Folgenschweres Schwermetall Bleiexposition führt zu 250.000 vorzeitigen Sterbefällen pro Jahr

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Als typisches klinisches Zeichen einer chronischen Bleivergiftung gilt die Burton-Linie, eine graublaue Verfärbung am Gingivalsaum. Als typisches klinisches Zeichen einer chronischen Bleivergiftung gilt die Burton-Linie, eine graublaue Verfärbung am Gingivalsaum. © Science Photo Library - Biophoto Associates

Obwohl die Bleiexposition in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesenkt wurde, ist die Belastung noch höher als in vorindustriellen Zeiten. Das ist in jedem Lebensalter gefährlich. Exponierten drohen Frühgeburt, kognitive Defizite und ADHS bis hin zu KHK und Niereninsuffizienz. 

Einmal im Körper aufgenommen, wird der Großteil des Bleis im Skelett gespeichert, nur etwa 1 % zirkuliert im Blut. Eine Exposition lässt sich anhand der Bleikonzentration im Vollblut nachweisen, so eine Autorengruppe um Dr. Bruce Lanphear von der Simon Fraser University im kanadischen Burnaby. Begünstigt wird die Bleiintoxikation durch Wassertrinken aus belasteten Rohren und Tätigkeiten im Batterierecycling oder auf dem Bau. Aber auch der Erdboden und bleihaltige Farben sind eine typische Quelle für Bleivergiftungen. 

Die Gefahr ist für die Kleinsten am größten

Besonders gefährdet sind Säuglinge und Kleinkinder, die noch alles in den Mund stecken und das Schwermetall leichter resorbieren. Die amerikanischen Centers of Disease Control and Prevention (CDC) konstatieren, es sei bisher kein Blutwert bekannt, unterhalb dessen die Aufnahme für Kinder harmlos wäre. Schon eine Intoxikation mit geringen Mengen erhöht das Risiko unter anderem für kognitive Defizite und ADHS. Zudem deuten wissenschaftliche Ergebnisse darauf hin, dass sich der Intelligenzquotient verringern kann. In zwei prospektiven Kohortenstudien gingen höhere Bleispiegel im Blut der jungen Exponierten mit einer vermehrten Delinquenz im frühen Erwachsenenalter einher. Sogar ein verringertes Gehirnvolumen scheint mit einer gesteigerten Bleiexposition assoziiert zu sein, berichtet die Forschungsgruppe. 

Dem Blei ausgesetzte Erwachsene entwickeln häufiger eine chronische Niereninsuffizienz, wie der US-amerikanische National Health and Nutrition Survey (NHANES) gezeigt hat. Personen mit Bleiwerten im Blut > 24 µg/l trugen ein um 56 % erhöhtes Risiko für eine verringerte GFR (< 60 ml/min/1,73 m2) im Vergleich zu Personen mit einem Spiegel unter 11 µg/l.

Das Schwermetall induziert auch zelluläre Veränderungen, die charakteristisch für eine Hypertonie oder Atherosklerose sind. In vitro konnte ermittelt werden, dass neu aufgenommenes oder aus dem Skelett freigesetztes Blei eine endotheliale Dysfunktion auslösen kann. Das Element ist auch ein Hauptrisikofaktor für kardiovaskuläre Todesfälle. In NHANES ergab sich nach Adjustierung auf andere Faktoren, dass ein Anstieg des Blutbleispiegels vom zehnten bis zum neunzigsten Perzentil mit einer Verdopplung der Wahrscheinlichkeit für einen koronar bedingten Tod einhergeht. Die  Autorinnen und Autoren führten jährlich 250.000 vorzeitige Sterbefälle auf die chronische niedrigdosierte Bleibelastung zurück, davon 185.000 durch eine KHK. 

Blei könnte Verlauf der KHK-Mortalität beeinflusst haben

Die Bleiexposition beeinflusste möglicherweise auch den Anstieg und späteren Abfall der Koronarmortalität im vergangenen Jahrhundert. In den Vereinigten Staaten stieg die KHK-Sterblichkeit zunächst stark an, erreichte 1968 einen Gipfel und verringerte sich danach stetig. Heute ist sie um 70 % niedriger als Ende der Sechzigerjahre. Die Hochdruckinzidenz verringerte sich in ähnlicher Weise. Typische Risikofaktoren wie die Adipositas konnten diesen Abfall nicht erklären, so das Forschungsteam. Doch parallel zu dieser Entwicklung nahm die Exposition mit bleihaltigem Benzin ab. Der durchschnittliche Bleiwert im Blut sank in den Jahren 1976–1994 von 130 µg/l auf 30 µg/l. 

Zum Nachweis einer Belastung empfiehlt die Autorengruppe ein Screening für Personen mit hohem Risiko. Als solche gelten z. B. Kleinkinder, die in vor 1960 gebauten Häusern leben. Für sie könnten u. U. Splitter von bleihaltiger Wandfarbe bei einer Ingestion gefährlich werden. Menschen, die von bleiglasiertem Geschirr essen oder pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel bzw. Ayurveda-Medikamente nutzen, sind ebenfalls bedroht. Untersucht werden sollten auch Personen, die an anderweitig nicht erklärbaren Symptomen einer Bleivergiftung wie Bauchschmerzen, Gedächtnisstörungen und hohem Blutdruck leiden, außerdem Beschäftigte in relevanten Bereichen, etwa auf dem Bau, in Hüttenwerken und beim Militär. 

Eine Chelation mit Substanzen, die das Schwermetall im Blut binden und die Ausscheidung fördern, verringerte in einer Studie die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse. Die bisherigen Daten sind aber noch inkonsistent. Entscheidend bleibt die Primärprävention, also Maßnahmen, die die Exposition verhindern.

Quelle: Lanphear B et al. N Engl J Med 2024; 191: 1621-1631; DOI: 10.1056/NEJMra2402527