Wie COVID-19 und Diabetes einander beeinflussen
Inzwischen lassen sich Erkenntnisse aus veröffentlichten, weit angelegten Studien mit großen Fallzahlen ziehen. Eine solche stellte Professor Dr. Juliana Chan, Universität Hongkong, vor. In einer Populationsstudie1 auf Basis der Daten von über 60 Millionen britischen Patienten wiesen 0,4 % Typ-1- und 4,6 % Typ-2-Diabetes auf. Unter den bisher 24.000 Todesfällen durch COVID-19 war der Anteil von Menschen mit Diabetes mit 30 % hingegen deutlich höher. Adjustiert für multiple Risikofaktoren, ergab dies für Menschen mit Typ-2-Diabetes ein beinahe zweifach und mit Typ-1-Diabetes ein nahezu dreifach erhöhtes Sterberisiko.
Stoffwechseleinstellung als entscheidender Faktor bestätigt
Dies betrifft allerdings vor allem Patienten mit unzureichender Stoffwechselkontrolle, führte die Referentin weiter aus. Daten der chinesischen Ausbrüche2 zeigen für Diabetespatienten mit guter Stoffwechselkontrolle eine sehr niedrige Akutmortalität von unter 1 %, wohingegen bei schlechter Stoffwechsellage mehr als 5 % binnen 28 Tagen starben. Italienische Daten3 bestätigen dies: Je höher der Blutzuckerspiegel bei stationärer Aufnahme, desto höher auch die Mortalitätsrate.
Die britische Statistik verdeutlicht laut Prof. Chan, dass das Risiko bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ab einem HbA1c von 7,5 % linear ansteigt, ebenso mit Abnahme der Nierenfunktion ab einer eGFR von 60 ml/min/1,73 m². Ein Body Mass Index unter 20 kg/m² wirkt sich ebenso ungünstig aus wie einer über 35 kg/m². Ähnlich sieht es bei Typ-1-Diabetes aus: Eine schlechte Stoffwechselkontrolle geht häufig einher mit subklinischer Inflammation, schlechten Durchblutungsverhältnissen und geschwächten immunologischen Funktionen, was die erhöhte Anfälligkeit für Infektionen wie COVID-19 und das schlechte Outcome zumindest teilweise erklären kann. Umgekehrt kann eine gute Stoffwechselkontrolle möglicherweise schweren Verläufen vorbeugen, so die Expertin.
Coronainfektion könnte Diabetesausbruch begünstigen
Prof. Chan betonte, dass nicht nur der Diabetes den Verlauf der SARS-CoV-2-Infektion beeinflusst, sondern auch vice versa. Das Virus ist möglicherweise in der Lage, in Betazellen einzudringen und diese zu zerstören, was bei Prädiabetes und multiplen Risikofaktoren den Ausbruch des Diabetes begünstigen könnte. Erfahrungen mit der Pandemie in Italien4 zeigen aber auch, dass die Stoffwechsellage bei Menschen mit Typ-1-Diabetes während des Lockdowns teilweise sogar stabiler wurde und sie seltener und kürzer Hypoglykämien aufwiesen.
Professor Dr. Catarina Limbert, Universität Lissabon, hält das Outcome bei COVID-19 in erster Linie für eine Generationenfrage. Der typische Risikopatient für einen schweren Verlauf ist auch bei Menschen mit Diabetes männlich, adipös, über 50 Jahre alt und hat kardiovaskuläre oder renale Begleiterkrankungen. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Typ-1-Diabetes hingegen sind weit weniger gefährdet. Möglicherweise verläuft die Infektion bei ihnen milder, weil ACE2 als Rezeptor, über den SARS-CoV-2 sich Zugang zu den Wirtszellen verschafft, bis zum 25. Lebensjahr weniger stark ausgeprägt ist. Das lege eine Studie5 nahe, in der Proben aus der Nasenschleimhaut unterschiedlicher Altersgruppen untersucht wurden.
Quellen:
1. Barron E et al. Lancet Diabetes & Endocrinol 2020; 8: 813-822; DOI: 10.1016/S2213-8587(20)30272-2
2. Zhu L et al. Cell Metab 2020; 31: 1068-1077.e3; DOI: 10.1016/j.cmet.2020.04.021
3. Cariou B et al. Diabetologia 2020; 63: 1500- 1515; DOI: 10.1007/s00125-020-05180-x
4. Maddaloni E et al. Diabetes Care 2020; 43: e86-e87; DOI: 10.2337/dc20-0954
5. Bunyavanich S et al. JAMA 2020; 323: 2427- 2429; DOI: 10.1001/jama.2020.8707
Kongressbericht: EASD 2020