
Zukunft gehört Primärversorgungszentren Pilotprojekt macht Mut für mehr Teamarbeit und IT-Tools in den Praxen

HÄPPI ist eine Vision“, betont die Co-Vorsitzende des HÄVBW Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth. „HÄPPI kann die Versorgung revolutionieren. Alle lieben HÄPPI.“ Das „Hausärztliche Primärversorgungszentrum – Patientenversorgung Interprofessionell“ (HÄPPI) ist die Antwort des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes auf den Praxisnachfolger- und Fachkräftemangel bei gleichzeitig wachsendem Betreuungsbedarf. Das Primärversorgungszentrum zeichnet sich insbesondere durch eine interprofessionelle Versorgung im Team sowie den Einsatz zeitsparender digitaler Tools aus.
Vom Juli bis Dezember 2024 erprobten zehn Hausarztpraxen in Baden-Württemberg das Verbandskonzept. Wissenschaftlich begleitet wurde das Pilotprojekt von der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Heidelberg. Die Ergebnisse der „Machbarkeitsstudie“ präsentierte Prof. Dr. Attila Altiner begeistert auf dem Hausärztinnen- und Hausärztetag in Stuttgart.
Gefördert wurde die Unternehmung vom Land in Gestalt des Kabinettsausschusses ländlicher Raum mit 240.000 Euro. Der Ernährungs- und der Gesundheitsminister, Peter Hauk (CDU) und Manne Lucha (Grüne), würdigten das Konzept beim Hausärztinnen- und Hausärztetag als wichtige Maßnahme zur Sicherung der ambulanten Versorgung. Auch AOK-Chef Johannes Bauernfeind sieht das Potenzial – und hofft zudem, dass sich damit Effizienzreserven erschließen lassen.
Wie wird eine Praxis HÄPPI?
43 Praxen hatten sich für die Pilotphase beworben. Die zehn ausgewählten Praxen zeichneten sich durch einen unternehmerischen Ansatz aus. Sie beschäftigten Verah und (werdende) Physician Assistants (PA) bzw. Primary Care Managerinnen (PCM). Ärztliche Leitung und mindestens eine Person eines nicht-ärztlichen akademisierten Gesundheitsberufes bilden ein HÄPPI-Kernteam. Außerdem nutzten diese Praxen zumindest teilweise ergänzende Module ihres Praxisverwaltungssystems wie Online-Terminkalender, Videosprechstunde und Messenger für die Patientenkommunikation (z. B. für die Rezeptanforderungen). Das HÄPPI-Konzept macht bezüglich der einzusetzenden IT-Produkte keine anbieterspezifischen Vorgaben.
Einige Praxen rüsteten nach. Zum Beispiel nutzen am Ende neun von zehn eine digitale Dokumentation in Pflegeheimen und bei Hausbesuchen, was zuvor nur zwei Praxen taten. Manche führten für ihre Patientinnen und Patienten den Self-Check-in oder eine KI-gesteuerte Telefonassistenz ein.
Die wesentliche Umstellung, so berichteten Vertreter dreier HÄPPI-Praxen in Stuttgart, war die Implementierung einer regelmäßigen strukturierten Teambesprechung. Es galt, Aufgaben und Verantwortung zu verteilen, Kompetenzen zu nutzen und zu stärken, Prozesse zu hinterfragen und ggf. anders zu gestalten. Denn es reicht nicht, dass das Kernteam von der neuen Struktur überzeugt ist. Die Mitarbeitenden müssen motiviert und mitgenommen werden. Das gelang in den Pilotpraxen. Schilderungen der Erfahrungen und Tipps dazu finden sich in einem „Workbook“ auf der Webseite www.haevbw.de/haeppi.
Das heißt: Fortschrittliche Praxen können schon heute im HÄPPI-Stil agieren – allerdings ohne Förderung und spezifische Honorierung. Vorteile sind Kapazitätsgewinne durch die digitale Abwicklung von Routineaufgaben und delegierte Leistungen. Die geschaffenen Freiräume können für neue Patientinnen und Patienten und damit Mehrumsatz genutzt werden. Zudem berichten die HÄPPI-Praxen von einer höheren Arbeitszufriedenheit im Team.
Was bringt HÄPPI den Praxen?
Die Evaluation der Pilotphase zeigt: Neun von zehn Praxen erlebten durch die patientenorientierte Digitalisierung und Beschleunigung administrativer Tätigkeiten „eine relevante Entlastung“, die weniger Stress und „größere Zufriedenheit“ im „Silent Office“ bewirkte, berichtete Prof. Altiner. Die Patientinnen und Patienten wiederum bemerkten, dass sich die Ärztinnen und Ärzte bei der Versorgung komplexer Fälle mehr Zeit nehmen konnten und freuten sich über kürzere Wartezeiten. Das belegen Umfragen. „Das HÄPPI-Modell“, stellt Prof. Altiner fest, „ist für Praxen unterschiedlicher Größe geeignet“, also skalierbar. Die Teilnehmenden betonten auch die Wichtigkeit der Begleitung durch den Verband.
