Pausenbrot-Prozess Ärzte finden sich in einem nephrologischen Krimi wieder
Wegen einer Niereninsuffizienz unklarer Genese war ein junger Mann in das Evangelische Klinikum Bethel in Bielefeld überwiesen worden. Beschwerden hatte er keine, auch die körperliche Untersuchung blieb unauffällig. Der Grund für die Überweisung war ein Zufallslaborbefund seines Hausarztes gewesen, den dieser abgeklärt haben wollte, berichtete Dr. Mariam Abu-Tair von der Abteilung für Nephrologie und Diabetologie.
Die erneute Laboruntersuchung in der Klinik ergab eine diskrete Leukozytose und eine hochgradige Nierenfunktionseinschränkung (Krea 2,45 mg/dl). Thrombozytenzahl, Harnstoff und Kalium lagen im Normbereich, die BGA war ausgeglichen, die Urinuntersuchung blieb ohne Befund. Sonographisch ließ sich beidseitig ein gering verdichtetes Nierenparenchym mit betonten Markpyramiden erkennen sowie eine etwa 2 cm große Raumforderung paraaortal dorsal der Bauchspeicheldrüse.
Die Bielefelder Kollegen entschieden sich für ein erneutes Gespräch mit dem 24-Jährigen. Darin stellte sich heraus, dass er seit mehreren Wochen Pantoprazol gegen rezidivierende Magenbeschwerden und zudem Muskelaufbaupräparate einnahm. Die veranlasste Nierenbiopsie ergab eine Nephrosklerose mit multifokalem chronifizierendem und chronischem tubulointerstitiellem Schaden. Das Abdomen-MRT bestätigte die paraaortale Raumforderung.
Zweiter Herd im Thorax
Die Nephrosklerose und der eingangs erhöhte Blutdruck zusammen mit der Raumforderung veranlassten die Kollegen dazu, eine sekundäre Hypertonie im Rahmen eines Phäochromozytoms abzuklären. Überraschenderweise zeigt sich bei der MIBG*-Szintigraphie aber ein zweiter Herd im Thorax. Histologisch stellten sich beide Raumforderungen postoperativ als Paragangliome heraus. Nach zusätzlicher Untersuchung der Familie lautete die Diagnose: hereditäres Paragangliom-Phäochromozytomsyndrom mit SDHD**-Mutation. Doch erklärte das wirklich den Nierenschaden? Der Kreatininwert sank zumindest im Verlauf auf 1,5 ab. Man entschied sich, das Ganze weiter zu beobachten.
Dann wurde der Patient etwa ein halbes Jahr später wegen wiederkehrender paravertebraler Schmerzen, Kraftminderung und rezidivierender Magenbeschwerden erneut vorstellig. Der Laborbefund ähnelte dem der Erstaufnahme, doch dieses Mal hatte der Mann sowohl eine metabolische Azidose als auch eine Proteinurie – und das Kreatinin lag plötzlich bei 8,5 mg/dl.
Zusammen mit ihrem Patienten gingen die Ärzte wieder auf Spurensuche. Die Biopsie zeigte zusätzlich zum vorherigen Befund einen diffusen, mäßiggradigen akuten und potenziell reversiblen Tubulusschaden. Der entscheidende Hinweis folgte in der Anmerkung, dass der Befund primär als medikamentös-toxisch oder toxisch induziert erschien.
Doch die Medikamentenanamnese blieb dahingehend ergebnislos: Die PPI-Menge, die der Mann einnahm, war zu gering, und auch andere potenziell nephrotoxische Medikamente (Antibiotika, NSAR etc.) fielen als Ursache weg. Der Blick auf den Kreatininverlauf zeigte dagegen eine deutliche inverse Korrelation mit den stationären Aufenthalten und Krankschreibungen der letzten Monate. In seinem direkten Arbeitsumfeld waren aber ebenfalls keine Substanzen zu finden, die im Falle eines Kontakts die Befunde hätten erklären können.
Der Verdacht der Ärzte, dass womöglich etwas in seinem Umfeld für die gesundheitlichen Probleme verantwortlich sein könnte, ließ den Mann misstrauisch werden. Schließlich erinnerte er sich an einen weißen Staub, den er ab und an auf seinem Pausenbrot bemerkte.
Täter erhielt lebenslange Haftstrafe
Über Videoaufnahmen wurde die inzwischen hinzugezogene Polizei fündig. Sie identifizierte einen Mitarbeiter, der im gleichen Betrieb wie der Patient arbeitete und seinen Kollegen regelmäßig etwas auf die Brote streute. Weitere Nachforschungen ergaben, dass sich dieser Mann zudem jahrelang mit der Wirkung von Blei, Kadmium, Quecksilber und radioaktivem Polonium auf verschiedene Organsysteme beschäftigt hatte und vermutlich Experimente an Kollegen durchführte. Erneute Blutuntersuchungen bestätigten den Verdacht: Die Bleikonzentration lag bei 93,7 bzw. 130 µg/l und die von Kadmium bei 1,8 µg/l. Der junge Mann hatte eine Blei- und Kadmiumvergiftung.
Steckbrief Bleivergiftung
Blei kann sowohl über die Lunge als auch über den Gastrointestinaltrakt aufgenommen werden. Ein Großteil lagert sich im Knochen und im Blut an. Anzeichen einer Vergiftung finden sich z.B. im Blutbild (basophile Tüpfelungen) oder an der Mundschleimhaut (dunkle Linien).
Akute Symptome der Bleivergiftung sind u.a. gastrointestinale Schmerzen, Obstipation, Anorexie, Gelenk- und Muskelschmerzen, Fatigue, Schlafstörungen, Libidoverlust, Kopfschmerzen, kognitive Defizite, Depression und letztendlich eine Anämie. Zu den Auswirkungen einer chronischen Bleivergiftung gehören neben der deutlich erhöhten Mortalität Depressionen, Polyneuropathie, Tremor, neurokognitive Störungen, Anämie, Hypertonie, Nephropathie und eine Spermiendysfunktion.
Im Verlauf konnten weitere Opfer aus dem Betrieb identifiziert werden, einer davon starb an den Folgen seiner Quecksilbervergiftung. Es kam zu dem bekannten Pausenbrot-Prozess, an dessen Ende der Täter 2020 u.a. wegen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt wurde.
*Metaiodbenzylguanidin-Szintigraphie
** Succinat-Dehydrogenase Subunit D
Quelle: 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin