COVID-19 Anstieg der Inzidenz von Typ-1-Diabetes gibt der Virushypothese Auftrieb

Autor: Michael Brendler

Die Neuerkrankungen an Diabetes nahmen während der Corona-Pandemie eklatant zu. Die Neuerkrankungen an Diabetes nahmen während der Corona-Pandemie eklatant zu. © megaflopp – stock.adobe.com

Infektionen stehen schon länger im Verdacht, Inselzell-Autoimmunreaktionen zu triggern. Gilt das in besonderem Maß für COVID-19 – oder gibt es noch andere Ursachen für die Zunahme an Neuerkrankungen mit Typ-1-Diabetes während der Coronapandemie?

Während der Coronapandemie ist die Inzidenz des Typ-1-Diabetes in die Höhe geschossen. Das rückt die Rolle von Virusinfektionen in der Pathogenese der Autoimmunerkrankung wieder in den Fokus – auch wenn bislang kein kausaler Zusammenhang belegt werden konnte.

Warum sollte eine Infektion mit SARS-CoV-2 das Risiko einer Neuerkrankung an Typ-1-Diabetes erhöhen? Der Mangel an einem belegbaren Krankheitsmechanismus macht es bislang schwer, einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Coronainfektion und der Auto­immunkrankheit zu finden. Ein direkter Einfluss des Erregers auf die Betazellen kommt nicht in Betracht, so viel ist klar – sonst würde das Auftreten von Inselzell-Antikörpern stärker mit dem von Virusantikörpern korrelieren. Respiratorische und gastrointestinale Infektionen wurden allerdings schon früher verdächtigt, Inselzell-Autoimmunreaktionen zu triggern – Ähnliches könnte für COVID-19 gelten. Bewiesen ist das aber nicht, referieren ­Daniel D’Souza­ vom SickKids Research Institute im kanadischen Toronto und Kollegen.

Zumindest konnten die Forscher belegen: Es gab einen Anstieg der Fälle von Typ-1-Diabetes während der Pandemie. In ihrer Metaanalyse werteten sie die Daten von insgesamt 38.149 betroffenen Kindern und Jugendlichen (< 19 ­Jahre) aus. Grundlage dafür waren 17 Studien, in denen die Inzidenz der Autoimmunkrankheit mindestens zwölf Monate vor und nach Pandemiebeginn beobachtet worden war.

Im ersten Pandemiejahr nahm die Inzidenz demnach um 14 % gegenüber dem Vorjahr zu. Im zweiten Coronajahr lag die Rate sogar um 27 % höher als die präpandemische Inzidenz. Auch über eine Zunahme von Typ-2-Diabetes berichteten mehrere Studien. Ein entsprechender Effekt bei Kindern und Jugendlichen ließ sich aufgrund unzureichender Daten aber nicht demonstrieren.

Außerdem beobachteten die Forscher, dass im ersten Pandemiejahr zum Zeitpunkt einer Diabetesdia­gnose bei Minderjährigen 26 % mehr Fälle von diabetischer Keto­azidose (DKA) gezählt wurden als vor der Pandemie. Das spricht für eine häufiger gewordene Verschleppung der Diagnose, die unter anderem damit zusammenhängen dürfte, dass medizinische (Notfall-)Versorgung zögerlicher in Anspruch genommen wurde.

Beide Trends – das Plus bei den Ketoazidosen und den Anstieg der Diabetes-Typ-1-Inzidenz – habe es auch schon vor Corona in Europa gegeben, allerdings auf niedrigerem Niveau, kommentieren Prof. Dr. ­Clemens ­Kamrath von der Klinik für Allgemeine Pädiatrie und Neonantologie am Universitätsklinikum Gießen und Koautoren. Die Faktoren, die zur Zunahme der Diabetesinzidenz vor und während der Pandemie seien möglicherweise dieselben, nur hätten sie sich in den vergangenen dreieinhalb Jahren noch einmal verstärkt. Infrage kommen Veränderungen im Mikrobiom, häufigeres Übergewicht bei Kindern und die sogenannte Hygienehypothese. Durch die Isolationsmaßnahmen während der Pandemie hatten Kinder Kontakt zu weniger diversen Erregern – und schlechter trainierte Abwehrzellen könnten anfälliger für Autoimmunerkrankungen machen.

Bislang sei zwar keine kausale Erklärung belegt, schränken Prof. Kamrath und seine Kollegen ein. Womöglich könnte die Pandemie aber dabei helfen, den biologischen Mechanismus hinter der Entstehung des Diabetes mellitus Typ 1 zu verstehen.

Quellen:
1. D’Souza D et al. JAMA Netw Open 2023; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2023.21281
2. Kamath C et al. JAMA Netw Open 2023; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2023.21231