Hypertensiver Notfall Akute Endorganschäden machen den Hochdruck zur Zwangslage

Autor: Maria Weiß

Die meisten Betroffenen mit sehr hohem Blutdruck haben keinen akuten Endorganschaden, leiden jedoch an einer schweren Hypertonie. Die meisten Betroffenen mit sehr hohem Blutdruck haben keinen akuten Endorganschaden, leiden jedoch an einer schweren Hypertonie. © Microgen – stock.adobe.com

Ein Blutdruck über 180/110 mmHg ist besorgniserregend. Doch nicht immer handelt es sich dabei um einen hypertensiven Notfall, der sofortiges Eingreifen erforderlich macht. Ob man abwarten oder den Druck schnell senken soll, hängt von mehreren Faktoren ab.

Ein sehr hoher Blutdruck über 180/110 mmHg muss bei einer schlecht eingestellten oder neu diagnostizierten Hypertonie noch kein Notfall sein, schreibt Joseph Miller von der Abteilung für Notfallmedizin an der Henry Ford Health and Michigan State University in Detroit. Erst wenn es durch den hohen Blutdruck zu einer akuten Endorganschädigung gekommen ist, spricht man von einem hypertensiven Notfall, der eine sofortige Blutdrucksenkung erforderlich macht. Das können z. B. eine hypertensive Enzephalopathie, eine Hirnblutung, ein Schlaganfall, eine akute Herzinsuffizienz, ein Herzinfarkt, eine Präeklampsie oder ein akutes Nierenversagen sein. Davon abzugrenzen sind Fälle, bei denen es z. B. durch einen Schlaganfall sekundär zu einer Blutdruckerhöhung kommt. Solche Patientinnen und Patienten würden nicht unbedingt von einer sofortigen Blutdrucksenkung profitieren.

Nachdem sichergestellt ist, dass der erhöhte Blutdruck nicht durch Stress oder starke Schmerzen bedingt ist, sollte gezielt nach einer möglichen Endorganschädigung gefahndet werden. Fünf Symptome stehen dabei im Vordergrund:

  • Brustschmerzen
  • Dyspnoe
  • Kopfschmerzen
  • Sehstörungen
  • andere neurologische Befunde

Liegt keines dieser Symptome vor, kann man einen hypertensiven Notfall mit 99%iger Sicherheit ausschließen. Um die Ursache einzukreisen, sollte in der Anamnese nach einer früheren Hypertoniediagnose, kardiovaskulären und metabolischen Erkrankungen, endokrinen Störungen, Phäochromozytom und chronischen Nierenerkrankungen gefragt werden. Auch Alkoholkonsum, die Einnahme sympathomimetischer Medikamente und der Konsum von Drogen wie Amphetamin, Metamphetamin oder Kokain sind anamnestisch abzuklären.

Akuten Myokardschaden und Herzinsuffizienz ausschließen

Die apparativen und labortechnischen Untersuchungen richten sich nach den Symptomen. Meist werden ein EKG, ein Differenzialblutbild, ein metabolisches Profil einschließlich der Elektrolyte sowie die Bestimmung der Nierenwerte benötigt. Mittels NT-proBNP und hochsensitivem Troponin lassen sich ein akuter Myokardschaden und eine Herzinsuffizienz ausschließen. Die Bestimmung von LDH als Marker für eine thrombotische Mikroangiopathie kann ebenfalls sinnvoll sein. Auch die Bildgebung richtet sich nach den Symptomen und vermuteten Endorganschäden. Eine CT des Kopfes bei Veränderungen des Mentalstatus ist für die Diagnose einer hypertensiven Enzephalopathie nicht sensitiv genug, kann aber zum Ausschluss einer intrazerebralen Blutung dienen.

Die meisten Betroffenen mit sehr hohem Blutdruck haben keinen akuten Endorganschaden – sie leiden lediglich an einer akuten schweren Hypertonie, die im Prinzip auch ambulant behandelt werden kann. In unklaren Fällen kann man sich für eine kurze stationäre Beobachtungszeit entscheiden. Eine kurze Ruhephase mit Atemübungen reicht oft schon aus, um den Blutdruck wieder in normale Bahnen zu lenken. Auch angstlösende Medikamente können in der Akutsituation hilfreich sein. Die weitere Blutdrucksenkung erfolgt dann in der Regel mit oralen Antihypertensiva.

Beim hypertensiven Notfall richten sich das weitere Vorgehen und der angestrebte Zielblutdruck nach der Art des Endorganschadens. Zumeist kommen intravenöse Blutdrucksenker wie Nicardipin und Labetalol zum Einsatz. Im Fall von hypertensiver Enzephalopathie, akutem Nierenversagen oder Phäochromozytom sollte der mittlere arterielle Blutdruck (MAP) um 20 – 25 % reduziert werden, bei Myokardinfarkt und akutem Lungenödem um 15 – 25 %.

Schlaganfälle und Hirnblutungen erfordern ein vorsichtiges Vorgehen, das eine nur moderate Blutdrucksenkung einschließt. Bei hämorrhagischem Schlaganfall empfiehlt das Autorenteam beispielsweise, einen systolischen Zielblutdruck von 140 mmHg anzuviesieren. Liegen die Ausgangswerte > 220 mmHg, gilt ein Zielblutdruck von < 180 mmHg als angemessen. 

Bei Aortendissektion den Blutdruck drastisch senken

Patientinnen und Patienten mit ischämischem Apoplex, aber ohne Reperfusionstherapie sollten erst ab 220/120 mmHg eine sofortige blutdrucksenkende Therapie erhalten. Liegen die Druckwerte darunter, ist eine graduelle Drucksenkung über mehrere Tage anzustreben. Die intensivste Blutdrucksenkung erfolgt bei Aortennotfällen wie der Dissektion, hier soll der systolische Druck unter 120 mmHg sinken, bei gleichzeitiger Herzfrequenz < 60.

Egal ob schwere akute Hypertonie oder hypertensiver Notfall – in allen Fällen kommt der Langzeitkontrolle des Blutdrucks eine wesentliche Rolle zu. Denn es gilt, erneute Notfälle zu verhindern.

Quelle: Miller JB et al. BMJ 2024; 386: e077205; doi: 10.1136/bmj‑2023‑077205