Cannabis vom Hausarzt Die Regeln von G-BA und Bundessozialgericht im Überblick

Verordnungen Autor: Isabel Aulehla

Eine Therapie mit Cannabisblüten darf nur erfolgen, wenn keine andere Behandlungsoption anwendbar oder verfügbar ist. Die ­Einschätzung liegt beim Arzt. Eine Therapie mit Cannabisblüten darf nur erfolgen, wenn keine andere Behandlungsoption anwendbar oder verfügbar ist. Die ­Einschätzung liegt beim Arzt. © Africa Studio – stock.adobe.com

Patient:innen, denen sonst nichts hilft, darf in manchen Fällen Cannabis verordnet werden. Doch Ärzt:innen sind immer noch unsicher – nicht zuletzt, weil Krankenkassen den Schritt genehmigen müssen. Ablehnen dürfen sie ihn aber nur in Ausnahmen, betonen G-BA und Bundessozialgericht.

Seit fünf Jahren dürfen Ärzte unter bestimmten Bedingungen medizinisches Cannabis verschreiben, entweder in Form getrockneter Blüten oder als Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon. In der Praxis bestehen jedoch viele Unsicherheiten: Wann gilt eine Erkrankung als schwerwiegend genug? Wann dürfen die Krankenkassen die Genehmigung verweigern? Was muss dokumentiert werden?

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat nun die Details beschlossen, die für die Verordnung als Kassenleistung gelten. „Wir sind an die Grenzen dessen gegangen, was der Gesetzgeber zulässt“, so der unparteiische Vorsitzende Prof. Josef ­Hecken in der Sitzung des Gremiums. Er beschreibt die erarbeiteten Regeln als bürokratiearm und gut gangbar. Insbesondere hat der Ausschuss klargestellt, dass alle Facharztgruppen verordnungsbefugt sind. Ursprünglich hatte es Pläne gegeben, Allgemeinmediziner ohne Zusatzqualifikation auszuschließen.

Bereits letztes Jahr hat auch das Bundessozialgericht die gesetzlichen Einzelheiten der Cannabis-Verordnung ausgearbeitet. Im Folgenden ein Überblick.   

Wer darf Cannabis bekommen?

Der Anspruch auf medizinisches Cannabis besteht laut Bundessozialgericht nur zur Behandlung einer „schwerwiegenden“ Erkrankung. Dies sei gegeben, wenn eine Krankheit lebensbedrohlich ist oder wenn sie es dem Betroffenen verwehrt, Grundbedürfnisse zu erfüllen, soziale Beziehungen zu erhalten sowie am Erwerbs- und Gesellschaftsleben teilzunehmen. Als Maßstab nennt das Gericht einen Grad der Schädigung von 50. Dieser müsse allerdings nicht formell festgestellt werden, außerdem könne im Einzelfall auch unterhalb dieses Wertes die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigt sein.

Die Verordnung kommt nur infrage, wenn keine andere allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung verfügbar oder anwendbar ist. In dieser Frage gesteht das Gericht Ärzten eine Einschätzungsprärogative zu – Krankenkassen dürfen nur prüfen, ob die Angaben vollständig und inhaltlich nicht völlig unplausibel sind. Für die Einschätzung gelten aber hohe Standards. Sie muss Folgendes enthalten:

  • eine Dokumentation des Krankheitszustandes mit Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen aufgrund eigener Untersuchung des Patienten und ggf. Hinzuziehung von Befunden anderer Ärzte,
  • eine Darstellung der mit Cannabis zu behandelnden Erkrankung(en), ihrer Symptome und des angestrebten Behandlungsziels,
  • bereits angewendete Standardbehandlungen, deren Erfolg und aufgetretene Nebenwirkungen,
  • noch verfügbare Standardtherapien und deren zu erwartender Erfolg und Nebenwirkungen,
  • eine Abwägung der Nebenwirkungen einer Standardtherapie mit dem beschriebenen Krankheitszustand und den möglichen schädlichen Auswirkungen einer Therapie mit Cannabis. Einfließen dürfen dabei nur Nebenwirkungen, die das Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Erkrankung erreichen.

