Kein No-Go mehr Auch unter NOAK scheint eine intravenöse Lysetherapie ausreichend sicher zu sein

DGN 2024 Autor: Friederike Klein

Studien zeigen: Eine Lysetherapie auch bei Antikoagulation ist machbar – ohne erhöhtes Blutungsrisiko. Studien zeigen: Eine Lysetherapie auch bei Antikoagulation ist machbar – ohne erhöhtes Blutungsrisiko. © Geber86 - stock.adobe.com

Neue Studien haben gezeigt: Die intravenöse Lyse ist auch bei bestehender NOAK-Therapie vergleichsweise sicher möglich. Experten betonen die Bedeutung individueller Risikoanalysen und fordern standardisierte Vorgehensweisen. In einer Klinik führte dies bereits zu über 20 erfolgreichen Therapien.

Bei einem früh entdeckten Schlagfall ist die Thrombolyse von entscheidender Bedeutung. Insbesondere bei älteren Betroffenen besteht in dieser Situation oft eine Antikoagulation mit NOAK. Das schließt eine intravenöse Lysetherapie aus – eigentlich.

Die Frage der Lyse bei bestehender Therapie mit NOAK stellt sich bei älteren Menschen mit ischämischem Schlaganfall häufig. Prof. Dr. Waltraud Pfeilschifter von der Klinik für Neurologie am Klinikum Lüneburg berichtete beispielhaft über einen Fall aus ihrer Praxis: Eine 78-jährige Patientin hatte abends noch 5 mg Apixaban eingenommen. Nachts wurde sie um 1.15 Uhr mit Aphasie und leichtgradiger armbetonter Hemisymptomatik in die Stroke Unit des Klinikums Lüneburg aufgenommen. Die Bildgebung zeigte einen distalen Verschluss des parietalen M2-Asts am M2-M3-Übergang. Die multimodale Computertomografie wies auf ein klares Mismatch-Profil hin.

Die Einnahme des NOAK lag erst vier Stunden zurück. Ansonsten bestanden keine Kontraindikationen zur Thrombolyse. Einer solchen Patientin sollte man nicht pauschal die Lysetherapie verweigern, erklärte Prof. Pfeilschifter. Belege für eine sichere Lyse unter NOAK gibt es, wie die Referentin am Beispiel des Dabigatrans erläuterte: Im Tiermodell war das Risiko für thrombolyseassoziierte symptomatische intrakranielle Blutungen (sICH) unter Dabigatran in Standarddosierung nicht erhöht. Das NOAK scheint durch die Hemmung von Thrombin die thrombininduzierte Reorganisation des Zytoskeletts zu verhindern und damit die vaskuläre Permeabilität zu verringern. Es wird vermutet, dass die erhaltene Integrität der endothelialen Barriere das Risiko von sICH unter Therapie mit Dabigatran bei Thrombolyse reduziert.

Es gibt auch Evidenz aus klinischen Studien, die für eine Lyse nach NOAK-Einnahme sprechen, berichtete Prof. Pfeilschifter. In der randomisierten kontrollierten Studie ARAIS war das Risiko von sICH unter Argatroban in Kombination mit einer Thrombolyse mit Alteplase gegenüber der alleinigen Thrombolyse nicht erhöht (2,1 % vs. 1,8 %). Das galt auch für parenchymale Blutungen (2,3 % vs. 2,5 %) und schwere systemische Blutungen (0,3 % vs. 0,5 %). Der funktionelle Behandlungserfolg war ähnlich.

Eine retrospektive Analyse ergab 36 Stunden nach Thrombolyse bei vorhergehender NOAK-Einnahme eine sICH-Rate von 2,5 %, ohne NOAK-Einnahme lag sie bei 4,1 %. Selbst bei NOAK-Spiegeln von > 100 ng/ml oder NOAK innerhalb der letzten zwölf Stunden fand sich keine Assoziation mit einem erhöhten sICH-Risiko, ergänzte Prof. Pfeilschifter. 

In der Routineversorgung ist die Thrombolyse bei Menschen mit ischämischem Schlaganfall unter NOAK derzeit off label. Einer Expertenempfehlung zufolge soll man aber bei allen Patientinnen und Patienten mit ischämischem Schlaganfall und kürzlicher NOAK-Einnahme zunächst die prinzipielle Eignung für eine Thrombolyse prüfen. Bei Verschluss eines proximalen großen Gefäßes und einer möglichen Zeit bis zur intravenösen Thrombolyse von weniger als einer halben Stunde sollte bei Dabigatran-Anwendung die Gabe von Idarucizumab erwogen werden und dann wie bei anderen NOAK eine individuelle Nutzen-Risiko-Analyse der Thrombolyse erfolgen. „Jede Stroke Unit sollte sich zu dem Thema positionieren und überlegen, welchen NOAK-Patienten sie diese wirksame Therapie vorenthält“, erklärte Prof. Pfeilschifter. 

In ihrer Klinik wurde eine entsprechende Standard Operating Procedure (SOP) etabliert. Vorgesehen ist darin auch ein Gerinnungsschnelltest, um den aktuellen NOAK-Blutspiegel abschätzen zu können. Im ersten Jahr nach Einführung der SOP konnten unter Berücksichtigung sonstiger sICH-Risikofaktoren bereits 22 Personen unter NOAK-Therapie eine intravenöse Thrombolyse erhalten, ohne dass sich Sicherheitsbedenken ergeben hätten. 

Alle unter NOAK lysierten Patientinnen und Patienten sollten in Studien eingebracht werden, sei es in ein Schlaganfallregister oder in randomisierte kontrollierte Studien, forderte Prof. Pfeilschifter. Nur so könne rasch Evidenz für oder gegen die Lyse unter NOAK geschaffen werden.

Quelle: 97. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie