BSG-Urteil Praxen haften für Impfstoffverfall bei Unterbrechung der Kühlkette
Der Impfstoff-Kühlschrank in einer kinderärztlichen Berufsausübungsgemeinschaft ist unerwartet defekt, die Vakzinen lagern über Stunden bei falscher Temperatur und müssen auf Empfehlung von Apotheker und Impfstoffhersteller vernichtet werden. Die betreffende Ärztin bestellt den Impfstoff also nach und verordnet ihn regelkonform. Die Prüfstelle setzt für diese Ersatzverordnung einen Regress von 24.395 Euro fest. Ist das rechtens? Ja, entschied nun das Bundessozialgericht in einem umstrittenen Urteil.
Die ersatzweise Verordnung der Impfstoffe sei unwirtschaftlich und unzulässig, meinte das BSG. Bei der Beurteilung seien auch die Umstände in den Blick zu nehmen, die zur Verordnung führten. Dabei sei es für die Annahme der Unzulässigkeit ausreichend, dass der Schaden aufgrund einer Fehlfunktion eines Geräts in den Praxisräumen eingetreten ist. Zwar könnten technische Fehler eines Medikamentenkühlschrankes nie vollständig ausgeschlossen werden. Ärzte könnten das Risiko jedoch reduzieren, etwa durch Auswahl, Wartung und Überwachung des Geräts. Auch die Menge des gelagerten Impfstoffs können sie kalkulieren. Es liege in der freien unternehmerischen Entscheidung des Arztes, ob er Vorkehrungen treffe, etwa indem er Versicherungen abschließe. Ein Fall höherer Gewalt liege nicht vor.
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte kritisiert das Urteil scharf. „Damit wird Impfen zum Risiko für die Existenz unserer Praxen“, heißt es in einer Pressemitteilung. Verbandspräsident Dr. Thomas Fischbach prophezeit, dass Kinderärzte künftig Eltern in die Apotheken schicken werden, um Impfstoffe für ihr Kind unter Beachtung der lückenlosen Kühlkette zu besorgen. Die KVen seien nun in der Pflicht, eine tragbare Lösung zu finden, die das Regressrisiko ausschließt.
Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.6.2022, B 6 KA 14/21 R