Ermöglicht wurden die Verbesserungen in den Praxen insbesondere durch eine „wertschätzende Kommunikation“ und „rollenorientierte Aufgabenverteilung“: In der HÄPPI-Konstruktion übernahmen mehr Verah Hausbesuche und DMP-Aufgaben als vorher. In sieben von zehn Praxen führten PA oder PCM die Infektsprechstunde durch, für fünf Praxen übernahmen sie Hausbesuche. Es kamen für sie neue Aufgaben hinzu wie der Erstkontakt mit Neupatienten, das Management nach Krankenhausentlassungen, Mitwirken bei Sonografie, Gesundheitsuntersuchung, Impfmanagement und z. B. Reha-Anträgen.
Allerdings klagten die HÄPPI-Praxen auch über technische Schwierigkeiten mit dem PVS oder der Videosprechstunde. Zudem verlief die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, etwa Pflegeheimen und Kliniken, aufgrund der unterschiedlichen Digitalisierungsgrade (Fax vs. Messenger) „herausfordernd“.
HÄPPI geht nur mit der HzV
Ein Primärarztzentrum im HÄPPI-Stil lässt sich also heute schon betreiben. Mithilfe vorhandener digitaler Tools und eines motivierten Teams wird die ärztliche Führung von Routine-Aufgaben entlastet. Der Knackpunkt ist die Implementierung einer regelmäßigen, strukturierten und wertschätzenden Teambesprechung sowie die klare Verteilung von Zuständigkeiten und Verantwortung.
Die HÄVBW-Co-Vorsitzende Dr. Susanne Bublitz formulierte es so: „HÄPPI erfordert einen Change-Prozess auf allen Ebenen der Praxisorganisation. Dieser initiale Aufwand muss bei der Implementierung abgebildet werden. Hier ist ausdrücklich auch die Unterstützung der Kassen und der Politik gefragt.“
AOK-Chef Bauernfeind geht davon aus, dass dieser Wandel ein „langer Prozess“ werden wird. Er betonte die Bedeutung für die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung. Trotz der positiven Evaluation sei aber auch ein Scheitern möglich.
Um das Modell in die Fläche zu bringen, bedarf es unterstützender Strukturen, wie sie der Hausärztinnen- und Hausärzteverband mit der HzV aufgebaut hat. Mittlerweile nehmen daran bundesweit zehn Mio. Versicherte freiwillig teil, allein drei Mio. davon in Baden-Württemberg.
Dr. Bublitz und Prof. Buhlinger-Göpfarth verweisen auf bereits laufende Gespräche mit Krankenkassen über eine HÄPPI-Finanzierung. Die finanzielle Lage der GKV ist derzeit ungünstig. Doch die jüngste Unterschriftensammlung für eine Petition zur Stärkung der Hausarztmedizin, die von rund 600.000 Menschen mitgetragen wurde, unterstreicht das allgemeine Interesse. „Nicht morgen, aber bald“ könne man mit den ersten Kassen einig werden, hofft das Verbandsduo. Die Kassen müssten nur auf den rollenden Zug der HzV aufspringen. Innovationen in den Hausarztverträgen würden üblicherweise über Honorarzuschläge bezahlt.
Dass das KV-System ebenfalls den Wandel zu Primärversorgungszentren bewirken könnte, bezweifeln die Dres. Bublitz und Buhlinger-Göpfarth. Im EBM werde am Arzt-Patienten-Kontakt festgehalten, während die HzV in Baden-Württemberg schon den Praxisteam-Patienten-Kontakt kenne. Schließlich bedarf nicht jedes Patientenanliegen des Kontakts zu einer Ärztin oder einem Arzt. Zudem befürchten die beiden Hausärztinnen, dass die Kassen im Bewertungsausschuss versuchen werden, EBM-Leistungen, die von PA oder PCM anstelle der Ärztin oder des Arztes erbracht werden, niedriger zu bewerten. So lasse sich aber kein neues Personal gewinnen.
Die HÄVBW-Chefinnen wünschen sich von der Selbstverwaltung eine klarere Rahmensetzung fürs Delegieren, wobei es immer in ärztlicher Verantwortung bleibt, was unter Supervision an qualifizierte Kräfte abgegeben werde. Ferner fordern beide eine Vereinheitlichung der Lehrinhalte im PA-Studium, je nach Hochschule seien die Curricula noch recht unterschiedlich. Die Erwartung „Wo PA draufsteht, muss PA drin sein“ sei noch zu erfüllen.
Quelle: Kongressbericht 23. Baden-Württembergischer Hausärztinnen- und Hausärztetag