Die Therapie ist zudem nur zulässig, wenn eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Auswirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome“ bestehen. Für diese Prognose genüge es, wenn nach wissenschaftlichen Maßstäben objektivierbare Erkenntnisse vorliegen, dass die Behandlung mehr nutzt als schadet, so das Bundes­sozialgericht. 

Antrag wird extrabudgetär vergütet

Die Antragstellung auf Versorgung mit Cannabis wird mit der Gebührenordnungsposition 01626 EBM vergütet. Die Leistung kann bis zu viermal im Krankheitsfall erbracht und berechnet werden. Da nach einer Erstverordnung nur noch bei einem grundlegenden Therapiewechsel eine Genehmigung der Kasse erforderlich ist, während Folgeverordnungen, Dosis­anpassungen oder der Wechsel zu anderen getrockneten Blüten oder zu anderen Extrakten in standardisierter Form nicht mehr antragspflichtig sind, wird diese Abrechnungsbestimmung nahezu gegenstandslos.

16 Euro für die ärztliche Stellungnahme

EBM

Legende

Punkte/Euro

01626

Ärztliche Stellungnahme für die Krankenkasse bei der Beantragung einer Genehmigung gemäß § 31 Absatz 6 SGB V zur Verordnung von

  • Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder

  • Cannabis in Form von Extrakten oder

  • Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Dronabinol oder

  • Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Nabilon, einmal je Erstverordnung

143,00

16,43

Die GOP 01626 ist höchstens viermal im Krankheitsfall und am Behandlungstag nicht neben den GOP des Abschnitts 1.2 des EBM berechnungsfähig.

Die Vergütung der Leistung erfolgt weiterhin extrabudgetär und damit ohne Mengenbegrenzung. Im Gegensatz zu den Gebührenordnungspositionen 01460 und 01461, die bereits mit dem Wegfall der fünfjährigen Begleiterhebung entfallen sind, ist die Gebührenordnungsposition 01626 dauerhaft im EBM verankert. 

Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Wie läuft die Genehmigung ab?

Nur die Erstverordnung von Cannabis sowie ein grundlegender Therapiewechsel bedürfen laut ­G-BA-Beschluss der Genehmigung durch die Krankenkassen. Bei Folgeverordnungen, Dosisanpassungen oder einem Wechsel zu anderen Blüten oder Extrakten ist sie nicht erforderlich. Genehmigungen, die vor Inkrafttreten der neuen Regeln erteilt werden, gelten weiterhin.

Die Krankenkassen dürfen die Verordnung nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen. Da die Einschätzung der Ärzte nicht unterlaufen werden dürfe, nennt das Bundessozialgericht hierfür vor allem nicht-medizinische Gründe, etwa die unbefugte Weitergabe des Cannabis an Dritte. Die Kassen sind darlegungs- und beweispflichtig. Selbst eine Cannabisabhängigkeit rechtfertigt die Veweigerung nicht. 

Für Verordnungen der Präparate in der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) ist gemäß G-BA-Beschluss grundsätzlich keine Erlaubnis erforderlich. Wird in der Allgemeinen Ambulanten Palliativversorgung (AAPV) Cannabis verschrieben oder während einer stationären Behandlung eine entsprechende Therapie begonnen, gilt zwar die Genehmigungspflicht. Die Krankenkasse hat aber nur drei Tage für die Prüfung. 

Das Bundessozialgericht betont: Es reicht, wenn der Vertragsarzt der Kasse den Inhalt der geplanten Verordnung mitteilt oder der Versicherte eine entsprechende Erklärung des Arztes weiterleitet. Zu nennen sind die Arzneimittelbezeichnung, die Verordnungsmenge und die Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesdosis sowie Anwendungsform.

Was muss dokumentiert werden?

Da medizinisches Cannabis – bis auf Fertigarzneimittel – nicht zugelassen ist, müssen Ärzte vor der ersten Verordnung prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. In den ersten drei Monaten ist der Erfolg der Therapie laut G-BA engmaschiger zu dokumentieren als im weiteren Verlauf. Vorwiegend in dieser Zeit würde die Therapie aufgrund schwerer Nebenwirkungen oder Erfolglosigkeit abgebrochen.

Quelle: Urteile des BSG vom 10. November 2022; Az.: B 1 KR 21/21 R, B 1 KR 28/21 R, B 1 KR 9/22 R, B 1 KR 19/22 R