lockdown-Phasen gekommen.“ Offenbar könnten Menschen, die bereits gelernt hatten, mit ihrem Diabetes umzugehen, dies auch in den Lockdown-Phasen gekonnt. Laut einer der geförderten Studien hatten Menschen mit Typ-2-Diabetes nach dem ersten Lockdown weder eine schlechtere Stoffwechseleinstellung noch einen höheren BMI gehabt. Auch die Rate psychischer Störungen blieb unverändert.
Digital geschult und beraten
Das ist sicher auch das Verdienst der medizinischen Versorger. Ihnen sei es gelungen, innerhalb kurzer Zeit auf digitale Diabetesschulungen und -Beratungen umzustellen, so Prof. Hauner. Und die behandelnden Ärzte konnten die fehlenden Praxisbesuche zumindest teilweise durch Sprechstunden per Video oder Telefonate auffangen. „Der Schub, den die Telemedizin durch die Pandemie bekommen hat, wird uns auch langfristig zugutekommen“, ist sich Prof. Hauner sicher. Die neuen digitalen Formate könnten auch langfristig bereits bestehende Versorgungslücken schließen, etwa auf dem Land. So würden Videosprechstunden mobil eingeschränkten Patienten lange Anfahrtswege und Wartezeiten ersparen und so die Betreuungsintensität sogar noch erhöhen.
Spätere Diagnosen bei Typ 1
Doch es gab auch Verschlechterungen der Versorgung zu beobachten. Etwa im Bereich der Typ-1-Neuerkrankungen. So liefern die Studien Hinweise darauf, dass ein beginnender Typ-1-Diabetes während der Pandemie häufig erst verspätet diagnostiziert wurde. „Besonders bei Kindern unter sechs Jahren traten vermehrt Ketoazidosen auf“, so der Vorstandsvorsitzende der DDS. Rund drei Monate nach den jeweiligen COVID-19-Wellen kam es darüber hinaus zu einem deutlichen Anstieg der Typ-1-Inzidenz. Die Zahl der Neuerkrankungen nahm in diesen Phasen vorübergehend um rund 15 Prozent zu im Vergleich zum vorpandemischen Niveau. „Worauf diese Häufungen zurückzuführen sind, ist noch weitgehend unklar“, sagt Prof. Hauner. Vor allem indirekte Effekte der Pandemie – wie etwa psychische Belastungen – kämen als mögliche Ursachen in Frage.
Ungenutzte Versorgungsdaten
Aber auch strukturelle Defizite traten in der Krise deutlicher denn je zutage – etwa in der Verfügbarkeit medizinischer Daten. „Es ist in Deutschland nach wie vor sehr schwer, reale Versorgungsdaten zu bekommen“, fasst Prof. Hauner die Erfahrung aus den vorgestellten Studien zusammen. Im deutschen Gesundheitssystem würden zwar viele Routinedaten kontinuierlich gesammelt, aber so gut wie nicht genutzt. Gründe sind Datenschutz, bürokratische Hürden, fehlende Flexibilität oder Desinteresse. „Hier sind die verantwortlichen Stellen in der Politik und bei den Krankenkassen gefordert, die eingehenden Daten unter Wahrung des Datenschutzes zu nutzen oder zur Verfügung zu stellen“, so Prof. Hauner. Nur so könnten bestehende Probleme rasch identifiziert und gezielt adressiert werden.
Quelle: Pressemitteilung der DDS zur Online-Pressekonferenz am 16.02.2022