Diabetes Pandemie befeuert die Inzidenzrate
Seit etlichen Jahren steigt die Inzidenz des Typ-2-Diabetes im Kindes- und Jugendalter stetig an. Immer mehr Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen der COVID-19-Pandemie und steigenden Diabeteszahlen hin. Ein deutsches Forscherteam um Privatdozent Dr. Christian Denzer von der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Ulm nahm dies zum Anlass, eine umfassende Auswertung von Registerdaten vorzunehmen.
Mithilfe des Registers der Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation (DPV) – in diese Analyse sind die Daten von 219 teilnehmenden Zentren eingeflossen – prüften die Forschenden, bei wie vielen Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen sechs und unter 18 Jahren zwischen Januar 2020 und Dezember 2021 ein Typ-2-Diabetes neu diagnostiziert worden war. Als präpandemischer Vergleichszeitraum dienten die Jahre 2011 bis 2019. Die Steigerungsrate bei den Inzidenzzahlen übertraf die Prognosen deutlich (siehe Kasten).
Anstieg von 0,75 auf 1,25 pro 100.000 Patientenjahre
Zwischen 2011 und 2019 nahm die Inzidenz des Typ-2-Diabetes in der genannten Altersgruppe von 0,75 auf 1,25 pro 100.000 Patientenjahre zu. Dies entspricht einem jährlichen Inzidenzanstieg um 6,8 %, berichten die Wissenschaftler*innen. Im Jahr 2020 stieg die Diabetesinzidenz weiter, auf 1,49 pro 100.000 Patientenjahre; diese Zunahme lag aber nicht signifikant höher als die anhand der Jahre 2011 bis 2020 prognostizierte Inzidenz (1,29 pro 100.000 Patientenjahre). Im Jahr 2021 betrug die Typ-2-Diabetesinzidenz im Gesamtkollektiv der Kinder und Jugendlichen dann allerdings 1,95 pro 100.000 Patientenjahre und übertraf damit die prognostizierte Inzidenz von 1,38 pro 100.000 Patientenjahre deutlich, nämlich um 41 %.
Auffällig war dabei, dass sich im Jahr 2021 die Diabetesinzidenz bei den Mädchen nicht wesentlich von der prognostizierten Inzidenz in dieser Geschlechtsgruppe unterschied. Der deutliche Inzidenzanstieg war demnach auf die mit 2,16 Fällen pro 100.000 Patientenjahre um 55 % häufigere Erkrankung der männlichen Kinder und Jugendlichen zurückzuführen.
Einen signifikant höheren durchschnittlichen Body-Mass-Index verzeichneten die Forschenden bei den Betroffenen nicht, gleiches galt für das durchschnittliche HbA1c. Allerdings kam es im Zusammenhang mit der Manifestation etwas häufiger zu diabetischen Ketoazidosen als im Vergleichszeitraum.
Der signifikante Anstieg der Typ-2-Diabetesinzidenz im zweiten Pandemiejahr ist insbesondere durch die überproportional häufige Erkrankung männlicher Adoleszenter bedingt, unterstreichen Dr. Denzer und Kolleg*innen. Dies führte sogar zu einer Umkehrung des Geschlechterverhältnisses: Erstmals entwickelten mehr Jungen als Mädchen einen Typ-2-Diabetes. Dieser Trend zeichnete sich allerdings bereits in den Jahren vor dem Ausbruch der Pandemie ab.
Die Ursache für den sprunghaften Inzidenzanstieg bei den männlichen Teenagern im Jahr 2021 können die Forschenden nicht zweifelsfrei benennen. Sie vermuten jedoch eine besondere Diabetesprädisposition bei dieser Gruppe von Jugendlichen. Allgemein werden als mögliche Ursachen für den Inzidenzanstieg beispielsweise eine Beeinträchtigung der pankreatischen Betazellen durch das Virus selbst oder die Verschlechterung der Insulinsensitivität durch die vom Organismus ausgeschütteten proinflammatorischen Zytokine diskutiert.
Wie haben sich wenig Bewegung und mehr Gewicht ausgewirkt?
Eine andere Hypothese geht davon aus, dass Bewegungsarmut und Gewichtszunahme – Folgen der Maßnahmen zur Pandemieeindämmung wie Schulschließungen und das Erliegen von Sport- und Freizeitaktivitäten – eine diabetische Stoffwechsellage begünstigten. Die Lockdowns und die soziale Isolation sowie der damit einhergehende Verlust regelmäßiger sportlicher Aktivitäten haben dann möglicherweise zu einer kritischen Zunahme der Insulinresistenz geführt, meinen die Forschenden.
Direkte Effekte der SARS-CoV-2-Infektion wollen die Forschenden allerdings ebenfalls nicht ausschließen. Weitere wissenschaftliche Untersuchungen der beobachteten Zusammenhänge seien nun dringend notwendig.
Literatur:
Denzer C et al. Diabetes Care 2023: dc222257; doi: 10.2337/dc22-2257